Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Michelis, Arthur: Reiseschule für Touristen und Curgäste. Leipzig, 1869.

Bild:
<< vorherige Seite

VIII. Ein Landpastor -- Stadt- und Landleute.
auch auf Curplätze erstrecken, bildeten einst den Gegenstand
einer Unterredung mit einem Landpastor. Ich hatte ihn
gefragt, warum er nicht von seinem vortrefflich gelegenen,
sehr geräumigen, in allen Beziehungen wohl geeigneten Hause
eine Anzahl Zimmer an Sommercurgäste vermiethe, die fort-
während ihn darum bestürmten. Es war ein würdiger, in
der ganzen Gegend hochgeschätzter alter Herr, ehemals Missio-
när in Südafrica, Vieler Wohlthäter und einsichtiger Be-
rather. -- Kranken in ihrer Heilung behilflich zu sein, ant-
wortete er, würde ja einem Geistlichen durchaus anstehen,
auch wisse er wohl, daß viele seiner Amtsbrüder anderwärts
keinen Anstand an der Sache nehmen; er könne sich aber
nicht dazu entschließen, weil sein Gewissen ihm verbiete, mit-
zuhelfen, seine Landleute mit Stadtleuten in Berührung zu
bringen, denn gewinne auch ihr materieller und geistiger, so
verliere doch der Wohlstand ihrer Seele zehnfach dabei. --

Als eine persönliche Kränkung konnte ich diese Worte von
dem Manne offenbar nicht auffassen, dennoch machten sie
einen peinlichen Eindruck auf mich. Er mochte das bemerkt
haben, denn er nahm jetzt meinen Arm und entwickelte,
während wir im Garten auf und ab gingen, seine Ansichten
über die Angelegenheit in einer, von gewöhnlichem Kanzelton
so weit entfernten, schlichten, eindringlichen Weise, daß ich
ausrufen mußte: es ist wahr, man sollte sich fast schämen,
zur Kaste der Touristen und Curgäste zu gehören.

-- Das habe ich nicht sagen wollen, erwiederte er. Jeder
hat sich nur dessen zu schämen, was er selbst verschuldet, und
daran schon hinlänglich. Die erste Veranlassung liegt aber
auch weniger in Personen als in Sachen. Plötzlicher, mühe-
loser Geldgewinn hat auf Einzelne wie auf ganze Völker
den schlimmsten Einfluß, macht sie habgierig, selbstsüchtig,
schlaff, üppig, übermüthig, treulos. Dieser Geldgewinn wird
nun schon dadurch herbeigeführt, daß Reiche mit Armen in
geschäftliche Berührungen treten. Das Beispiel des Luxus
und des Müßiggangs kommt hinzu. Ueber Dinge, die nicht

VIII. Ein Landpaſtor — Stadt- und Landleute.
auch auf Curplätze erſtrecken, bildeten einſt den Gegenſtand
einer Unterredung mit einem Landpaſtor. Ich hatte ihn
gefragt, warum er nicht von ſeinem vortrefflich gelegenen,
ſehr geräumigen, in allen Beziehungen wohl geeigneten Hauſe
eine Anzahl Zimmer an Sommercurgäſte vermiethe, die fort-
während ihn darum beſtürmten. Es war ein würdiger, in
der ganzen Gegend hochgeſchätzter alter Herr, ehemals Miſſio-
när in Südafrica, Vieler Wohlthäter und einſichtiger Be-
rather. — Kranken in ihrer Heilung behilflich zu ſein, ant-
wortete er, würde ja einem Geiſtlichen durchaus anſtehen,
auch wiſſe er wohl, daß viele ſeiner Amtsbrüder anderwärts
keinen Anſtand an der Sache nehmen; er könne ſich aber
nicht dazu entſchließen, weil ſein Gewiſſen ihm verbiete, mit-
zuhelfen, ſeine Landleute mit Stadtleuten in Berührung zu
bringen, denn gewinne auch ihr materieller und geiſtiger, ſo
verliere doch der Wohlſtand ihrer Seele zehnfach dabei. —

Als eine perſönliche Kränkung konnte ich dieſe Worte von
dem Manne offenbar nicht auffaſſen, dennoch machten ſie
einen peinlichen Eindruck auf mich. Er mochte das bemerkt
haben, denn er nahm jetzt meinen Arm und entwickelte,
während wir im Garten auf und ab gingen, ſeine Anſichten
über die Angelegenheit in einer, von gewöhnlichem Kanzelton
ſo weit entfernten, ſchlichten, eindringlichen Weiſe, daß ich
ausrufen mußte: es iſt wahr, man ſollte ſich faſt ſchämen,
zur Kaſte der Touriſten und Curgäſte zu gehören.

