ich nach den Blumen sehe, sie wart' und sie be- giesse. Jedes Stöckchen liegt dann meinem Her- zen näher; jedes kenn ich, und seh täglich, wie's heran wächst, und zunimmt! Es ist sonderbar; aber nicht wahr? man hat alles so lieb, was man selbst pflanzt, und heran zieht?
Therese. Ja wohl, Herr Pfarrer, mir gehts eben so; und wenn mir eine Blume welkt, oder vom Wurm verdorben wird, da bin ich so traurig, als ob ich, weis nicht was? verlohren hätte.
Pfarrer. Recht, Jungfer Therese! Da hab ich denn so meine Gedanken, was der liebe Gott für eine Freud und Glückseligkeit empfinden muß, unter dessen Augen und durch dessen Sorgfalt Men- schen, Thier und Pflanzen so heranwachsen und gedeihen! Da ist mir denn so wohl, bey dem Ge- danken, daß ich weinen muß. Lieben Kinder, man ist so selig, wenn man sich Gott in der Nähe denkt, und lernt sein Vaterherz immer mehr ken- nen. Warlich für den Gebrauch unsrer fünf Sin- ne können wir Jhm nie genug danken. Durch sie wird man am meisten mit ihm bekannt; mit dem Verstand geht's viel zu langsam. -- -- Seht ihr, wie der Salat schon so kopficht wird! Das ist Abends mein rechtes Labsal, wenn's so heiß ist,
ich nach den Blumen ſehe, ſie wart’ und ſie be- gieſſe. Jedes Stoͤckchen liegt dann meinem Her- zen naͤher; jedes kenn ich, und ſeh taͤglich, wie’s heran waͤchſt, und zunimmt! Es iſt ſonderbar; aber nicht wahr? man hat alles ſo lieb, was man ſelbſt pflanzt, und heran zieht?
Thereſe. Ja wohl, Herr Pfarrer, mir gehts eben ſo; und wenn mir eine Blume welkt, oder vom Wurm verdorben wird, da bin ich ſo traurig, als ob ich, weis nicht was? verlohren haͤtte.
Pfarrer. Recht, Jungfer Thereſe! Da hab ich denn ſo meine Gedanken, was der liebe Gott fuͤr eine Freud und Gluͤckſeligkeit empfinden muß, unter deſſen Augen und durch deſſen Sorgfalt Men- ſchen, Thier und Pflanzen ſo heranwachſen und gedeihen! Da iſt mir denn ſo wohl, bey dem Ge- danken, daß ich weinen muß. Lieben Kinder, man iſt ſo ſelig, wenn man ſich Gott in der Naͤhe denkt, und lernt ſein Vaterherz immer mehr ken- nen. Warlich fuͤr den Gebrauch unſrer fuͤnf Sin- ne koͤnnen wir Jhm nie genug danken. Durch ſie wird man am meiſten mit ihm bekannt; mit dem Verſtand geht’s viel zu langſam. — — Seht ihr, wie der Salat ſchon ſo kopficht wird! Das iſt Abends mein rechtes Labſal, wenn’s ſo heiß iſt,
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ich nach den Blumen ſehe, ſie wart’ und ſie be-
gieſſe. Jedes Stoͤckchen liegt dann meinem Her-
zen naͤher; jedes kenn ich, und ſeh taͤglich, wie’s
heran waͤchſt, und zunimmt! Es iſt ſonderbar;
aber nicht wahr? man hat alles ſo lieb, was man
ſelbſt pflanzt, und heran zieht?
Thereſe. Ja wohl, Herr Pfarrer, mir gehts
eben ſo; und wenn mir eine Blume welkt, oder
vom Wurm verdorben wird, da bin ich ſo traurig,
als ob ich, weis nicht was? verlohren haͤtte.
Pfarrer. Recht, Jungfer Thereſe! Da hab
ich denn ſo meine Gedanken, was der liebe Gott
fuͤr eine Freud und Gluͤckſeligkeit empfinden muß,
unter deſſen Augen und durch deſſen Sorgfalt Men-
ſchen, Thier und Pflanzen ſo heranwachſen und
gedeihen! Da iſt mir denn ſo wohl, bey dem Ge-
danken, daß ich weinen muß. Lieben Kinder, man
iſt ſo ſelig, wenn man ſich Gott in der Naͤhe
denkt, und lernt ſein Vaterherz immer mehr ken-
nen. Warlich fuͤr den Gebrauch unſrer fuͤnf Sin-
ne koͤnnen wir Jhm nie genug danken. Durch ſie
wird man am meiſten mit ihm bekannt; mit dem
Verſtand geht’s viel zu langſam. — — Seht ihr,
wie der Salat ſchon ſo kopficht wird! Das iſt
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Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 1. Leipzig, 1776, S. 152. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart01_1776/156>, abgerufen am 24.11.2024.
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