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Michelis, Arthur: Reiseschule für Touristen und Curgäste. Leipzig, 1869.

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III. Zerstreutheit -- Taschen u. abermals Taschen -- Stühle.
der Schwere, daß genau genommen gar nicht von einem Han-
deln, einer Thätigkeit, die Rede sein könne, vielmehr lediglich
von einem passiven Gehorsam gegen jenes Weltgesetz. Wir
lassen uns durch alle Advocatenkünste nicht bestechen, sondern
sprechen über die Angeklagte das Schuldig: die untreue
Brusttasche wird in Reiseröcken und Paletots zugenäht oder
weggelassen, überhaupt nur in der unteren Rockhälfte Taschen
angebracht, so daß jenes Naturgesetz sich nie mehr zum Nach-
theil des Inhalts geltend machen kann, wenn auch der Schwer-
punkt der oberen Hälfte verändert wird. Jede Tasche weniger
an einem Reisekleide ist freilich eine Einbuße an Bequemlich-
keit, indessen, wenn einmal die Rock- oder die Brieftasche zum
Opfer fallen soll, die Wahl nicht schwierig. Im unteren
Theile des Rocks sind vier äußere und zwei innere Taschen.
Von den letztern, meinen besonderen Lieblingen, benutze ich
die eine, um die Brieftasche, welche zugleich Cigarren, Brille
und Zündhölzer beherbergt, hineinzustecken, die andere für
Unvorgesehenes. So z. B. hatte ich darin einen erborgten
Malerstuhl *), den ich bei großen Kirchenfesten in Rom mit
in den St. Peter nahm, um nach mehrstündigem Stehen mir
eine kurze Ruhe gönnen zu können, ohne den Platz zu ver-
lieren; auch mein Filzhut hat oft in dieser Tasche gewohnt.

Aber, lieber Onkel, ließ sich jetzt Baby Eduard verneh-
men, von Deinem pädagogischen Standpunkte dürftest Du
doch derlei Auskunftsmittelchen nicht gutheißen, die Du sicher-
lich, wenn ich sie brauchte, Eselsbrücken nennen würdest. --
Sehr richtig, Säugling, antwortete rasch gefaßt Odysseus,
das wären sie auch für Dich, denn in Deinem zarten Alter
soll das Gedächtniß und die Aufmerksamkeit durch Uebung

*) Die in den Läden vorräthigen eisernen "Touristenstühle" finde ich zu
schwer, ließ mir deshalb einen leichten hölzernen Sessel anfertigen, dessen drei
in halber Höhe verbundene, 11/4 Fuß hohe Stützen sich unten zu einem Dreifuß
ausspreizen und an ihren oberen Enden drei Gurten aufnehmen, welche den
Sitz abgeben. Die Stühle sind aus Eschenholz so geschnitten, daß sie, zusammen-
geschlossen, eine mäßig dicke Rolle bilden.

III. Zerſtreutheit — Taſchen u. abermals Taſchen — Stühle.
der Schwere, daß genau genommen gar nicht von einem Han-
deln, einer Thätigkeit, die Rede ſein könne, vielmehr lediglich
von einem paſſiven Gehorſam gegen jenes Weltgeſetz. Wir
laſſen uns durch alle Advocatenkünſte nicht beſtechen, ſondern
ſprechen über die Angeklagte das Schuldig: die untreue
Bruſttaſche wird in Reiſeröcken und Paletots zugenäht oder
weggelaſſen, überhaupt nur in der unteren Rockhälfte Taſchen
angebracht, ſo daß jenes Naturgeſetz ſich nie mehr zum Nach-
theil des Inhalts geltend machen kann, wenn auch der Schwer-
punkt der oberen Hälfte verändert wird. Jede Taſche weniger
an einem Reiſekleide iſt freilich eine Einbuße an Bequemlich-
keit, indeſſen, wenn einmal die Rock- oder die Brieftaſche zum
Opfer fallen ſoll, die Wahl nicht ſchwierig. Im unteren
Theile des Rocks ſind vier äußere und zwei innere Taſchen.
Von den letztern, meinen beſonderen Lieblingen, benutze ich
die eine, um die Brieftaſche, welche zugleich Cigarren, Brille
und Zündhölzer beherbergt, hineinzuſtecken, die andere für
Unvorgeſehenes. So z. B. hatte ich darin einen erborgten
Malerſtuhl *), den ich bei großen Kirchenfeſten in Rom mit
in den St. Peter nahm, um nach mehrſtündigem Stehen mir
eine kurze Ruhe gönnen zu können, ohne den Platz zu ver-
lieren; auch mein Filzhut hat oft in dieſer Taſche gewohnt.