— Das habe ich nicht ſagen wollen, erwiederte er. Jeder
hat ſich nur deſſen zu ſchämen, was er ſelbſt verſchuldet, und
daran ſchon hinlänglich. Die erſte Veranlaſſung liegt aber
auch weniger in Perſonen als in Sachen. Plötzlicher, mühe-
loſer Geldgewinn hat auf Einzelne wie auf ganze Völker
den ſchlimmſten Einfluß, macht ſie habgierig, ſelbſtſüchtig,
ſchlaff, üppig, übermüthig, treulos. Dieſer Geldgewinn wird
nun ſchon dadurch herbeigeführt, daß Reiche mit Armen in
geſchäftliche Berührungen treten. Das Beiſpiel des Luxus
und des Müßiggangs kommt hinzu. Ueber Dinge, die nicht

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0285" n="271"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">VIII.</hi> Ein Landpa&#x017F;tor &#x2014; Stadt- und Landleute.</fw><lb/>
auch auf Curplätze er&#x017F;trecken, bildeten ein&#x017F;t den Gegen&#x017F;tand<lb/>
einer Unterredung mit einem Landpa&#x017F;tor. Ich hatte ihn<lb/>
gefragt, warum er nicht von &#x017F;einem vortrefflich gelegenen,<lb/>
&#x017F;ehr geräumigen, in allen Beziehungen wohl geeigneten Hau&#x017F;e<lb/>
eine Anzahl Zimmer an Sommercurgä&#x017F;te vermiethe, die fort-<lb/>
während ihn darum be&#x017F;türmten. Es war ein würdiger, in<lb/>
der ganzen Gegend hochge&#x017F;chätzter alter Herr, ehemals Mi&#x017F;&#x017F;io-<lb/>
när in <placeName>Südafrica</placeName>, Vieler Wohlthäter und ein&#x017F;ichtiger Be-<lb/>
rather. &#x2014; Kranken in ihrer Heilung behilflich zu &#x017F;ein, ant-<lb/>
wortete er, würde ja einem Gei&#x017F;tlichen durchaus an&#x017F;tehen,<lb/>
auch wi&#x017F;&#x017F;e er wohl, daß viele &#x017F;einer Amtsbrüder anderwärts<lb/>
keinen An&#x017F;tand an der Sache nehmen; er könne &#x017F;ich aber<lb/>
nicht dazu ent&#x017F;chließen, weil &#x017F;ein Gewi&#x017F;&#x017F;en ihm verbiete, mit-<lb/>
zuhelfen, &#x017F;eine Landleute mit Stadtleuten in Berührung zu<lb/>
bringen, denn gewinne auch ihr materieller und gei&#x017F;tiger, &#x017F;o<lb/>
verliere doch der Wohl&#x017F;tand ihrer Seele zehnfach dabei. &#x2014;</p><lb/>
        <p>Als eine per&#x017F;önliche Kränkung konnte ich die&#x017F;e Worte von<lb/>
dem Manne offenbar nicht auffa&#x017F;&#x017F;en, dennoch machten &#x017F;ie<lb/>
einen peinlichen Eindruck auf mich. Er mochte das bemerkt<lb/>
haben, denn er nahm jetzt meinen Arm und entwickelte,<lb/>
während wir im Garten auf und ab gingen, &#x017F;eine An&#x017F;ichten<lb/>
über die Angelegenheit in einer, von gewöhnlichem Kanzelton<lb/>
&#x017F;o weit entfernten, &#x017F;chlichten, eindringlichen Wei&#x017F;e, daß ich<lb/>
ausrufen mußte: es i&#x017F;t wahr, man &#x017F;ollte &#x017F;ich fa&#x017F;t &#x017F;chämen,<lb/>
zur Ka&#x017F;te der Touri&#x017F;ten und Curgä&#x017F;te zu gehören.</p><lb/>
        <p>&#x2014; Das habe ich nicht &#x017F;agen wollen, erwiederte er. Jeder<lb/>
hat &#x017F;ich nur de&#x017F;&#x017F;en zu &#x017F;chämen, was er &#x017F;elb&#x017F;t ver&#x017F;chuldet, und<lb/>
daran &#x017F;chon hinlänglich. Die er&#x017F;te Veranla&#x017F;&#x017F;ung liegt aber<lb/>
