Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Michelis, Arthur: Reiseschule für Touristen und Curgäste. Leipzig, 1869.

Bild:
<< vorherige Seite

VIII. Steckenpferdezucht -- Zerstreuungsjäger -- pariser Ennui.
eine gesammelte, nachdrückliche Thätigkeit vorausgegangen
sein, während die fortgesetzte Jagd auf Zerstreuung in die
schlimmste aller Sammlungen ausläuft: eine Sammlung von
Spirituosen im Leibe oder von Grillen und Schrullen, Ge-
spinnsten und Dünsten im Kopfe. So sind denn auch auf
der Reise die sogenannten "Steckenpferde" (über deren Zucht
schon S. 157 und 230 gesprochen wurde), wie z. B. eben
Sammlungen, bessere Vehikel, als alle Vierfüßler und Loco-
motiven. Im Sentenzenstil ließe sich sagen: -- wollt Ihr
Euch zerstreuen, so sammelt.

Gewisse Zeitalter und große Luxusplätze liefern bündige
Beweise für alles das. Keine Stadt existirt, in welcher man
größere Scheu vor Langerweile hat und die eine reichere
Mannigfaltigkeit von Waffen gegen sie schmiedet und feil-
bietet, als Paris, und -- nirgend sonst hört und liest man
so viel jammern über Langeweile. An der Kriegslust (im
Vorbeigehen bemerkt, auch an der pariser Duellwuth, die in der
Wirklichkeit fast ebenso heftig grassirt, als in Comödien und
Romanen) gewisser Bevölkerungsschichten hat auch eingeständ-
lich noch mehr, als die Ruhmsucht und der militärische Kitzel,
die Emotionssucht Antheil. Paris langweilt sich, was die
französische Stilistik ohne Weiteres "la France s'ennuie"
ausdrückt. Darum muß die Welt mit Krieg überzogen wer-
den. Paris ist der Kopf von Frankreich, Frankreich der Kopf
der Welt, diese muß sich mithin fügen, wenn jener beschließt.

Aehnlich ist es mit Badeorten. In allen, den großen und
kleinen, kann man zwar seufzen hören: "dieses X Y Z ist
doch ein langweiliges Nest", am häufigsten und im Tone
vollster Ueberzeugung und tiefster Entrüstung glaube ich die
Klage aber gerade in den großen Modebädern vernommen zu
haben, die in der That das Menschenmögliche thun, um
ihren hochverehrten p. t. Gästen alles das zu bieten, was in
der Welt für unterhaltend gilt: Spiel, Theater, Concerte,
Bälle, Schaustellungen verschiedenster Art, Treibjagden, Wett-
rennen, Feuerwerke, Regatten, reizende Garten- und Park-

VIII. Steckenpferdezucht — Zerſtreuungsjäger — pariſer Ennui.
eine geſammelte, nachdrückliche Thätigkeit vorausgegangen
ſein, während die fortgeſetzte Jagd auf Zerſtreuung in die
ſchlimmſte aller Sammlungen ausläuft: eine Sammlung von
Spirituoſen im Leibe oder von Grillen und Schrullen, Ge-
ſpinnſten und Dünſten im Kopfe. So ſind denn auch auf
der Reiſe die ſogenannten „Steckenpferde“ (über deren Zucht
ſchon S. 157 und 230 geſprochen wurde), wie z. B. eben
Sammlungen, beſſere Vehikel, als alle Vierfüßler und Loco-
motiven. Im Sentenzenſtil ließe ſich ſagen: — wollt Ihr
Euch zerſtreuen, ſo ſammelt.

Gewiſſe Zeitalter und große Luxusplätze liefern bündige
Beweiſe für alles das. Keine Stadt exiſtirt, in welcher man
größere Scheu vor Langerweile hat und die eine reichere
Mannigfaltigkeit von Waffen gegen ſie ſchmiedet und feil-
bietet, als Paris, und — nirgend ſonſt hört und lieſt man
ſo viel jammern über Langeweile. An der Kriegsluſt (im
Vorbeigehen bemerkt, auch an der pariſer Duellwuth, die in der
Wirklichkeit faſt ebenſo heftig graſſirt, als in Comödien und
Romanen) gewiſſer Bevölkerungsſchichten hat auch eingeſtänd-
lich noch mehr, als die Ruhmſucht und der militäriſche Kitzel,
die Emotionsſucht Antheil. Paris langweilt ſich, was die
franzöſiſche Stiliſtik ohne Weiteres „la France s’ennuie“
ausdrückt. Darum muß die Welt mit Krieg überzogen wer-
den. Paris iſt der Kopf von Frankreich, Frankreich der Kopf
der Welt, dieſe muß ſich mithin fügen, wenn jener beſchließt.

