Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Michelis, Arthur: Reiseschule für Touristen und Curgäste. Leipzig, 1869.

Bild:
<< vorherige Seite

V. Verlorenes Paradies -- Oertliches -- Turnen.
zu klettern, oder mit einem staubigen respective kothigen
Fahrweg vorlieb zu nehmen, welcher zum Ueberfluß noch
von Mauern eingefaßt ist (vgl. S. 126). Mögen auch die
lieblichsten Orangenblütendüfte ihn umspielen, mag er die See
kosen, mag er sie branden hören, mag er wissen, daß rund
um ihn ein Paradies sich ausbreitet, er sieht es nicht, es ist
ein verlorenes Paradies für ihn, er hat das traurige Gefühl
der Gefangenschaft. Liegt das Haus im Ort selbst, so dürfen
nicht in nächster Nachbarschaft Gewerbe betrieben werden,
die den Gehörs- oder Geruchssinn beleidigen. Die Nähe
eines Ortes, in dem andere nordische Gäste und gebildete
Einheimische wohnen, hat noch manche Vortheile, z. B. daß
die Geselligkeit nicht blos auf die Elemente gestellt ist, die
sich zufällig in den vier Wänden einer Pension zusammen-
finden, daß ärztliche Hilfe nicht allzufern, daß Handwerker
und Händler für Bestellungen und Einkäufe zu Gebote
stehen u. s. w. Jeder Pensionshalter handelt ferner im
Interesse seiner Anstalt, wenn er auch Fremden, die nicht
bei ihm wohnen, Speisen und Getränke auf Verlangen
verabreichen läßt. Nicht bedarf es kostbarer Garten- und
Parkanlagen, wenn nur gesorgt ist für windgeschützte,
sonnige Ruheplätze; halbkreisförmige, nach Süden offene
Anpflanzungen der schönen immergrünen Stechpalme (Ilex)
sind dazu recht geeignet. Barren und Reck für Turn-
übungen lassen sich auch leicht anbringen. *) Von sonstigen
Einrichtungen sei nur noch namhaft gemacht eine kleine aus-
gewählte deutsche, englische und französische Bibliothek und
eine Anzahl Musikhefte -- alles das ist jetzt sehr wohlfeil --
und ein paar Zeitungen. Dem für letztere ausgesetzten Geld-
betrage würde mancher Gast aus eigenen Mitteln gern zu-

*) Auf der Tagesordnung meiner Winterpension stand auch eine Turnstunde,
in der theils Herren- und Damen-Riege gesondert, theils beide vereinigt übten,
bei schlechtem Wetter in einem Saale. Eine Quelle der Heiterkeit waren
namentlich die "Freiübungen", welche den Namen "epileptische Exercitien" er-
halten hatten.

V. Verlorenes Paradies — Oertliches — Turnen.
zu klettern, oder mit einem ſtaubigen reſpective kothigen
Fahrweg vorlieb zu nehmen, welcher zum Ueberfluß noch
von Mauern eingefaßt iſt (vgl. S. 126). Mögen auch die
lieblichſten Orangenblütendüfte ihn umſpielen, mag er die See
koſen, mag er ſie branden hören, mag er wiſſen, daß rund
um ihn ein Paradies ſich ausbreitet, er ſieht es nicht, es iſt
ein verlorenes Paradies für ihn, er hat das traurige Gefühl
der Gefangenſchaft. Liegt das Haus im Ort ſelbſt, ſo dürfen
nicht in nächſter Nachbarſchaft Gewerbe betrieben werden,
die den Gehörs- oder Geruchsſinn beleidigen. Die Nähe
eines Ortes, in dem andere nordiſche Gäſte und gebildete
Einheimiſche wohnen, hat noch manche Vortheile, z. B. daß
die Geſelligkeit nicht blos auf die Elemente geſtellt iſt, die
ſich zufällig in den vier Wänden einer Penſion zuſammen-
finden, daß ärztliche Hilfe nicht allzufern, daß Handwerker
und Händler für Beſtellungen und Einkäufe zu Gebote
ſtehen u. ſ. w. Jeder Penſionshalter handelt ferner im
Intereſſe ſeiner Anſtalt, wenn er auch Fremden, die nicht
bei ihm wohnen, Speiſen und Getränke auf Verlangen
verabreichen läßt. Nicht bedarf es koſtbarer Garten- und
Parkanlagen, wenn nur geſorgt iſt für windgeſchützte,
ſonnige Ruheplätze; halbkreisförmige, nach Süden offene
Anpflanzungen der ſchönen immergrünen Stechpalme (Ilex)
ſind dazu recht geeignet. Barren und Reck für Turn-
übungen laſſen ſich auch leicht anbringen. *) Von ſonſtigen
Einrichtungen ſei nur noch namhaft gemacht eine kleine aus-
gewählte deutſche, engliſche und franzöſiſche Bibliothek und
eine Anzahl Muſikhefte — alles das iſt jetzt ſehr wohlfeil —
und ein paar Zeitungen. Dem für letztere ausgeſetzten Geld-
betrage würde mancher Gaſt aus eigenen Mitteln gern zu-

