Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Mill, John Stuart: Ueber Frauenemancipation. In: John Stuart Mill´s Gesammelte Werke. Leipzig, 1880. S. 1–29.

Bild:
<< vorherige Seite

Ueber Frauenemancipation.
und der übrigen Welt - gegen die Aristokratie des Geschlechts
gehören sollten, welcher Unterschied ebenso zufällig als der der
Farbe, und genau so gleichgiltig für alle Fragen des Staatslebens ist.

Nicht nur an die Demokratie Amerika's wendet sich der Ruf
der Frauen nach bürgerlicher und politischer Gleichheit mit un-
widerstehlicher Gewalt, sondern auch an jene Radicalen und Char-
tisten auf den britischen Jnseln und an jene Demokraten des Con-
tinents, welche das sogenannte allgemeine Stimmrecht als ein an-
geborenes Recht, das ihnen in widerrechtlicher und tyrannischer
Weise vorenthalten wird, beanspruchen. Denn in welchem ver-
nünftigen Sinn kann man ein Stimmrecht allgemein nennen, von
dem die Hälfte der menschlichen Gattung ausgeschlossen bleibt?
Erklären, daß eine Stimme an der Regierung das Recht Aller
ist, und sie nur für einen Theil verlangen - nämlich für den
Theil, zu dem der Fordernde selbst gehört - das heißt doch, selbst
auf den Schein eines Princips verzichten. Der Chartist, welcher
den Frauen das Stimmrecht abspricht, ist nur darum Chartist,
weil er kein Lord ist; er ist einer von jenen Nivellirern, welche
nur bis zu sich selbst herab nivelliren möchten.

Selbst diejenigen, welche eine Stimme in der Regierung
nicht als ein persönliches Recht ansehen, und die sich nicht zu
Grundsätzen bekennen, welche die Ausdehnung des Stimmrechtes
auf Alle fordern, halten gewöhnlich an althergebrachten Maximen
der politischen Gerechtigkeit fest, mit denen die Ausschließung aller
Frauen von den gewöhnlichen Bürgerrechten unvereinbar ist. Es
ist ein Axiom der englischen Freiheit, daß die Besteuerung und die
politische Vertretung Hand in Hand gehen sollen. Doch giebt es
selbst unter der Herrschaft der Gesetze, die das Eigenthum des
Weibes dem Manne zusprechen, viele unverheiratete Frauen,
welche Steuern zahlen. Es ist eine der fundamentalen Vorschriften
der britischen Verfassung, daß alle Personen von ihresgleichen
gerichtet werden sollen. Doch werden Frauen jedesmal von männ-
lichen Richtern und einer männlichen Jury gerichtet. Fremden
gesteht das Gesetz das Vorrecht zu, zu verlangen, daß die Jury
zur Hälfte von Fremden gebildet werde; nicht so den Frauen.
Allein sehen wir von solchen speciellen Forderungen ab, die mehr
auf gewisse Orte oder Nationen beschränkte als allgemeine Jdeen
darstellen. Es ist ein anerkanntes Gebot der Gerechtigkeit, ohne
Nothwendigkeit keine verletzende Unterscheidung zu machen. Jn
allen Dingen sollte die Voraussetzung zu Gunsten der Gleichheit
sein. Es muß erst ein Grund dafür angegeben werden, warum
ein Ding Einer Person erlaubt und der anderen untersagt sein soll.

Ueber Frauenemancipation.
und der übrigen Welt – gegen die Aristokratie des Geschlechts
gehören sollten, welcher Unterschied ebenso zufällig als der der
Farbe, und genau so gleichgiltig für alle Fragen des Staatslebens ist.

Nicht nur an die Demokratie Amerika's wendet sich der Ruf
der Frauen nach bürgerlicher und politischer Gleichheit mit un-
widerstehlicher Gewalt, sondern auch an jene Radicalen und Char-
tisten auf den britischen Jnseln und an jene Demokraten des Con-
tinents, welche das sogenannte allgemeine Stimmrecht als ein an-
geborenes Recht, das ihnen in widerrechtlicher und tyrannischer
Weise vorenthalten wird, beanspruchen. Denn in welchem ver-
nünftigen Sinn kann man ein Stimmrecht allgemein nennen, von
dem die Hälfte der menschlichen Gattung ausgeschlossen bleibt?
Erklären, daß eine Stimme an der Regierung das Recht Aller
ist, und sie nur für einen Theil verlangen – nämlich für den
Theil, zu dem der Fordernde selbst gehört – das heißt doch, selbst
auf den Schein eines Princips verzichten. Der Chartist, welcher
den Frauen das Stimmrecht abspricht, ist nur darum Chartist,
weil er kein Lord ist; er ist einer von jenen Nivellirern, welche
nur bis zu sich selbst herab nivelliren möchten.

