III. Wäscherinnen -- Barbiere -- entsittlichende Eigenschaften d. Seife.
Wollengewebe, zumal dichte, enganschließende, in ihren eigenen Dunstkreis gehüllt, sondern hinterher der atmosphärischen Luft wieder mehr Zugang verstattet wird. Aus diesem Grunde sind auch locker gestrickte, sehr elastische Wollenunterjacken zu empfehlen.
Für Flanellhemden, und zwar farbige, spricht noch eine andere Rücksicht. Unter die kleinen Leiden der Reise zählt nämlich auch die Abhängigkeit von Wäscherinnen, deren Ver- sprechungen sich häufig so hohl und vergänglich erweisen, wie die Seifenblasen, die sie in ihren Trögen aufwerfen. Sollte der Ausdruck "leeres Gewäsch" daher stammen? Hängt etwa die schaumige, schlüpfrige Natur der Seife damit zusammen? -- Der Umstand, daß ein anderes auf Seife gegründetes Ge- werbe, das der Barbiere, eben so wenig Wort hält, scheint darauf zu deuten. Während ich allgemeinen Betrachtungen über diese entsittlichenden Eigenschaften der Seife nachhing, mehrten sich die Fälle, daß ich durch Schuld von Wäscherin- nen und Barbieren Bahnzüge, Posten und Zusammentreffen mit Gefährten versäumte, einigemal mußte ich auch meine Hemden naß einpacken, so beschloß ich endlich, meine ganze Aufmerksamkeit auf die praktische Seite der Frage zu wenden. Trugen doch, sagte ich mir, die Touristen des Mittelalters, die Wallfahrer, wenn sie sich nicht etwa selbst rasirten, Voll- bart und härenes Gewand, warum sollten wir modernen Pil- ger nicht ihrem Beispiele folgen? Von heute an wird für die ganze Wander- und Fahrzeit der Bart von keinem Scheer- messer berührt und ein Flanellhemd angezogen, ein zweites in die Reisetasche gesteckt; jede Dorfwirthin, Magd, Sennerin kann erforderlichen Falles deren eines nebst Strümpfen waschen und am Feuer trocknen, alles vom Abend bis zum Morgen, und so wäre wenigstens ein großes Stück jener Sclavenketten abgeworfen. Immer erst, wenn ich an einem Orte bin, an dem ich den großen Koffer vorfinde und längere Zeit verweile, werden wieder weiße Hemden angethan, der Wäscherin reichliche Lieferungsfrist bewilligt und das letzte
III. Wäſcherinnen — Barbiere — entſittlichende Eigenſchaften d. Seife.
Wollengewebe, zumal dichte, enganſchließende, in ihren eigenen Dunſtkreis gehüllt, ſondern hinterher der atmoſphäriſchen Luft wieder mehr Zugang verſtattet wird. Aus dieſem Grunde ſind auch locker geſtrickte, ſehr elaſtiſche Wollenunterjacken zu empfehlen.