*) Auf der Tagesordnung meiner Winterpenſion ſtand auch eine Turnſtunde,
in der theils Herren- und Damen-Riege geſondert, theils beide vereinigt übten,
bei ſchlechtem Wetter in einem Saale. Eine Quelle der Heiterkeit waren
namentlich die „Freiübungen“, welche den Namen „epileptiſche Exercitien“ er-
halten hatten.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0166" n="152"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">V.</hi> Verlorenes Paradies &#x2014; Oertliches &#x2014; Turnen.</fw><lb/><hi rendition="#g">zu klettern</hi>, oder mit einem &#x017F;taubigen re&#x017F;pective kothigen<lb/>
Fahrweg vorlieb zu nehmen, welcher zum Ueberfluß noch<lb/>
von Mauern eingefaßt i&#x017F;t (vgl. S. 126). Mögen auch die<lb/>
lieblich&#x017F;ten Orangenblütendüfte ihn um&#x017F;pielen, mag er die See<lb/>
ko&#x017F;en, mag er &#x017F;ie branden hören, mag er wi&#x017F;&#x017F;en, daß rund<lb/>
um ihn ein Paradies &#x017F;ich ausbreitet, er &#x017F;ieht es nicht, es i&#x017F;t<lb/>
ein verlorenes Paradies für ihn, er hat das traurige Gefühl<lb/>
der Gefangen&#x017F;chaft. Liegt das Haus im Ort &#x017F;elb&#x017F;t, &#x017F;o dürfen<lb/>
nicht in näch&#x017F;ter Nachbar&#x017F;chaft Gewerbe betrieben werden,<lb/>
die den Gehörs- oder Geruchs&#x017F;inn beleidigen. Die Nähe<lb/>
eines Ortes, in dem andere nordi&#x017F;che Gä&#x017F;te und gebildete<lb/>
Einheimi&#x017F;che wohnen, hat noch manche Vortheile, z. B. daß<lb/>
die Ge&#x017F;elligkeit nicht blos auf die Elemente ge&#x017F;tellt i&#x017F;t, die<lb/>
&#x017F;ich zufällig in den vier Wänden einer Pen&#x017F;ion zu&#x017F;ammen-<lb/>
finden, daß ärztliche Hilfe nicht allzufern, daß Handwerker<lb/>
und Händler für Be&#x017F;tellungen und Einkäufe zu Gebote<lb/>
&#x017F;tehen u. &#x017F;. w. Jeder Pen&#x017F;ionshalter handelt ferner im<lb/>
Intere&#x017F;&#x017F;e &#x017F;einer An&#x017F;talt, wenn er auch Fremden, die nicht<lb/>
bei ihm wohnen, Spei&#x017F;en und Getränke auf Verlangen<lb/>
verabreichen läßt. Nicht bedarf es ko&#x017F;tbarer Garten- und<lb/>
Parkanlagen, wenn nur ge&#x017F;orgt i&#x017F;t für windge&#x017F;chützte,<lb/>
&#x017F;onnige Ruheplätze; halbkreisförmige, nach Süden offene<lb/>
Anpflanzungen der &#x017F;chönen immergrünen Stechpalme (<hi rendition="#aq">Ilex</hi>)<lb/>
&#x017F;ind dazu recht geeignet. Barren und Reck für Turn-<lb/>
übungen la&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ich auch leicht anbringen. <note place="foot" n="*)">Auf der Tagesordnung meiner Winterpen&#x017F;ion &#x017F;tand auch eine Turn&#x017F;tunde,<lb/>
in der theils Herren- und Damen-Riege ge&#x017F;ondert, theils beide vereinigt übten,<lb/>
bei &#x017F;chlechtem Wetter in einem Saale. Eine Quelle der Heiterkeit waren<lb/>
namentlich die &#x201E;Freiübungen&#x201C;, welche den Namen &#x201E;epilepti&#x017F;che Exercitien&#x201C; er-<lb/>
halten hatten.</note> Von &#x017F;on&#x017F;tigen<lb/>