Selbst diejenigen, welche eine Stimme in der Regierung
nicht als ein persönliches Recht ansehen, und die sich nicht zu
Grundsätzen bekennen, welche die Ausdehnung des Stimmrechtes
auf Alle fordern, halten gewöhnlich an althergebrachten Maximen
der politischen Gerechtigkeit fest, mit denen die Ausschließung aller
Frauen von den gewöhnlichen Bürgerrechten unvereinbar ist. Es
ist ein Axiom der englischen Freiheit, daß die Besteuerung und die
politische Vertretung Hand in Hand gehen sollen. Doch giebt es
selbst unter der Herrschaft der Gesetze, die das Eigenthum des
Weibes dem Manne zusprechen, viele unverheiratete Frauen,
welche Steuern zahlen. Es ist eine der fundamentalen Vorschriften
der britischen Verfassung, daß alle Personen von ihresgleichen
gerichtet werden sollen. Doch werden Frauen jedesmal von männ-
lichen Richtern und einer männlichen Jury gerichtet. Fremden
gesteht das Gesetz das Vorrecht zu, zu verlangen, daß die Jury
zur Hälfte von Fremden gebildet werde; nicht so den Frauen.
Allein sehen wir von solchen speciellen Forderungen ab, die mehr
auf gewisse Orte oder Nationen beschränkte als allgemeine Jdeen
darstellen. Es ist ein anerkanntes Gebot der Gerechtigkeit, ohne
Nothwendigkeit keine verletzende Unterscheidung zu machen. Jn
allen Dingen sollte die Voraussetzung zu Gunsten der Gleichheit
sein. Es muß erst ein Grund dafür angegeben werden, warum
ein Ding Einer Person erlaubt und der anderen untersagt sein soll.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0005" n="5"/><fw place="top" type="header">Ueber Frauenemancipation.</fw><lb/>
und der übrigen Welt &#x2013; gegen die Aristokratie des Geschlechts<lb/>
gehören sollten, welcher Unterschied ebenso zufällig als der der<lb/>
Farbe, und genau so gleichgiltig für alle Fragen des Staatslebens ist.</p><lb/>
        <p>Nicht nur an die Demokratie Amerika's wendet sich der Ruf<lb/>
der Frauen nach bürgerlicher und politischer Gleichheit mit un-<lb/>
widerstehlicher Gewalt, sondern auch an jene Radicalen und Char-<lb/>
tisten auf den britischen Jnseln und an jene Demokraten des Con-<lb/>
tinents, welche das sogenannte allgemeine Stimmrecht als ein an-<lb/>
geborenes Recht, das ihnen in widerrechtlicher und tyrannischer<lb/>
Weise vorenthalten wird, beanspruchen. Denn in welchem ver-<lb/>
nünftigen Sinn kann man ein Stimmrecht allgemein nennen, von<lb/>
dem die Hälfte der menschlichen Gattung ausgeschlossen bleibt?<lb/>
Erklären, daß eine Stimme an der Regierung das Recht Aller<lb/>
ist, und sie nur für einen Theil verlangen &#x2013; nämlich für den<lb/>
Theil, zu dem der Fordernde selbst gehört &#x2013; das heißt doch, selbst<lb/>
auf den Schein eines Princips verzichten. Der Chartist, welcher<lb/>
den Frauen das Stimmrecht abspricht, ist nur darum Chartist,<lb/>
weil er kein Lord ist; er ist einer von jenen Nivellirern, welche<lb/>
nur bis zu sich selbst herab nivelliren möchten.</p><lb/>
        <p>Selbst diejenigen, welche eine Stimme in der Regierung<lb/>
nicht als ein persönliches Recht ansehen, und die sich nicht zu<lb/>
Grundsätzen bekennen, welche die Ausdehnung des Stimmrechtes<lb/>
auf Alle fordern, halten gewöhnlich an althergebrachten Maximen<lb/>
der politischen Gerechtigkeit fest, mit denen die Ausschließung aller<lb/>
Frauen von den gewöhnlichen Bürgerrechten unvereinbar ist. Es<lb/>
ist ein Axiom der englischen Freiheit, daß die Besteuerung und die<lb/>
politische Vertretung Hand in Hand gehen sollen. Doch giebt es<lb/>
selbst unter der Herrschaft der Gesetze, die das Eigenthum des<lb/>
Weibes dem Manne zusprechen, viele unverheiratete Frauen,<lb/>
welche Steuern zahlen. Es ist eine der fundamentalen Vorschriften<lb/>
der britischen Verfassung, daß alle Personen von ihresgleichen<lb/>
gerichtet werden sollen. Doch werden Frauen jedesmal von männ-<lb/>
lichen Richtern und einer männlichen Jury gerichtet. Fremden<lb/>
gesteht das Gesetz das Vorrecht zu, zu verlangen, daß die Jury<lb/>
zur Hälfte von Fremden gebildet werde; nicht so den Frauen.<lb/>
Allein sehen wir von solchen speciellen Forderungen ab, die mehr<lb/>
auf gewisse Orte oder Nationen beschränkte als allgemeine Jdeen<lb/>
