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Mill, John Stuart: Ueber Frauenemancipation. In: John Stuart Mill´s Gesammelte Werke. Leipzig, 1880. S. 1–29.

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Ueber Frauenemancipation.
seitigkeit der Verpflichtungen von Seiten des Stärkeren anerkannt
wird. Eine solche Behauptung würde sich von der Wahrheit
weit entfernen. Aber auch diese Gegenseitigkeit, welche wenigstens
bei den höheren und mittleren Classen die Tyrannei ihrer häß-
lichsten Züge beraubte, hat in Verbindung mit dem ursprüng-
lichen Uebel der Abhängigkeit der Frauen ihrerseits wieder ernsthafte
Nachtheile hervorgerufen.

Jm Anbeginn und bei Stämmen, die sich noch auf einer
primitiven Culturstufe befinden, waren und sind die Frauen die
Sclavinnen der Männer zu Zwecken der Arbeit. Alle schweren
körperlichen Arbeiten fallen ihnen zu. Der australische Wilde
geht müssig, während die Weiber mühsam die Wurzeln ausgraben,
von denen er sich nährt. Ein Jndianer, der ein Wild erlegt hat,
läßt es liegen und schickt eine Frau danach aus um es heim-
zutragen. Auf einer etwas vorgerückteren Stufe, wie in Asien, waren
und sind die Frauen die Sclavinnen der Männer zu Zwecken der
Sinnlichkeit. Jn Europa ist darauf frühzeitig eine dritte mildere
Weise der Herrschaft gefolgt, die nicht durch Schläge oder durch
Schlösser und Riegel, sondern durch eine sorgfältige Geistes-
drillung gesichert wurde. Auch mischten sich immer mehr Gefühle
von Wohlwollen und Vorstellungen von Pflichten, wie sie ein Vor-
gesetzter seinen Schützlingen schuldet, in dieß Verhältniß. Aber es
wurde viele Jahrhunderte hindurch kein Verhältniß von Genossen,
selbst nicht von ungleichen, daraus. Das Weib war ein Stück der
Ausstattung des Hauses, des Ruheplatzes, an den sich der Mann
vom Geschäft oder vom Vergnügen zurückzog. Männer waren da-
mals wie heute die Genossen seiner Arbeit, und ebenso waren
es zumeist Männer, seines Gleichen, die seine Vergnügungen und
Zerstreuungen theilten. Jnnerhalb der vier Wände war er ein
Patriarch und Alleinherrscher, und die unverantwortliche Macht
übte ihre Wirkung, indem sie ihn, je nach seiner Gemüthsart mehr
oder weniger herrschsüchtig, anspruchsvoll und selbstvergötternd,
wenn nicht gar zum launenhaften oder rohen Tyrannen machte.
Aber wenn seine moralischen Eigenschaften dabei Schaden litten,
so war dieß nicht nothwendig in demselben Maße mit seinen
geistigen oder schöpferischen Fähigkeiten der Fall. Er mochte
soviel Geisteskraft und Charakterstärke besitzen, als seine Natur
und die Verhältnisse seiner Zeit zuließen. Er mochte das "Ver-
lorene Paradies" dichten oder die Schlacht von Marengo ge-
winnen. Dieß war der Zustand der Römer und Griechen und
der Neueren bis vor kurzer Zeit. Jhre Beziehungen zu ihren
häuslichen Unterthanen nahmen nur einen Winkel, wenn auch einen

Mill, ges. Werke. XII. 2

Ueber Frauenemancipation.
seitigkeit der Verpflichtungen von Seiten des Stärkeren anerkannt
wird. Eine solche Behauptung würde sich von der Wahrheit
weit entfernen. Aber auch diese Gegenseitigkeit, welche wenigstens
bei den höheren und mittleren Classen die Tyrannei ihrer häß-
lichsten Züge beraubte, hat in Verbindung mit dem ursprüng-
lichen Uebel der Abhängigkeit der Frauen ihrerseits wieder ernsthafte
Nachtheile hervorgerufen.