Aehnlich iſt es mit Badeorten. In allen, den großen und
kleinen, kann man zwar ſeufzen hören: „dieſes X Y Z iſt
doch ein langweiliges Neſt“, am häufigſten und im Tone
vollſter Ueberzeugung und tiefſter Entrüſtung glaube ich die
Klage aber gerade in den großen Modebädern vernommen zu
haben, die in der That das Menſchenmögliche thun, um
ihren hochverehrten p. t. Gäſten alles das zu bieten, was in
der Welt für unterhaltend gilt: Spiel, Theater, Concerte,
Bälle, Schauſtellungen verſchiedenſter Art, Treibjagden, Wett-
rennen, Feuerwerke, Regatten, reizende Garten- und Park-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0274" n="260"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">VIII.</hi> Steckenpferdezucht &#x2014; Zer&#x017F;treuungsjäger &#x2014; pari&#x017F;er Ennui.</fw><lb/>
eine ge&#x017F;ammelte, nachdrückliche Thätigkeit vorausgegangen<lb/>
&#x017F;ein, während die fortge&#x017F;etzte Jagd auf Zer&#x017F;treuung in die<lb/>
&#x017F;chlimm&#x017F;te aller Sammlungen ausläuft: eine Sammlung von<lb/>
Spirituo&#x017F;en im Leibe oder von Grillen und Schrullen, Ge-<lb/>
&#x017F;pinn&#x017F;ten und Dün&#x017F;ten im Kopfe. So &#x017F;ind denn auch auf<lb/>
der Rei&#x017F;e die &#x017F;ogenannten &#x201E;Steckenpferde&#x201C; (über deren Zucht<lb/>
&#x017F;chon S. 157 und 230 ge&#x017F;prochen wurde), wie z. B. eben<lb/>
Sammlungen, be&#x017F;&#x017F;ere Vehikel, als alle Vierfüßler und Loco-<lb/>
motiven. Im Sentenzen&#x017F;til ließe &#x017F;ich &#x017F;agen: &#x2014; wollt Ihr<lb/>
Euch zer&#x017F;treuen, &#x017F;o &#x017F;ammelt.</p><lb/>
        <p>Gewi&#x017F;&#x017F;e Zeitalter und große Luxusplätze liefern bündige<lb/>
Bewei&#x017F;e für alles das. Keine Stadt exi&#x017F;tirt, in welcher man<lb/>
größere Scheu vor Langerweile hat und die eine reichere<lb/>
Mannigfaltigkeit von Waffen gegen &#x017F;ie &#x017F;chmiedet und feil-<lb/>
bietet, als <hi rendition="#g"><placeName>Paris</placeName></hi>, und &#x2014; nirgend &#x017F;on&#x017F;t hört und lie&#x017F;t man<lb/>
&#x017F;o viel jammern über Langeweile. An der Kriegslu&#x017F;t (im<lb/>
Vorbeigehen bemerkt, auch an der pari&#x017F;er Duellwuth, die in der<lb/>
Wirklichkeit fa&#x017F;t eben&#x017F;o heftig gra&#x017F;&#x017F;irt, als in Comödien und<lb/>
Romanen) gewi&#x017F;&#x017F;er Bevölkerungs&#x017F;chichten hat auch einge&#x017F;tänd-<lb/>
lich noch mehr, als die Ruhm&#x017F;ucht und der militäri&#x017F;che Kitzel,<lb/>
die Emotions&#x017F;ucht Antheil. <placeName>Paris</placeName> langweilt &#x017F;ich, was die<lb/>
franzö&#x017F;i&#x017F;che Stili&#x017F;tik ohne Weiteres <hi rendition="#aq">&#x201E;la <placeName>France</placeName> s&#x2019;ennuie&#x201C;</hi><lb/>
ausdrückt. Darum muß die Welt mit Krieg überzogen wer-<lb/>
den. <placeName>Paris</placeName> i&#x017F;t der Kopf von <placeName>Frankreich</placeName>, <placeName>Frankreich</placeName> der Kopf<lb/>
der Welt, die&#x017F;e muß &#x017F;ich mithin fügen, wenn jener be&#x017F;chließt.</p><lb/>
        <p>Aehnlich i&#x017F;t es mit Badeorten. In allen, den großen und<lb/>
kleinen, kann man zwar &#x017F;eufzen hören: &#x201E;die&#x017F;es X Y Z i&#x017F;t<lb/>
