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Michelis, Arthur: Reiseschule für Touristen und Curgäste. Leipzig, 1869.

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VI. Wohlfeilste schweizer Reise.
vörderst, Ihre Freunde daheim entweder gar nichts von
Ihren Plänen merken zu lassen -- dies rieth für alle Reisen
schon der weise Franklin -- oder höchstens zu verlautbaren,
daß Sie nur ein paar Gletscher besichtigen und malen woll-
ten, die Route stehe noch nicht fest, jedenfalls würden Sie
nicht viel umherschwärmen, sondern verweilen, wo es Ihnen
gefällt und von da Partien machen. Lassen Sie sich herbei,
Namen von Oertlichkeiten zu nennen, so können Sie einem
Sturzbade von Rathschlägen nicht entgehen. "Aber Du wirst
doch ...", "unmöglich können Sie doch ..." dringt von allen
Seiten auf Sie ein. Folgen Sie mir, nennen Sie keinen
Namen. Auch die alten Lateiner wußten, daß nomina odiosa
sind, und bei uns bedeutet to tell names, Namen nennen,
nahezu Aergerniß geben. Einfließen lassen können Sie, daß
Ihr Ehrgeiz nicht danach ringe, alle touristischen Gemein-
plätze abgelaufen zu haben, um, zurückgekehrt, sagen zu kön-
nen, da und da war ich, auch das und das sah ich, ja wohl,
und über die Reize jeder Fernsicht, jedes Wasserfalls zu strei-
ten. Im Gegentheile, wie Ihre Gewohnheit sei, nicht viele
Bücher, sondern gute wiederholt zu lesen, so gedächten Sie
es auch mit den Alpen zu halten. Immer mit dem Strome
schwimmen, sei nicht Ihre Sache, ihm direct entgegen reichten
die Kräfte nicht, wohl aber, ihn hier und da zu kreuzen und
am Ufer die besten Plätzchen zu wählen. Wer nur immer
neue Landschaften in rascher Folge sehen wolle, thue besser,
an einem Stereoskopenkasten sich die ersehnte Abwechslung zu
erdrehen. Basta.

Haben Sie nun Ihr Bahnbillet dritter Classe, die
nöthigen Goldstücke und Mundvorrath bei sich, so bringen
Sie getrost die folgende Nacht im Wagen zu, um etwa in
Zürich, wo Sie Quartier nehmen und "einige Tage" ver-
weilen, auszuschlafen. Auf der Hinreise besuchen Sie süd-
deutsche Städte gar nicht; ob und wie lange dies geschehen
soll, ist eine Frage für den Rückweg, bei der Ihr Seckel als-
dann mitzusprechen hat. Im Alpengebiete angekommen, mei-

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VI. Wohlfeilſte ſchweizer Reiſe.
vörderſt, Ihre Freunde daheim entweder gar nichts von
Ihren Plänen merken zu laſſen — dies rieth für alle Reiſen
ſchon der weiſe Franklin — oder höchſtens zu verlautbaren,
daß Sie nur ein paar Gletſcher beſichtigen und malen woll-
ten, die Route ſtehe noch nicht feſt, jedenfalls würden Sie
nicht viel umherſchwärmen, ſondern verweilen, wo es Ihnen
gefällt und von da Partien machen. Laſſen Sie ſich herbei,
Namen von Oertlichkeiten zu nennen, ſo können Sie einem
Sturzbade von Rathſchlägen nicht entgehen. „Aber Du wirſt
doch …“, „unmöglich können Sie doch …“ dringt von allen
Seiten auf Sie ein. Folgen Sie mir, nennen Sie keinen
Namen. Auch die alten Lateiner wußten, daß nomina odiosa
ſind, und bei uns bedeutet to tell names, Namen nennen,
nahezu Aergerniß geben. Einfließen laſſen können Sie, daß
Ihr Ehrgeiz nicht danach ringe, alle touriſtiſchen Gemein-
plätze abgelaufen zu haben, um, zurückgekehrt, ſagen zu kön-
nen, da und da war ich, auch das und das ſah ich, ja wohl,
und über die Reize jeder Fernſicht, jedes Waſſerfalls zu ſtrei-
ten. Im Gegentheile, wie Ihre Gewohnheit ſei, nicht viele
Bücher, ſondern gute wiederholt zu leſen, ſo gedächten Sie
es auch mit den Alpen zu halten. Immer mit dem Strome
ſchwimmen, ſei nicht Ihre Sache, ihm direct entgegen reichten
die Kräfte nicht, wohl aber, ihn hier und da zu kreuzen und
am Ufer die beſten Plätzchen zu wählen. Wer nur immer
neue Landſchaften in raſcher Folge ſehen wolle, thue beſſer,
an einem Stereoſkopenkaſten ſich die erſehnte Abwechslung zu
erdrehen. Baſta.

