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Michelis, Arthur: Reiseschule für Touristen und Curgäste. Leipzig, 1869.

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VII. Wurfeltintefaß -- I & you -- warum sie reisen.
vom Leibe, ist durchweg die Losung. Die große Insel ist
aus lauter kleinen Inseln zusammengesetzt. Auch das bekannte
würfelförmige Reisetintefaß -- natürlich abermals seine Er-
findung -- ist ein echter Engländer: eben so scharfeckig und
kantig, hart, rauh und ledern, wie er, nur Eins hat es vor
ihm voraus: es besitzt eine nachgiebige Stelle, an welcher es
zu öffnen ist, die ich am Menschen nie habe entdecken können.
Sogar in seiner Schrift drückt sich die Selbstüberhebung aus.
Sein liebes Ich. I, ist ein einzelner, großer Buchstabe, der
wie ein Mastbaum stolz in die Luft ragt; zur Anrede you
braucht er einige kleine, tief zur Erde gebückte, schweifwedelnde
Buchstaben. Wie der Einzelne, so die Nation. Alle Meere
sind nur für ihre Flotten, alle Länder für ihre Waaren ge-
schaffen, und stets wissen sie es einzurichten, daß sie den
Hauptvortheil haben, was im Völkerverkehr außer Geld noch
Ruhm und Macht bedeutet. Unablässig trachten sie, auf
Kosten Aermerer ihren colossalen Reichthum noch zu ver-
mehren. Ihre Politik ist die selbstsüchtigste, schnödeste, perfi-
deste, die sich denken läßt.

-- Daß sie so viel reisen, ist kein Wunder, eifert der
Belgier weiter. Sie wollen den Nebeln und Steinkohlen-
dämpfen drüben entgehen, die sie verhindern, den Mund zu
öffnen, und vermuthlich schuld sind, daß ihre Sprache so
garstig klingt. Ferner suchen sie dem Schmiedehammergetöse
ihrer Fabriken auszuweichen, oder geistige Luftveränderung
ist es, nach der es sie drängt; sie wollen heraus aus dem
Lande des Schweigens, der langen Gesichter und der langen
Zeitungsspalten, wo jeder Mensch, der nicht arbeitet, ein
Journal in der Hand hält, um ungestört gähnen zu können.
Vielen soll es auch darum zu thun sein, den theuren Preisen
der Heimat, oder ihren Gläubigern sich zu entziehen. Andere
haben zuviel Geld und Zeit übrig -- blicken wir nur in die
Fremdenbücher, sie sind ja alle Rentiers --, wissen zuhause
mit beiden und mit sich selber nichts anzufangen und suchen
sich dadurch einigermaßen zu unterhalten, daß sie uns Uebri-

VII. Wurfeltintefaß — I & you — warum ſie reiſen.
vom Leibe, iſt durchweg die Loſung. Die große Inſel iſt
aus lauter kleinen Inſeln zuſammengeſetzt. Auch das bekannte
würfelförmige Reiſetintefaß — natürlich abermals ſeine Er-
findung — iſt ein echter Engländer: eben ſo ſcharfeckig und
kantig, hart, rauh und ledern, wie er, nur Eins hat es vor
ihm voraus: es beſitzt eine nachgiebige Stelle, an welcher es
zu öffnen iſt, die ich am Menſchen nie habe entdecken können.
Sogar in ſeiner Schrift drückt ſich die Selbſtüberhebung aus.
Sein liebes Ich. I, iſt ein einzelner, großer Buchſtabe, der
wie ein Maſtbaum ſtolz in die Luft ragt; zur Anrede you
braucht er einige kleine, tief zur Erde gebückte, ſchweifwedelnde
Buchſtaben. Wie der Einzelne, ſo die Nation. Alle Meere
ſind nur für ihre Flotten, alle Länder für ihre Waaren ge-
ſchaffen, und ſtets wiſſen ſie es einzurichten, daß ſie den
Hauptvortheil haben, was im Völkerverkehr außer Geld noch
Ruhm und Macht bedeutet. Unabläſſig trachten ſie, auf
Koſten Aermerer ihren coloſſalen Reichthum noch zu ver-
mehren. Ihre Politik iſt die ſelbſtſüchtigſte, ſchnödeſte, perfi-
deſte, die ſich denken läßt.

