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Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 1. Leipzig, 1776.

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die ganze Gegend um den jungen Siegwart her
zu einem Tempel machte. Seine Seele war jezt
weich wie Wachs; unwillkührliche Thränen, die
das Mittel zwischen Wehmuth und Freude hielten,
glänzten ihm im Auge. Er sprach nichts; mit
halbfrohem und halbbangem Zittern kam er dem
Kloster immer näher, und nun waren sie am
Thor. Ein alter ehrwürdiger Kapuziner in schnee-
weissen Haaren empfieng sie mit der Freundlich-
keit eines Engels, und führte sie, weil er den al-
ten Siegwart kannte, in den Speisesaal. Hier
saßen dreißig Väter, mehrentheils ehrwürdige Grei-
se mit einer Glatze, und langen silberfarbnen
Bärten. Sie standen alle auf, bewillkommten
mit einem stillen heitern Lächeln den alten Sieg-
wart,
und umarmten ihn, einer nach dem andern,
mit brüderlicher Liebe; Sie gaben auch dem jun-
gen Siegwart die Hand, dem das Herz laut
schlug. Die beyden Ankömmlinge musten sich mit
zu Tische setzen, und das kleine mäßige Mahl mit
geniessen. Stille heitre Zufriedenheit saß auf allen
Stirnen; jeder begegnete dem andern mit Freundlich-
keit und Liebe. Der junge Siegwart sah einen nach
dem andern an, und verlohr sich in dem Gedanken von
dem Glücke dieser Väter; er fieng jeden an zu



die ganze Gegend um den jungen Siegwart her
zu einem Tempel machte. Seine Seele war jezt
weich wie Wachs; unwillkuͤhrliche Thraͤnen, die
das Mittel zwiſchen Wehmuth und Freude hielten,
glaͤnzten ihm im Auge. Er ſprach nichts; mit
halbfrohem und halbbangem Zittern kam er dem
Kloſter immer naͤher, und nun waren ſie am
Thor. Ein alter ehrwuͤrdiger Kapuziner in ſchnee-
weiſſen Haaren empfieng ſie mit der Freundlich-
keit eines Engels, und fuͤhrte ſie, weil er den al-
ten Siegwart kannte, in den Speiſeſaal. Hier
ſaßen dreißig Vaͤter, mehrentheils ehrwuͤrdige Grei-
ſe mit einer Glatze, und langen ſilberfarbnen
Baͤrten. Sie ſtanden alle auf, bewillkommten
mit einem ſtillen heitern Laͤcheln den alten Sieg-
wart,
und umarmten ihn, einer nach dem andern,
mit bruͤderlicher Liebe; Sie gaben auch dem jun-
gen Siegwart die Hand, dem das Herz laut
ſchlug. Die beyden Ankoͤmmlinge muſten ſich mit
zu Tiſche ſetzen, und das kleine maͤßige Mahl mit
genieſſen. Stille heitre Zufriedenheit ſaß auf allen
Stirnen; jeder begegnete dem andern mit Freundlich-
keit und Liebe. Der junge Siegwart ſah einen nach
dem andern an, und verlohr ſich in dem Gedanken von
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[14/0018] die ganze Gegend um den jungen Siegwart her zu einem Tempel machte. Seine Seele war jezt weich wie Wachs; unwillkuͤhrliche Thraͤnen, die das Mittel zwiſchen Wehmuth und Freude hielten, glaͤnzten ihm im Auge. Er ſprach nichts; mit halbfrohem und halbbangem Zittern kam er dem Kloſter immer naͤher, und nun waren ſie am Thor. Ein alter ehrwuͤrdiger Kapuziner in ſchnee- weiſſen Haaren empfieng ſie mit der Freundlich- keit eines Engels, und fuͤhrte ſie, weil er den al- ten Siegwart kannte, in den Speiſeſaal. Hier ſaßen dreißig Vaͤter, mehrentheils ehrwuͤrdige Grei- ſe mit einer Glatze, und langen ſilberfarbnen Baͤrten. Sie ſtanden alle auf, bewillkommten mit einem ſtillen heitern Laͤcheln den alten Sieg- wart, und umarmten ihn, einer nach dem andern, mit bruͤderlicher Liebe; Sie gaben auch dem jun- gen Siegwart die Hand, dem das Herz laut ſchlug. Die beyden Ankoͤmmlinge muſten ſich mit zu Tiſche ſetzen, und das kleine maͤßige Mahl mit genieſſen. Stille heitre Zufriedenheit ſaß auf allen Stirnen; jeder begegnete dem andern mit Freundlich- keit und Liebe. Der junge Siegwart ſah einen nach dem andern an, und verlohr ſich in dem Gedanken von dem Gluͤcke dieſer Vaͤter; er fieng jeden an zu

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Zitationshilfe: Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 1. Leipzig, 1776, S. 14. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart01_1776/18>, abgerufen am 24.11.2024.