doch ein langweiliges Ne&#x017F;t&#x201C;, am häufig&#x017F;ten und im Tone<lb/>
voll&#x017F;ter Ueberzeugung und tief&#x017F;ter Entrü&#x017F;tung glaube ich die<lb/>
Klage aber gerade in den großen Modebädern vernommen zu<lb/>
haben, die in der That das Men&#x017F;chenmögliche thun, um<lb/>
ihren hochverehrten <hi rendition="#aq">p. t.</hi>&#x017F;ten alles das zu bieten, was in<lb/>
der Welt für unterhaltend gilt: Spiel, Theater, Concerte,<lb/>
Bälle, Schau&#x017F;tellungen ver&#x017F;chieden&#x017F;ter Art, Treibjagden, Wett-<lb/>
rennen, Feuerwerke, Regatten, reizende Garten- und Park-<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[260/0274] VIII. Steckenpferdezucht — Zerſtreuungsjäger — pariſer Ennui. eine geſammelte, nachdrückliche Thätigkeit vorausgegangen ſein, während die fortgeſetzte Jagd auf Zerſtreuung in die ſchlimmſte aller Sammlungen ausläuft: eine Sammlung von Spirituoſen im Leibe oder von Grillen und Schrullen, Ge- ſpinnſten und Dünſten im Kopfe. So ſind denn auch auf der Reiſe die ſogenannten „Steckenpferde“ (über deren Zucht ſchon S. 157 und 230 geſprochen wurde), wie z. B. eben Sammlungen, beſſere Vehikel, als alle Vierfüßler und Loco- motiven. Im Sentenzenſtil ließe ſich ſagen: — wollt Ihr Euch zerſtreuen, ſo ſammelt. Gewiſſe Zeitalter und große Luxusplätze liefern bündige Beweiſe für alles das. Keine Stadt exiſtirt, in welcher man größere Scheu vor Langerweile hat und die eine reichere Mannigfaltigkeit von Waffen gegen ſie ſchmiedet und feil- bietet, als Paris, und — nirgend ſonſt hört und lieſt man ſo viel jammern über Langeweile. An der Kriegsluſt (im Vorbeigehen bemerkt, auch an der pariſer Duellwuth, die in der Wirklichkeit faſt ebenſo heftig graſſirt, als in Comödien und Romanen) gewiſſer Bevölkerungsſchichten hat auch eingeſtänd- lich noch mehr, als die Ruhmſucht und der militäriſche Kitzel, die Emotionsſucht Antheil. Paris langweilt ſich, was die franzöſiſche Stiliſtik ohne Weiteres „la France s’ennuie“ ausdrückt. Darum muß die Welt mit Krieg überzogen wer- den. Paris iſt der Kopf von Frankreich, Frankreich der Kopf der Welt, dieſe muß ſich mithin fügen, wenn jener beſchließt. Aehnlich iſt es mit Badeorten. In allen, den großen und kleinen, kann man zwar ſeufzen hören: „dieſes X Y Z iſt doch ein langweiliges Neſt“, am häufigſten und im Tone vollſter Ueberzeugung und tiefſter Entrüſtung glaube ich die Klage aber gerade in den großen Modebädern vernommen zu haben, die in der That das Menſchenmögliche thun, um ihren hochverehrten p. t. Gäſten alles das zu bieten, was in der Welt für unterhaltend gilt: Spiel, Theater, Concerte, Bälle, Schauſtellungen verſchiedenſter Art, Treibjagden, Wett- rennen, Feuerwerke, Regatten, reizende Garten- und Park-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/michelis_reiseschule_1869
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/michelis_reiseschule_1869/274
Zitationshilfe: Michelis, Arthur: Reiseschule für Touristen und Curgäste. Leipzig, 1869, S. 260. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/michelis_reiseschule_1869/274>, abgerufen am 22.05.2024.