— Daß ſie ſo viel reiſen, iſt kein Wunder, eifert der
Belgier weiter. Sie wollen den Nebeln und Steinkohlen-
dämpfen drüben entgehen, die ſie verhindern, den Mund zu
öffnen, und vermuthlich ſchuld ſind, daß ihre Sprache ſo
garſtig klingt. Ferner ſuchen ſie dem Schmiedehammergetöſe
ihrer Fabriken auszuweichen, oder geiſtige Luftveränderung
iſt es, nach der es ſie drängt; ſie wollen heraus aus dem
Lande des Schweigens, der langen Geſichter und der langen
Zeitungsſpalten, wo jeder Menſch, der nicht arbeitet, ein
Journal in der Hand hält, um ungeſtört gähnen zu können.
Vielen ſoll es auch darum zu thun ſein, den theuren Preiſen
der Heimat, oder ihren Gläubigern ſich zu entziehen. Andere
haben zuviel Geld und Zeit übrig — blicken wir nur in die
Fremdenbücher, ſie ſind ja alle Rentiers —, wiſſen zuhauſe
mit beiden und mit ſich ſelber nichts anzufangen und ſuchen
ſich dadurch einigermaßen zu unterhalten, daß ſie uns Uebri-

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[206/0220] VII. Wurfeltintefaß — I & you — warum ſie reiſen. vom Leibe, iſt durchweg die Loſung. Die große Inſel iſt aus lauter kleinen Inſeln zuſammengeſetzt. Auch das bekannte würfelförmige Reiſetintefaß — natürlich abermals ſeine Er- findung — iſt ein echter Engländer: eben ſo ſcharfeckig und kantig, hart, rauh und ledern, wie er, nur Eins hat es vor ihm voraus: es beſitzt eine nachgiebige Stelle, an welcher es zu öffnen iſt, die ich am Menſchen nie habe entdecken können. Sogar in ſeiner Schrift drückt ſich die Selbſtüberhebung aus. Sein liebes Ich. I, iſt ein einzelner, großer Buchſtabe, der wie ein Maſtbaum ſtolz in die Luft ragt; zur Anrede you braucht er einige kleine, tief zur Erde gebückte, ſchweifwedelnde Buchſtaben. Wie der Einzelne, ſo die Nation. Alle Meere ſind nur für ihre Flotten, alle Länder für ihre Waaren ge- ſchaffen, und ſtets wiſſen ſie es einzurichten, daß ſie den Hauptvortheil haben, was im Völkerverkehr außer Geld noch Ruhm und Macht bedeutet. Unabläſſig trachten ſie, auf Koſten Aermerer ihren coloſſalen Reichthum noch zu ver- mehren. Ihre Politik iſt die ſelbſtſüchtigſte, ſchnödeſte, perfi- deſte, die ſich denken läßt. — Daß ſie ſo viel reiſen, iſt kein Wunder, eifert der Belgier weiter. Sie wollen den Nebeln und Steinkohlen- dämpfen drüben entgehen, die ſie verhindern, den Mund zu öffnen, und vermuthlich ſchuld ſind, daß ihre Sprache ſo garſtig klingt. Ferner ſuchen ſie dem Schmiedehammergetöſe ihrer Fabriken auszuweichen, oder geiſtige Luftveränderung iſt es, nach der es ſie drängt; ſie wollen heraus aus dem Lande des Schweigens, der langen Geſichter und der langen Zeitungsſpalten, wo jeder Menſch, der nicht arbeitet, ein Journal in der Hand hält, um ungeſtört gähnen zu können. Vielen ſoll es auch darum zu thun ſein, den theuren Preiſen der Heimat, oder ihren Gläubigern ſich zu entziehen. Andere haben zuviel Geld und Zeit übrig — blicken wir nur in die Fremdenbücher, ſie ſind ja alle Rentiers —, wiſſen zuhauſe mit beiden und mit ſich ſelber nichts anzufangen und ſuchen ſich dadurch einigermaßen zu unterhalten, daß ſie uns Uebri-

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Zitationshilfe: Michelis, Arthur: Reiseschule für Touristen und Curgäste. Leipzig, 1869, S. 206. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/michelis_reiseschule_1869/220>, abgerufen am 06.05.2024.