Einrichtungen &#x017F;ei nur noch namhaft gemacht eine kleine aus-<lb/>
gewählte deut&#x017F;che, engli&#x017F;che und franzö&#x017F;i&#x017F;che Bibliothek und<lb/>
eine Anzahl Mu&#x017F;ikhefte &#x2014; alles das i&#x017F;t jetzt &#x017F;ehr wohlfeil &#x2014;<lb/>
und ein paar Zeitungen. Dem für letztere ausge&#x017F;etzten Geld-<lb/>
betrage würde mancher Ga&#x017F;t aus eigenen Mitteln gern zu-<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[152/0166] V. Verlorenes Paradies — Oertliches — Turnen. zu klettern, oder mit einem ſtaubigen reſpective kothigen Fahrweg vorlieb zu nehmen, welcher zum Ueberfluß noch von Mauern eingefaßt iſt (vgl. S. 126). Mögen auch die lieblichſten Orangenblütendüfte ihn umſpielen, mag er die See koſen, mag er ſie branden hören, mag er wiſſen, daß rund um ihn ein Paradies ſich ausbreitet, er ſieht es nicht, es iſt ein verlorenes Paradies für ihn, er hat das traurige Gefühl der Gefangenſchaft. Liegt das Haus im Ort ſelbſt, ſo dürfen nicht in nächſter Nachbarſchaft Gewerbe betrieben werden, die den Gehörs- oder Geruchsſinn beleidigen. Die Nähe eines Ortes, in dem andere nordiſche Gäſte und gebildete Einheimiſche wohnen, hat noch manche Vortheile, z. B. daß die Geſelligkeit nicht blos auf die Elemente geſtellt iſt, die ſich zufällig in den vier Wänden einer Penſion zuſammen- finden, daß ärztliche Hilfe nicht allzufern, daß Handwerker und Händler für Beſtellungen und Einkäufe zu Gebote ſtehen u. ſ. w. Jeder Penſionshalter handelt ferner im Intereſſe ſeiner Anſtalt, wenn er auch Fremden, die nicht bei ihm wohnen, Speiſen und Getränke auf Verlangen verabreichen läßt. Nicht bedarf es koſtbarer Garten- und Parkanlagen, wenn nur geſorgt iſt für windgeſchützte, ſonnige Ruheplätze; halbkreisförmige, nach Süden offene Anpflanzungen der ſchönen immergrünen Stechpalme (Ilex) ſind dazu recht geeignet. Barren und Reck für Turn- übungen laſſen ſich auch leicht anbringen. *) Von ſonſtigen Einrichtungen ſei nur noch namhaft gemacht eine kleine aus- gewählte deutſche, engliſche und franzöſiſche Bibliothek und eine Anzahl Muſikhefte — alles das iſt jetzt ſehr wohlfeil — und ein paar Zeitungen. Dem für letztere ausgeſetzten Geld- betrage würde mancher Gaſt aus eigenen Mitteln gern zu- *) Auf der Tagesordnung meiner Winterpenſion ſtand auch eine Turnſtunde, in der theils Herren- und Damen-Riege geſondert, theils beide vereinigt übten, bei ſchlechtem Wetter in einem Saale. Eine Quelle der Heiterkeit waren namentlich die „Freiübungen“, welche den Namen „epileptiſche Exercitien“ er- halten hatten.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/michelis_reiseschule_1869
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/michelis_reiseschule_1869/166
Zitationshilfe: Michelis, Arthur: Reiseschule für Touristen und Curgäste. Leipzig, 1869, S. 152. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/michelis_reiseschule_1869/166>, abgerufen am 05.05.2024.