Für Flanellhemden, und zwar farbige, ſpricht noch eine andere Rückſicht. Unter die kleinen Leiden der Reiſe zählt nämlich auch die Abhängigkeit von Wäſcherinnen, deren Ver- ſprechungen ſich häufig ſo hohl und vergänglich erweiſen, wie die Seifenblaſen, die ſie in ihren Trögen aufwerfen. Sollte der Ausdruck „leeres Gewäſch“ daher ſtammen? Hängt etwa die ſchaumige, ſchlüpfrige Natur der Seife damit zuſammen? — Der Umſtand, daß ein anderes auf Seife gegründetes Ge- werbe, das der Barbiere, eben ſo wenig Wort hält, ſcheint darauf zu deuten. Während ich allgemeinen Betrachtungen über dieſe entſittlichenden Eigenſchaften der Seife nachhing, mehrten ſich die Fälle, daß ich durch Schuld von Wäſcherin- nen und Barbieren Bahnzüge, Poſten und Zuſammentreffen mit Gefährten verſäumte, einigemal mußte ich auch meine Hemden naß einpacken, ſo beſchloß ich endlich, meine ganze Aufmerkſamkeit auf die praktiſche Seite der Frage zu wenden. Trugen doch, ſagte ich mir, die Touriſten des Mittelalters, die Wallfahrer, wenn ſie ſich nicht etwa ſelbſt raſirten, Voll- bart und härenes Gewand, warum ſollten wir modernen Pil- ger nicht ihrem Beiſpiele folgen? Von heute an wird für die ganze Wander- und Fahrzeit der Bart von keinem Scheer- meſſer berührt und ein Flanellhemd angezogen, ein zweites in die Reiſetaſche geſteckt; jede Dorfwirthin, Magd, Sennerin kann erforderlichen Falles deren eines nebſt Strümpfen waſchen und am Feuer trocknen, alles vom Abend bis zum Morgen, und ſo wäre wenigſtens ein großes Stück jener Sclavenketten abgeworfen. Immer erſt, wenn ich an einem Orte bin, an dem ich den großen Koffer vorfinde und längere Zeit verweile, werden wieder weiße Hemden angethan, der Wäſcherin reichliche Lieferungsfriſt bewilligt und das letzte
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III. Wäſcherinnen — Barbiere — entſittlichende Eigenſchaften d. Seife.
Wollengewebe, zumal dichte, enganſchließende, in ihren eigenen
Dunſtkreis gehüllt, ſondern hinterher der atmoſphäriſchen Luft
wieder mehr Zugang verſtattet wird. Aus dieſem Grunde
ſind auch locker geſtrickte, ſehr elaſtiſche Wollenunterjacken
zu empfehlen.
Für Flanellhemden, und zwar farbige, ſpricht noch eine
andere Rückſicht. Unter die kleinen Leiden der Reiſe zählt
nämlich auch die Abhängigkeit von Wäſcherinnen, deren Ver-
ſprechungen ſich häufig ſo hohl und vergänglich erweiſen, wie
die Seifenblaſen, die ſie in ihren Trögen aufwerfen. Sollte
der Ausdruck „leeres Gewäſch“ daher ſtammen? Hängt etwa
die ſchaumige, ſchlüpfrige Natur der Seife damit zuſammen? —
Der Umſtand, daß ein anderes auf Seife gegründetes Ge-
werbe, das der Barbiere, eben ſo wenig Wort hält, ſcheint
darauf zu deuten. Während ich allgemeinen Betrachtungen
über dieſe entſittlichenden Eigenſchaften der Seife nachhing,
mehrten ſich die Fälle, daß ich durch Schuld von Wäſcherin-
nen und Barbieren Bahnzüge, Poſten und Zuſammentreffen
mit Gefährten verſäumte, einigemal mußte ich auch meine
Hemden naß einpacken, ſo beſchloß ich endlich, meine ganze
Aufmerkſamkeit auf die praktiſche Seite der Frage zu wenden.
Trugen doch, ſagte ich mir, die Touriſten des Mittelalters,
die Wallfahrer, wenn ſie ſich nicht etwa ſelbſt raſirten, Voll-
bart und härenes Gewand, warum ſollten wir modernen Pil-
ger nicht ihrem Beiſpiele folgen? Von heute an wird für die
ganze Wander- und Fahrzeit der Bart von keinem Scheer-
meſſer berührt und ein Flanellhemd angezogen, ein zweites in
die Reiſetaſche geſteckt; jede Dorfwirthin, Magd, Sennerin
kann erforderlichen Falles deren eines nebſt Strümpfen
waſchen und am Feuer trocknen, alles vom Abend bis zum
Morgen, und ſo wäre wenigſtens ein großes Stück jener
Sclavenketten abgeworfen. Immer erſt, wenn ich an einem
Orte bin, an dem ich den großen Koffer vorfinde und längere
Zeit verweile, werden wieder weiße Hemden angethan, der
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Michelis, Arthur: Reiseschule für Touristen und Curgäste. Leipzig, 1869, S. 29. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/michelis_reiseschule_1869/43>, abgerufen am 06.07.2024.
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