Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 1. Leipzig, 1776.mehr Tugend aus, als die meisten andern Völker, und entheiligten sich weit weniger durch Bru- dermord, Diebstal, Ehebruch oder andre Schand- thaten. II. Mach dich am Ersten mit dir selbst bekannt, mein Sohn! Dies ist eine alte Regel, aber selten wird sie recht befolgt. Gib auf alle Be- wegungen und Veränderungen deiner Seele acht! Forsch ihren Ursachen nach, ob sie edel sind, oder nicht? Ost macht man sich selber etwas weiß, daß man diese oder jene Handlung aus einer guten Absicht unternehme, und im Grunde hat man einen bösen Endzweck, der den Schaden unsers Nächften, oder die Entunehrung unsrer selbst zur Folge hat. Oft gibt man einer Gesinnung oder Handlung, die nicht edel ist, den Namen einer edeln, und hintergeht sein eignes Herz durch diesen Kunstgriff. Gib auf dieses alles genau acht, und erlaub dir keine Nachsicht! Werd am ersten gegen dich selbst behutsam! denn der Mensch ist nur zu oft sein eigner ärgster Feind. Lern deine Kräfte kennen, und prüfe sie durch Anwendung! Du must wissen, was du dir selbst zuzutrauen hast; sonst versprichst du immer dir und andern, was du nicht erfüllen kannst. Lern deine Schwächen kennen! mehr Tugend aus, als die meiſten andern Voͤlker, und entheiligten ſich weit weniger durch Bru- dermord, Diebſtal, Ehebruch oder andre Schand- thaten. II. Mach dich am Erſten mit dir ſelbſt bekannt, mein Sohn! Dies iſt eine alte Regel, aber ſelten wird ſie recht befolgt. Gib auf alle Be- wegungen und Veraͤnderungen deiner Seele acht! Forſch ihren Urſachen nach, ob ſie edel ſind, oder nicht? Oſt macht man ſich ſelber etwas weiß, daß man dieſe oder jene Handlung aus einer guten Abſicht unternehme, und im Grunde hat man einen boͤſen Endzweck, der den Schaden unſers Naͤchften, oder die Entunehrung unſrer ſelbſt zur Folge hat. Oft gibt man einer Geſinnung oder Handlung, die nicht edel iſt, den Namen einer edeln, und hintergeht ſein eignes Herz durch dieſen Kunſtgriff. Gib auf dieſes alles genau acht, und erlaub dir keine Nachſicht! Werd am erſten gegen dich ſelbſt behutſam! denn der Menſch iſt nur zu oft ſein eigner aͤrgſter Feind. Lern deine Kraͤfte kennen, und pruͤfe ſie durch Anwendung! Du muſt wiſſen, was du dir ſelbſt zuzutrauen haſt; ſonſt verſprichſt du immer dir und andern, was du nicht erfuͤllen kannſt. Lern deine Schwaͤchen kennen! <TEI> <text> <body> <div n="1"> <list> <item><pb facs="#f0105" n="101"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> mehr Tugend aus, als die meiſten andern Voͤlker,<lb/> und entheiligten ſich weit weniger durch Bru-<lb/> dermord, Diebſtal, Ehebruch oder andre Schand-<lb/> thaten.</item><lb/> <item><hi rendition="#aq">II.</hi><hi rendition="#fr">Mach dich am Erſten mit dir ſelbſt<lb/> bekannt,</hi> mein Sohn! Dies iſt eine alte Regel,<lb/> aber ſelten wird ſie recht befolgt. Gib auf alle Be-<lb/> wegungen und Veraͤnderungen deiner Seele acht!<lb/> Forſch ihren Urſachen nach, ob ſie edel ſind, oder<lb/> nicht? Oſt macht man ſich ſelber etwas weiß, daß<lb/> man dieſe oder jene Handlung aus einer guten<lb/> Abſicht unternehme, und im Grunde hat man<lb/> einen boͤſen Endzweck, der den Schaden unſers<lb/> Naͤchften, oder die Entunehrung unſrer ſelbſt zur<lb/> Folge hat. Oft gibt man einer Geſinnung oder<lb/> Handlung, die nicht edel iſt, den <hi rendition="#fr">Namen</hi> einer<lb/> edeln, und hintergeht ſein eignes Herz durch dieſen<lb/> Kunſtgriff. Gib auf dieſes alles genau acht, und<lb/> erlaub dir keine Nachſicht! Werd am erſten gegen<lb/> dich ſelbſt behutſam! denn der Menſch iſt nur zu<lb/> oft ſein eigner aͤrgſter Feind. Lern deine Kraͤfte<lb/> kennen, und pruͤfe ſie durch Anwendung! Du muſt<lb/> wiſſen, was du dir ſelbſt zuzutrauen haſt; ſonſt<lb/> verſprichſt du immer dir und andern, was du nicht<lb/> erfuͤllen kannſt. Lern deine Schwaͤchen kennen!<lb/></item> </list> </div> </body> </text> </TEI> [101/0105]
mehr Tugend aus, als die meiſten andern Voͤlker,
und entheiligten ſich weit weniger durch Bru-
dermord, Diebſtal, Ehebruch oder andre Schand-
thaten.
II. Mach dich am Erſten mit dir ſelbſt
bekannt, mein Sohn! Dies iſt eine alte Regel,
aber ſelten wird ſie recht befolgt. Gib auf alle Be-
wegungen und Veraͤnderungen deiner Seele acht!
Forſch ihren Urſachen nach, ob ſie edel ſind, oder
nicht? Oſt macht man ſich ſelber etwas weiß, daß
man dieſe oder jene Handlung aus einer guten
Abſicht unternehme, und im Grunde hat man
einen boͤſen Endzweck, der den Schaden unſers
Naͤchften, oder die Entunehrung unſrer ſelbſt zur
Folge hat. Oft gibt man einer Geſinnung oder
Handlung, die nicht edel iſt, den Namen einer
edeln, und hintergeht ſein eignes Herz durch dieſen
Kunſtgriff. Gib auf dieſes alles genau acht, und
erlaub dir keine Nachſicht! Werd am erſten gegen
dich ſelbſt behutſam! denn der Menſch iſt nur zu
oft ſein eigner aͤrgſter Feind. Lern deine Kraͤfte
kennen, und pruͤfe ſie durch Anwendung! Du muſt
wiſſen, was du dir ſelbſt zuzutrauen haſt; ſonſt
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