Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 1. Leipzig, 1776.
nen, und ins Wasser springen wollte; aber, als ihr Kammermädchen sie hielt, blieb sie wieder unbeweglich sitzen. Sie kam nach Hause, lief die Treppen hastig hinauf, und rief ihrer Mama, die oben stand, zu: Er ist verheirathet! -- Drey Wochen flossen unter den kläglichsten Umständen für meine Freundinn hin. Sie sagte nichts, als: Theodor! und: verheirathet! -- Nach einem Vierteljahre ward sie wieder besser, und verlangte ins Kloster. Die Eltern wagten's nicht, ihr zu widersprechen. Nach dem Probjahr legte sie das ewige Gelübde ab. Man durfte nicht mit ihr von Theodor sprechen; sie verfluchte ihn, wenn sie seinen Namen hörte, und weinte dann wie- der ganze Nächte durch! Vor drey Jahren kam Theodor zurück; wollte seine Braut sprechen, der er immer treu geblieben war; hörte, sie sey im Kloster; rannte zitternd hin, kam ans Gitter, sprach sie, und fiel zugleich mit ihr in Ohnmacht. Man brachte ihn ins Wirthshaus, da erzälte ein unvorsichtiger Bedienter alles, und besonders, daß seine Mutter ausgesprengt habe: Er sey verhei- rathet. Nach einer schrecklichen Nacht, die er unter tausend Kämpfen zugebracht hatte, ritt er mit verhängtem Zügel nach dem Schlosse seines nen, und ins Waſſer ſpringen wollte; aber, als ihr Kammermaͤdchen ſie hielt, blieb ſie wieder unbeweglich ſitzen. Sie kam nach Hauſe, lief die Treppen haſtig hinauf, und rief ihrer Mama, die oben ſtand, zu: Er iſt verheirathet! — Drey Wochen floſſen unter den klaͤglichſten Umſtaͤnden fuͤr meine Freundinn hin. Sie ſagte nichts, als: Theodor! und: verheirathet! — Nach einem Vierteljahre ward ſie wieder beſſer, und verlangte ins Kloſter. Die Eltern wagten’s nicht, ihr zu widerſprechen. Nach dem Probjahr legte ſie das ewige Geluͤbde ab. Man durfte nicht mit ihr von Theodor ſprechen; ſie verfluchte ihn, wenn ſie ſeinen Namen hoͤrte, und weinte dann wie- der ganze Naͤchte durch! Vor drey Jahren kam Theodor zuruͤck; wollte ſeine Braut ſprechen, der er immer treu geblieben war; hoͤrte, ſie ſey im Kloſter; rannte zitternd hin, kam ans Gitter, ſprach ſie, und fiel zugleich mit ihr in Ohnmacht. Man brachte ihn ins Wirthshaus, da erzaͤlte ein unvorſichtiger Bedienter alles, und beſonders, daß ſeine Mutter ausgeſprengt habe: Er ſey verhei- rathet. Nach einer ſchrecklichen Nacht, die er unter tauſend Kaͤmpfen zugebracht hatte, ritt er mit verhaͤngtem Zuͤgel nach dem Schloſſe ſeines <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0139" n="135"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> nen, und ins Waſſer ſpringen wollte; aber, als<lb/> ihr Kammermaͤdchen ſie hielt, blieb ſie wieder<lb/> unbeweglich ſitzen. Sie kam nach Hauſe, lief die<lb/> Treppen haſtig hinauf, und rief ihrer Mama, die<lb/> oben ſtand, zu: Er iſt verheirathet! — Drey<lb/> Wochen floſſen unter den klaͤglichſten Umſtaͤnden<lb/> fuͤr meine Freundinn hin. Sie ſagte nichts, als:<lb/><hi rendition="#fr">Theodor!</hi> und: verheirathet! — Nach einem<lb/> Vierteljahre ward ſie wieder beſſer, und verlangte<lb/> ins Kloſter. Die Eltern wagten’s nicht, ihr zu<lb/> widerſprechen. Nach dem Probjahr legte ſie das<lb/> ewige Geluͤbde ab. Man durfte nicht mit ihr<lb/> von <hi rendition="#fr">Theodor</hi> ſprechen; ſie verfluchte ihn, wenn<lb/> ſie ſeinen Namen hoͤrte, und weinte dann wie-<lb/> der ganze Naͤchte durch! Vor drey Jahren kam<lb/><hi rendition="#fr">Theodor</hi> zuruͤck; wollte ſeine Braut ſprechen, der<lb/> er immer treu geblieben war; hoͤrte, ſie ſey im<lb/> Kloſter; rannte zitternd hin, kam ans Gitter,<lb/> ſprach ſie, und fiel zugleich mit ihr in Ohnmacht.<lb/> Man brachte ihn ins Wirthshaus, da erzaͤlte ein<lb/> unvorſichtiger Bedienter alles, und beſonders, daß<lb/> ſeine Mutter ausgeſprengt habe: Er ſey verhei-<lb/> rathet. Nach einer ſchrecklichen Nacht, die er<lb/> unter tauſend Kaͤmpfen zugebracht hatte, ritt er<lb/> mit verhaͤngtem Zuͤgel nach dem Schloſſe ſeines<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [135/0139]
nen, und ins Waſſer ſpringen wollte; aber, als
ihr Kammermaͤdchen ſie hielt, blieb ſie wieder
unbeweglich ſitzen. Sie kam nach Hauſe, lief die
Treppen haſtig hinauf, und rief ihrer Mama, die
oben ſtand, zu: Er iſt verheirathet! — Drey
Wochen floſſen unter den klaͤglichſten Umſtaͤnden
fuͤr meine Freundinn hin. Sie ſagte nichts, als:
Theodor! und: verheirathet! — Nach einem
Vierteljahre ward ſie wieder beſſer, und verlangte
ins Kloſter. Die Eltern wagten’s nicht, ihr zu
widerſprechen. Nach dem Probjahr legte ſie das
ewige Geluͤbde ab. Man durfte nicht mit ihr
von Theodor ſprechen; ſie verfluchte ihn, wenn
ſie ſeinen Namen hoͤrte, und weinte dann wie-
der ganze Naͤchte durch! Vor drey Jahren kam
Theodor zuruͤck; wollte ſeine Braut ſprechen, der
er immer treu geblieben war; hoͤrte, ſie ſey im
Kloſter; rannte zitternd hin, kam ans Gitter,
ſprach ſie, und fiel zugleich mit ihr in Ohnmacht.
Man brachte ihn ins Wirthshaus, da erzaͤlte ein
unvorſichtiger Bedienter alles, und beſonders, daß
ſeine Mutter ausgeſprengt habe: Er ſey verhei-
rathet. Nach einer ſchrecklichen Nacht, die er
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| Zitationshilfe: | Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 1. Leipzig, 1776, S. 135. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart01_1776/139>, abgerufen am 22.11.2024. |