Jm Anbeginn und bei Stämmen, die sich noch auf einer
primitiven Culturstufe befinden, waren und sind die Frauen die
Sclavinnen der Männer zu Zwecken der Arbeit. Alle schweren
körperlichen Arbeiten fallen ihnen zu. Der australische Wilde
geht müssig, während die Weiber mühsam die Wurzeln ausgraben,
von denen er sich nährt. Ein Jndianer, der ein Wild erlegt hat,
läßt es liegen und schickt eine Frau danach aus um es heim-
zutragen. Auf einer etwas vorgerückteren Stufe, wie in Asien, waren
und sind die Frauen die Sclavinnen der Männer zu Zwecken der
Sinnlichkeit. Jn Europa ist darauf frühzeitig eine dritte mildere
Weise der Herrschaft gefolgt, die nicht durch Schläge oder durch
Schlösser und Riegel, sondern durch eine sorgfältige Geistes-
drillung gesichert wurde. Auch mischten sich immer mehr Gefühle
von Wohlwollen und Vorstellungen von Pflichten, wie sie ein Vor-
gesetzter seinen Schützlingen schuldet, in dieß Verhältniß. Aber es
wurde viele Jahrhunderte hindurch kein Verhältniß von Genossen,
selbst nicht von ungleichen, daraus. Das Weib war ein Stück der
Ausstattung des Hauses, des Ruheplatzes, an den sich der Mann
vom Geschäft oder vom Vergnügen zurückzog. Männer waren da-
mals wie heute die Genossen seiner Arbeit, und ebenso waren
es zumeist Männer, seines Gleichen, die seine Vergnügungen und
Zerstreuungen theilten. Jnnerhalb der vier Wände war er ein
Patriarch und Alleinherrscher, und die unverantwortliche Macht
übte ihre Wirkung, indem sie ihn, je nach seiner Gemüthsart mehr
oder weniger herrschsüchtig, anspruchsvoll und selbstvergötternd,
wenn nicht gar zum launenhaften oder rohen Tyrannen machte.
Aber wenn seine moralischen Eigenschaften dabei Schaden litten,
so war dieß nicht nothwendig in demselben Maße mit seinen
geistigen oder schöpferischen Fähigkeiten der Fall. Er mochte
soviel Geisteskraft und Charakterstärke besitzen, als seine Natur
und die Verhältnisse seiner Zeit zuließen. Er mochte das „Ver-
lorene Paradies“ dichten oder die Schlacht von Marengo ge-
winnen. Dieß war der Zustand der Römer und Griechen und
der Neueren bis vor kurzer Zeit. Jhre Beziehungen zu ihren
häuslichen Unterthanen nahmen nur einen Winkel, wenn auch einen

Mill, ges. Werke. XII. 2
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[17/0017] Ueber Frauenemancipation. seitigkeit der Verpflichtungen von Seiten des Stärkeren anerkannt wird. Eine solche Behauptung würde sich von der Wahrheit weit entfernen. Aber auch diese Gegenseitigkeit, welche wenigstens bei den höheren und mittleren Classen die Tyrannei ihrer häß- lichsten Züge beraubte, hat in Verbindung mit dem ursprüng- lichen Uebel der Abhängigkeit der Frauen ihrerseits wieder ernsthafte Nachtheile hervorgerufen. Jm Anbeginn und bei Stämmen, die sich noch auf einer primitiven Culturstufe befinden, waren und sind die Frauen die Sclavinnen der Männer zu Zwecken der Arbeit. Alle schweren körperlichen Arbeiten fallen ihnen zu. Der australische Wilde geht müssig, während die Weiber mühsam die Wurzeln ausgraben, von denen er sich nährt. Ein Jndianer, der ein Wild erlegt hat, läßt es liegen und schickt eine Frau danach aus um es heim- zutragen. Auf einer etwas vorgerückteren Stufe, wie in Asien, waren und sind die Frauen die Sclavinnen der Männer zu Zwecken der Sinnlichkeit. Jn Europa ist darauf frühzeitig eine dritte mildere Weise der Herrschaft gefolgt, die nicht durch Schläge oder durch Schlösser und Riegel, sondern durch eine sorgfältige Geistes- drillung gesichert wurde. Auch mischten sich immer mehr Gefühle von Wohlwollen und Vorstellungen von Pflichten, wie sie ein Vor- gesetzter seinen Schützlingen schuldet, in dieß Verhältniß. Aber es wurde viele Jahrhunderte hindurch kein Verhältniß von Genossen, selbst nicht von ungleichen, daraus. Das Weib war ein Stück der Ausstattung des Hauses, des Ruheplatzes, an den sich der Mann vom Geschäft oder vom Vergnügen zurückzog. Männer waren da- mals wie heute die Genossen seiner Arbeit, und ebenso waren es zumeist Männer, seines Gleichen, die seine Vergnügungen und Zerstreuungen theilten. Jnnerhalb der vier Wände war er ein Patriarch und Alleinherrscher, und die unverantwortliche Macht übte ihre Wirkung, indem sie ihn, je nach seiner Gemüthsart mehr oder weniger herrschsüchtig, anspruchsvoll und selbstvergötternd, wenn nicht gar zum launenhaften oder rohen Tyrannen machte. Aber wenn seine moralischen Eigenschaften dabei Schaden litten, so war dieß nicht nothwendig in demselben Maße mit seinen geistigen oder schöpferischen Fähigkeiten der Fall. Er mochte soviel Geisteskraft und Charakterstärke besitzen, als seine Natur und die Verhältnisse seiner Zeit zuließen. Er mochte das „Ver- lorene Paradies“ dichten oder die Schlacht von Marengo ge- winnen. Dieß war der Zustand der Römer und Griechen und der Neueren bis vor kurzer Zeit. Jhre Beziehungen zu ihren häuslichen Unterthanen nahmen nur einen Winkel, wenn auch einen Mill, ges. Werke. XII. 2

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Zitationshilfe: Mill, John Stuart: Ueber Frauenemancipation. In: John Stuart Mill´s Gesammelte Werke. Leipzig, 1880. S. 1–29, S. 17. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mill_frauenemancipation_1880/17>, abgerufen am 28.04.2024.