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Michelis, Arthur: Reiseschule für Touristen und Curgäste. Leipzig, 1869.

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VI. Weitere Bitten an Wirthe.
Thüren horchen, und zwar so ungeschickt, daß sie sich dabei
verrathen: Credit müssen sie doch einmal allen Einkehrenden
gewähren, deren Einige ihn monatelang beanspruchen, und
nicht unerhört sind Fälle, daß er mißbraucht wurde (z. B.
fanden sich einst bei amtlicher Oeffnung eines großen schweren
Koffers, der als Pfand zurückgelassen ward, nur mit Stroh
umwickelte Backsteine) -- gehen wir also mit unsren Gläu-
bigern nicht streng in's Gericht. Auch wollen wir ihnen
keine patriotischen Vorwürfe machen über ihre Französeleien,
denn sie können zu ihrer Entschuldigung anführen, daß
in ihrem Bereiche unsre südlichen Nachbarn eine un-
bestreitbar große Nation sind und der Civilisation die Bahn
gebrochen haben; sodann können sie geltend machen, daß,
obwohl Franzosen selbst wenig reisen, ihre Sprache doch oft
das einzige Mittel der Verständigung mit Gliedern anderer
Völker ist. Uebersehen wir endlich nicht, daß es unter den
Wirthen eine erkleckliche Anzahl braver, gewissenhafter,
achtungswerther, liebenswürdiger, unterrichteter Männer gibt
und daß wir aus dem Verkehr mit ihnen manche willkommene
Belehrung über Land und Leute schöpfen, mit Recht wird
daher empfohlen, auf dem Lande, in kleinen Orten und
in weiterer Ferne die Bekanntschaft der Wirthsfamilie zu
suchen.

Soviel als Zeichen, daß unter uns Gästen die Billig-
keit
nicht blos geliebt sondern auch geübt wird. -- Jetzt,
meine Herren Hoteliers, werden Sie wohl in der Laune sein
und auch "Zeit haben", einige Bitten und Beschwerden an-
zuhören. Erschrecken Sie nicht, die Erfüllung und Abstellung
ist nicht kostspielig. Erwägen Sie, daß Ihre Casse sich um
so besser steht, je mehr Sie Rücksicht nehmen auf unsre Ge-
sundheit und Behaglichkeit, je mehr Sie von unsren kleinen
Capricen errathen und je schonender Sie sie behandeln. Wir
verzichten dagegen auf tiefe, bücklingsvolle Unterwürfigkeit
und honigsüße Redensarten.

Das erste Anliegen, nächst dem schon Angedeuteten, ist:

VI. Weitere Bitten an Wirthe.
Thüren horchen, und zwar ſo ungeſchickt, daß ſie ſich dabei
verrathen: Credit müſſen ſie doch einmal allen Einkehrenden
gewähren, deren Einige ihn monatelang beanſpruchen, und
nicht unerhört ſind Fälle, daß er mißbraucht wurde (z. B.
fanden ſich einſt bei amtlicher Oeffnung eines großen ſchweren
Koffers, der als Pfand zurückgelaſſen ward, nur mit Stroh
umwickelte Backſteine) — gehen wir alſo mit unſren Gläu-
bigern nicht ſtreng in’s Gericht. Auch wollen wir ihnen
keine patriotiſchen Vorwürfe machen über ihre Franzöſeleien,
denn ſie können zu ihrer Entſchuldigung anführen, daß
in ihrem Bereiche unſre ſüdlichen Nachbarn eine un-
beſtreitbar große Nation ſind und der Civiliſation die Bahn
gebrochen haben; ſodann können ſie geltend machen, daß,
obwohl Franzoſen ſelbſt wenig reiſen, ihre Sprache doch oft
das einzige Mittel der Verſtändigung mit Gliedern anderer
Völker iſt. Ueberſehen wir endlich nicht, daß es unter den
Wirthen eine erkleckliche Anzahl braver, gewiſſenhafter,
achtungswerther, liebenswürdiger, unterrichteter Männer gibt
und daß wir aus dem Verkehr mit ihnen manche willkommene
Belehrung über Land und Leute ſchöpfen, mit Recht wird
daher empfohlen, auf dem Lande, in kleinen Orten und
in weiterer Ferne die Bekanntſchaft der Wirthsfamilie zu
ſuchen.

