O ja, ganz gewiß glaub ichs! antwortete Siegwart mit Heftigkeit. Jch müßte mir ein Gewissen draus machen, wenn ichs nicht würde; denn wo könnt ich sonst so viel Gutes thun, und mit so viel heiligen Leuten umgehen? Nein, ich will nichts anders werden, wenn mein Vater nichts dagegen hat! Wenn ichs nur schon recht bald wäre!
Nun, nun, so wünsch ich dir zu deinem Vorhaben recht von Herzen Glück: Dein innerli- cher Trieb ist besser, als alles Zureden andrer Leu- te. Wenn du keine Lust dazu gehabt hättest, so würd ich dich nie gesucht haben zu überreden; aber da du selber eine so starke Neigung zum Klosterleben hast, so kann ich deinen Entschluß nicht anders, als loben. Du wirst ein rechtschaffe- ner Mann werden, und dann ist man glücklich. Jch hab es schon gesehen, daß du gottesfürchtig bist, und deinen Nebenmenschen von Herzen liebst, bleib auf diesem Wege! Er ist der einzige zur Glückseligkeit, die so manche suchen und nicht finden.
Da hab ich dir diesen Morgen ein paar Anmerkungen aufgeschrieben, die ich dir, statt mei- nes Segens, auf den Weg mitgeben will. Sie
O ja, ganz gewiß glaub ichs! antwortete Siegwart mit Heftigkeit. Jch muͤßte mir ein Gewiſſen draus machen, wenn ichs nicht wuͤrde; denn wo koͤnnt ich ſonſt ſo viel Gutes thun, und mit ſo viel heiligen Leuten umgehen? Nein, ich will nichts anders werden, wenn mein Vater nichts dagegen hat! Wenn ichs nur ſchon recht bald waͤre!
Nun, nun, ſo wuͤnſch ich dir zu deinem Vorhaben recht von Herzen Gluͤck: Dein innerli- cher Trieb iſt beſſer, als alles Zureden andrer Leu- te. Wenn du keine Luſt dazu gehabt haͤtteſt, ſo wuͤrd ich dich nie geſucht haben zu uͤberreden; aber da du ſelber eine ſo ſtarke Neigung zum Kloſterleben haſt, ſo kann ich deinen Entſchluß nicht anders, als loben. Du wirſt ein rechtſchaffe- ner Mann werden, und dann iſt man gluͤcklich. Jch hab es ſchon geſehen, daß du gottesfuͤrchtig biſt, und deinen Nebenmenſchen von Herzen liebſt, bleib auf dieſem Wege! Er iſt der einzige zur Gluͤckſeligkeit, die ſo manche ſuchen und nicht finden.
Da hab ich dir dieſen Morgen ein paar Anmerkungen aufgeſchrieben, die ich dir, ſtatt mei- nes Segens, auf den Weg mitgeben will. Sie
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0102"n="98"/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/><p>O ja, ganz gewiß glaub ichs! antwortete<lb/><hirendition="#fr">Siegwart</hi> mit Heftigkeit. Jch muͤßte mir ein<lb/>
Gewiſſen draus machen, wenn ichs nicht wuͤrde;<lb/>
denn wo koͤnnt ich ſonſt ſo viel Gutes thun, und<lb/>
mit ſo viel heiligen Leuten umgehen? Nein, ich<lb/>
will nichts anders werden, wenn mein Vater<lb/>
nichts dagegen hat! Wenn ichs nur ſchon recht<lb/>
bald waͤre!</p><lb/><p>Nun, nun, ſo wuͤnſch ich dir zu deinem<lb/>
Vorhaben recht von Herzen Gluͤck: Dein innerli-<lb/>
cher Trieb iſt beſſer, als alles Zureden andrer Leu-<lb/>
te. Wenn du keine Luſt dazu gehabt haͤtteſt, ſo<lb/>
wuͤrd ich dich nie geſucht haben zu uͤberreden;<lb/>
aber da du ſelber eine ſo ſtarke Neigung zum<lb/>
Kloſterleben haſt, ſo kann ich deinen Entſchluß<lb/>
nicht anders, als loben. Du wirſt ein rechtſchaffe-<lb/>
ner Mann werden, und dann iſt man gluͤcklich.<lb/>
Jch hab es ſchon geſehen, daß du gottesfuͤrchtig<lb/>
biſt, und deinen Nebenmenſchen von Herzen liebſt,<lb/>
bleib auf dieſem Wege! Er iſt der einzige zur<lb/>
Gluͤckſeligkeit, die ſo manche ſuchen und nicht<lb/>
finden.</p><lb/><p>Da hab ich dir dieſen Morgen ein paar<lb/>
Anmerkungen aufgeſchrieben, die ich dir, ſtatt mei-<lb/>
nes Segens, auf den Weg mitgeben will. Sie<lb/></p></div></body></text></TEI>
[98/0102]
O ja, ganz gewiß glaub ichs! antwortete
Siegwart mit Heftigkeit. Jch muͤßte mir ein
Gewiſſen draus machen, wenn ichs nicht wuͤrde;
denn wo koͤnnt ich ſonſt ſo viel Gutes thun, und
mit ſo viel heiligen Leuten umgehen? Nein, ich
will nichts anders werden, wenn mein Vater
nichts dagegen hat! Wenn ichs nur ſchon recht
bald waͤre!
Nun, nun, ſo wuͤnſch ich dir zu deinem
Vorhaben recht von Herzen Gluͤck: Dein innerli-
cher Trieb iſt beſſer, als alles Zureden andrer Leu-
te. Wenn du keine Luſt dazu gehabt haͤtteſt, ſo
wuͤrd ich dich nie geſucht haben zu uͤberreden;
aber da du ſelber eine ſo ſtarke Neigung zum
Kloſterleben haſt, ſo kann ich deinen Entſchluß
nicht anders, als loben. Du wirſt ein rechtſchaffe-
ner Mann werden, und dann iſt man gluͤcklich.
Jch hab es ſchon geſehen, daß du gottesfuͤrchtig
biſt, und deinen Nebenmenſchen von Herzen liebſt,
bleib auf dieſem Wege! Er iſt der einzige zur
Gluͤckſeligkeit, die ſo manche ſuchen und nicht
finden.
Da hab ich dir dieſen Morgen ein paar
Anmerkungen aufgeſchrieben, die ich dir, ſtatt mei-
nes Segens, auf den Weg mitgeben will. Sie
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 1. Leipzig, 1776, S. 98. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart01_1776/102>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.