Haben Sie nun Ihr Bahnbillet dritter Claſſe, die
nöthigen Goldſtücke und Mundvorrath bei ſich, ſo bringen
Sie getroſt die folgende Nacht im Wagen zu, um etwa in
Zürich, wo Sie Quartier nehmen und „einige Tage“ ver-
weilen, auszuſchlafen. Auf der Hinreiſe beſuchen Sie ſüd-
deutſche Städte gar nicht; ob und wie lange dies geſchehen
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dann mitzuſprechen hat. Im Alpengebiete angekommen, mei-

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[195/0209] VI. Wohlfeilſte ſchweizer Reiſe. vörderſt, Ihre Freunde daheim entweder gar nichts von Ihren Plänen merken zu laſſen — dies rieth für alle Reiſen ſchon der weiſe Franklin — oder höchſtens zu verlautbaren, daß Sie nur ein paar Gletſcher beſichtigen und malen woll- ten, die Route ſtehe noch nicht feſt, jedenfalls würden Sie nicht viel umherſchwärmen, ſondern verweilen, wo es Ihnen gefällt und von da Partien machen. Laſſen Sie ſich herbei, Namen von Oertlichkeiten zu nennen, ſo können Sie einem Sturzbade von Rathſchlägen nicht entgehen. „Aber Du wirſt doch …“, „unmöglich können Sie doch …“ dringt von allen Seiten auf Sie ein. Folgen Sie mir, nennen Sie keinen Namen. Auch die alten Lateiner wußten, daß nomina odiosa ſind, und bei uns bedeutet to tell names, Namen nennen, nahezu Aergerniß geben. Einfließen laſſen können Sie, daß Ihr Ehrgeiz nicht danach ringe, alle touriſtiſchen Gemein- plätze abgelaufen zu haben, um, zurückgekehrt, ſagen zu kön- nen, da und da war ich, auch das und das ſah ich, ja wohl, und über die Reize jeder Fernſicht, jedes Waſſerfalls zu ſtrei- ten. Im Gegentheile, wie Ihre Gewohnheit ſei, nicht viele Bücher, ſondern gute wiederholt zu leſen, ſo gedächten Sie es auch mit den Alpen zu halten. Immer mit dem Strome ſchwimmen, ſei nicht Ihre Sache, ihm direct entgegen reichten die Kräfte nicht, wohl aber, ihn hier und da zu kreuzen und am Ufer die beſten Plätzchen zu wählen. Wer nur immer neue Landſchaften in raſcher Folge ſehen wolle, thue beſſer, an einem Stereoſkopenkaſten ſich die erſehnte Abwechslung zu erdrehen. Baſta. Haben Sie nun Ihr Bahnbillet dritter Claſſe, die nöthigen Goldſtücke und Mundvorrath bei ſich, ſo bringen Sie getroſt die folgende Nacht im Wagen zu, um etwa in Zürich, wo Sie Quartier nehmen und „einige Tage“ ver- weilen, auszuſchlafen. Auf der Hinreiſe beſuchen Sie ſüd- deutſche Städte gar nicht; ob und wie lange dies geſchehen ſoll, iſt eine Frage für den Rückweg, bei der Ihr Seckel als- dann mitzuſprechen hat. Im Alpengebiete angekommen, mei- 13*

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Zitationshilfe: Michelis, Arthur: Reiseschule für Touristen und Curgäste. Leipzig, 1869, S. 195. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/michelis_reiseschule_1869/209>, abgerufen am 24.11.2024.