Soviel als Zeichen, daß unter uns Gäſten die Billig-
keit
nicht blos geliebt ſondern auch geübt wird. — Jetzt,
meine Herren Hôteliers, werden Sie wohl in der Laune ſein
und auch „Zeit haben“, einige Bitten und Beſchwerden an-
zuhören. Erſchrecken Sie nicht, die Erfüllung und Abſtellung
iſt nicht koſtſpielig. Erwägen Sie, daß Ihre Caſſe ſich um
ſo beſſer ſteht, je mehr Sie Rückſicht nehmen auf unſre Ge-
ſundheit und Behaglichkeit, je mehr Sie von unſren kleinen
Capricen errathen und je ſchonender Sie ſie behandeln. Wir
verzichten dagegen auf tiefe, bücklingsvolle Unterwürfigkeit
und honigſüße Redensarten.

Das erſte Anliegen, nächſt dem ſchon Angedeuteten, iſt:

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[184/0198] VI. Weitere Bitten an Wirthe. Thüren horchen, und zwar ſo ungeſchickt, daß ſie ſich dabei verrathen: Credit müſſen ſie doch einmal allen Einkehrenden gewähren, deren Einige ihn monatelang beanſpruchen, und nicht unerhört ſind Fälle, daß er mißbraucht wurde (z. B. fanden ſich einſt bei amtlicher Oeffnung eines großen ſchweren Koffers, der als Pfand zurückgelaſſen ward, nur mit Stroh umwickelte Backſteine) — gehen wir alſo mit unſren Gläu- bigern nicht ſtreng in’s Gericht. Auch wollen wir ihnen keine patriotiſchen Vorwürfe machen über ihre Franzöſeleien, denn ſie können zu ihrer Entſchuldigung anführen, daß in ihrem Bereiche unſre ſüdlichen Nachbarn eine un- beſtreitbar große Nation ſind und der Civiliſation die Bahn gebrochen haben; ſodann können ſie geltend machen, daß, obwohl Franzoſen ſelbſt wenig reiſen, ihre Sprache doch oft das einzige Mittel der Verſtändigung mit Gliedern anderer Völker iſt. Ueberſehen wir endlich nicht, daß es unter den Wirthen eine erkleckliche Anzahl braver, gewiſſenhafter, achtungswerther, liebenswürdiger, unterrichteter Männer gibt und daß wir aus dem Verkehr mit ihnen manche willkommene Belehrung über Land und Leute ſchöpfen, mit Recht wird daher empfohlen, auf dem Lande, in kleinen Orten und in weiterer Ferne die Bekanntſchaft der Wirthsfamilie zu ſuchen. Soviel als Zeichen, daß unter uns Gäſten die Billig- keit nicht blos geliebt ſondern auch geübt wird. — Jetzt, meine Herren Hôteliers, werden Sie wohl in der Laune ſein und auch „Zeit haben“, einige Bitten und Beſchwerden an- zuhören. Erſchrecken Sie nicht, die Erfüllung und Abſtellung iſt nicht koſtſpielig. Erwägen Sie, daß Ihre Caſſe ſich um ſo beſſer ſteht, je mehr Sie Rückſicht nehmen auf unſre Ge- ſundheit und Behaglichkeit, je mehr Sie von unſren kleinen Capricen errathen und je ſchonender Sie ſie behandeln. Wir verzichten dagegen auf tiefe, bücklingsvolle Unterwürfigkeit und honigſüße Redensarten. Das erſte Anliegen, nächſt dem ſchon Angedeuteten, iſt:

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Zitationshilfe: Michelis, Arthur: Reiseschule für Touristen und Curgäste. Leipzig, 1869, S. 184. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/michelis_reiseschule_1869/198>, abgerufen am 05.05.2024.