auch weniger in Per&#x017F;onen als in Sachen. Plötzlicher, mühe-<lb/>
lo&#x017F;er Geldgewinn hat auf Einzelne wie auf ganze Völker<lb/>
den &#x017F;chlimm&#x017F;ten Einfluß, macht &#x017F;ie habgierig, &#x017F;elb&#x017F;t&#x017F;üchtig,<lb/>
&#x017F;chlaff, üppig, übermüthig, treulos. Die&#x017F;er Geldgewinn wird<lb/>
nun &#x017F;chon dadurch herbeigeführt, daß Reiche mit Armen in<lb/>
ge&#x017F;chäftliche Berührungen treten. Das Bei&#x017F;piel des Luxus<lb/>
und des Müßiggangs kommt hinzu. Ueber Dinge, die nicht<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[271/0285] VIII. Ein Landpaſtor — Stadt- und Landleute. auch auf Curplätze erſtrecken, bildeten einſt den Gegenſtand einer Unterredung mit einem Landpaſtor. Ich hatte ihn gefragt, warum er nicht von ſeinem vortrefflich gelegenen, ſehr geräumigen, in allen Beziehungen wohl geeigneten Hauſe eine Anzahl Zimmer an Sommercurgäſte vermiethe, die fort- während ihn darum beſtürmten. Es war ein würdiger, in der ganzen Gegend hochgeſchätzter alter Herr, ehemals Miſſio- när in Südafrica, Vieler Wohlthäter und einſichtiger Be- rather. — Kranken in ihrer Heilung behilflich zu ſein, ant- wortete er, würde ja einem Geiſtlichen durchaus anſtehen, auch wiſſe er wohl, daß viele ſeiner Amtsbrüder anderwärts keinen Anſtand an der Sache nehmen; er könne ſich aber nicht dazu entſchließen, weil ſein Gewiſſen ihm verbiete, mit- zuhelfen, ſeine Landleute mit Stadtleuten in Berührung zu bringen, denn gewinne auch ihr materieller und geiſtiger, ſo verliere doch der Wohlſtand ihrer Seele zehnfach dabei. — Als eine perſönliche Kränkung konnte ich dieſe Worte von dem Manne offenbar nicht auffaſſen, dennoch machten ſie einen peinlichen Eindruck auf mich. Er mochte das bemerkt haben, denn er nahm jetzt meinen Arm und entwickelte, während wir im Garten auf und ab gingen, ſeine Anſichten über die Angelegenheit in einer, von gewöhnlichem Kanzelton ſo weit entfernten, ſchlichten, eindringlichen Weiſe, daß ich ausrufen mußte: es iſt wahr, man ſollte ſich faſt ſchämen, zur Kaſte der Touriſten und Curgäſte zu gehören. — Das habe ich nicht ſagen wollen, erwiederte er. Jeder hat ſich nur deſſen zu ſchämen, was er ſelbſt verſchuldet, und daran ſchon hinlänglich. Die erſte Veranlaſſung liegt aber auch weniger in Perſonen als in Sachen. Plötzlicher, mühe- loſer Geldgewinn hat auf Einzelne wie auf ganze Völker den ſchlimmſten Einfluß, macht ſie habgierig, ſelbſtſüchtig, ſchlaff, üppig, übermüthig, treulos. Dieſer Geldgewinn wird nun ſchon dadurch herbeigeführt, daß Reiche mit Armen in geſchäftliche Berührungen treten. Das Beiſpiel des Luxus und des Müßiggangs kommt hinzu. Ueber Dinge, die nicht

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/michelis_reiseschule_1869
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/michelis_reiseschule_1869/285
Zitationshilfe: Michelis, Arthur: Reiseschule für Touristen und Curgäste. Leipzig, 1869, S. 271. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/michelis_reiseschule_1869/285>, abgerufen am 16.05.2024.