Aber, lieber Onkel, ließ ſich jetzt Baby Eduard verneh-
men, von Deinem pädagogiſchen Standpunkte dürfteſt Du
doch derlei Auskunftsmittelchen nicht gutheißen, die Du ſicher-
lich, wenn ich ſie brauchte, Eſelsbrücken nennen würdeſt. —
Sehr richtig, Säugling, antwortete raſch gefaßt Odyſſeus,
das wären ſie auch für Dich, denn in Deinem zarten Alter
ſoll das Gedächtniß und die Aufmerkſamkeit durch Uebung

*) Die in den Läden vorräthigen eiſernen „Touriſtenſtühle“ finde ich zu
ſchwer, ließ mir deshalb einen leichten hölzernen Seſſel anfertigen, deſſen drei
in halber Höhe verbundene, 1¼ Fuß hohe Stützen ſich unten zu einem Dreifuß
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Sitz abgeben. Die Stühle ſind aus Eſchenholz ſo geſchnitten, daß ſie, zuſammen-
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[53/0067] III. Zerſtreutheit — Taſchen u. abermals Taſchen — Stühle. der Schwere, daß genau genommen gar nicht von einem Han- deln, einer Thätigkeit, die Rede ſein könne, vielmehr lediglich von einem paſſiven Gehorſam gegen jenes Weltgeſetz. Wir laſſen uns durch alle Advocatenkünſte nicht beſtechen, ſondern ſprechen über die Angeklagte das Schuldig: die untreue Bruſttaſche wird in Reiſeröcken und Paletots zugenäht oder weggelaſſen, überhaupt nur in der unteren Rockhälfte Taſchen angebracht, ſo daß jenes Naturgeſetz ſich nie mehr zum Nach- theil des Inhalts geltend machen kann, wenn auch der Schwer- punkt der oberen Hälfte verändert wird. Jede Taſche weniger an einem Reiſekleide iſt freilich eine Einbuße an Bequemlich- keit, indeſſen, wenn einmal die Rock- oder die Brieftaſche zum Opfer fallen ſoll, die Wahl nicht ſchwierig. Im unteren Theile des Rocks ſind vier äußere und zwei innere Taſchen. Von den letztern, meinen beſonderen Lieblingen, benutze ich die eine, um die Brieftaſche, welche zugleich Cigarren, Brille und Zündhölzer beherbergt, hineinzuſtecken, die andere für Unvorgeſehenes. So z. B. hatte ich darin einen erborgten Malerſtuhl *), den ich bei großen Kirchenfeſten in Rom mit in den St. Peter nahm, um nach mehrſtündigem Stehen mir eine kurze Ruhe gönnen zu können, ohne den Platz zu ver- lieren; auch mein Filzhut hat oft in dieſer Taſche gewohnt. Aber, lieber Onkel, ließ ſich jetzt Baby Eduard verneh- men, von Deinem pädagogiſchen Standpunkte dürfteſt Du doch derlei Auskunftsmittelchen nicht gutheißen, die Du ſicher- lich, wenn ich ſie brauchte, Eſelsbrücken nennen würdeſt. — Sehr richtig, Säugling, antwortete raſch gefaßt Odyſſeus, das wären ſie auch für Dich, denn in Deinem zarten Alter ſoll das Gedächtniß und die Aufmerkſamkeit durch Uebung *) Die in den Läden vorräthigen eiſernen „Touriſtenſtühle“ finde ich zu ſchwer, ließ mir deshalb einen leichten hölzernen Seſſel anfertigen, deſſen drei in halber Höhe verbundene, 1¼ Fuß hohe Stützen ſich unten zu einem Dreifuß ausſpreizen und an ihren oberen Enden drei Gurten aufnehmen, welche den Sitz abgeben. Die Stühle ſind aus Eſchenholz ſo geſchnitten, daß ſie, zuſammen- geſchloſſen, eine mäßig dicke Rolle bilden.

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Zitationshilfe: Michelis, Arthur: Reiseschule für Touristen und Curgäste. Leipzig, 1869, S. 53. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/michelis_reiseschule_1869/67>, abgerufen am 23.11.2024.