darstellen. Es ist ein anerkanntes Gebot der Gerechtigkeit, ohne<lb/>
Nothwendigkeit keine verletzende Unterscheidung zu machen. Jn<lb/>
allen Dingen sollte die Voraussetzung zu Gunsten der Gleichheit<lb/>
sein. Es muß erst ein Grund dafür angegeben werden, warum<lb/>
ein Ding Einer Person erlaubt und der anderen untersagt sein soll.<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[5/0005] Ueber Frauenemancipation. und der übrigen Welt – gegen die Aristokratie des Geschlechts gehören sollten, welcher Unterschied ebenso zufällig als der der Farbe, und genau so gleichgiltig für alle Fragen des Staatslebens ist. Nicht nur an die Demokratie Amerika's wendet sich der Ruf der Frauen nach bürgerlicher und politischer Gleichheit mit un- widerstehlicher Gewalt, sondern auch an jene Radicalen und Char- tisten auf den britischen Jnseln und an jene Demokraten des Con- tinents, welche das sogenannte allgemeine Stimmrecht als ein an- geborenes Recht, das ihnen in widerrechtlicher und tyrannischer Weise vorenthalten wird, beanspruchen. Denn in welchem ver- nünftigen Sinn kann man ein Stimmrecht allgemein nennen, von dem die Hälfte der menschlichen Gattung ausgeschlossen bleibt? Erklären, daß eine Stimme an der Regierung das Recht Aller ist, und sie nur für einen Theil verlangen – nämlich für den Theil, zu dem der Fordernde selbst gehört – das heißt doch, selbst auf den Schein eines Princips verzichten. Der Chartist, welcher den Frauen das Stimmrecht abspricht, ist nur darum Chartist, weil er kein Lord ist; er ist einer von jenen Nivellirern, welche nur bis zu sich selbst herab nivelliren möchten. Selbst diejenigen, welche eine Stimme in der Regierung nicht als ein persönliches Recht ansehen, und die sich nicht zu Grundsätzen bekennen, welche die Ausdehnung des Stimmrechtes auf Alle fordern, halten gewöhnlich an althergebrachten Maximen der politischen Gerechtigkeit fest, mit denen die Ausschließung aller Frauen von den gewöhnlichen Bürgerrechten unvereinbar ist. Es ist ein Axiom der englischen Freiheit, daß die Besteuerung und die politische Vertretung Hand in Hand gehen sollen. Doch giebt es selbst unter der Herrschaft der Gesetze, die das Eigenthum des Weibes dem Manne zusprechen, viele unverheiratete Frauen, welche Steuern zahlen. Es ist eine der fundamentalen Vorschriften der britischen Verfassung, daß alle Personen von ihresgleichen gerichtet werden sollen. Doch werden Frauen jedesmal von männ- lichen Richtern und einer männlichen Jury gerichtet. Fremden gesteht das Gesetz das Vorrecht zu, zu verlangen, daß die Jury zur Hälfte von Fremden gebildet werde; nicht so den Frauen. Allein sehen wir von solchen speciellen Forderungen ab, die mehr auf gewisse Orte oder Nationen beschränkte als allgemeine Jdeen darstellen. Es ist ein anerkanntes Gebot der Gerechtigkeit, ohne Nothwendigkeit keine verletzende Unterscheidung zu machen. Jn allen Dingen sollte die Voraussetzung zu Gunsten der Gleichheit sein. Es muß erst ein Grund dafür angegeben werden, warum ein Ding Einer Person erlaubt und der anderen untersagt sein soll.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Texte der ersten Frauenbewegung, betreut von Anna Pfundt und Thomas Gloning, JLU Gießen: Bereitstellung der Texttranskription. (2021-07-09T17:21:46Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Anna Pfundt, Juliane Nau: Bearbeitung der digitalen Edition. (2021-07-09T17:21:46Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: gekennzeichnet; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: keine Angabe; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: keine gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: wie Vorlage; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/mill_frauenemancipation_1880
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/mill_frauenemancipation_1880/5
Zitationshilfe: Mill, John Stuart: Ueber Frauenemancipation. In: John Stuart Mill´s Gesammelte Werke. Leipzig, 1880. S. 1–29, S. 5. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mill_frauenemancipation_1880/5>, abgerufen am 28.04.2024.