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Michelet, Karl Ludwig: Die Lösung der gesellschaftlichen Frage. Frankfurt (Oder) u. a., 1849.

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werken besondere Wohnungen. Bedeckte Galerien, welche das
ganze Gebäude umlaufen, dienen auf's Bequemste zum innern
Verkehr der Bewohner unter einander. Diese Galerien können
im Winter geheizt, im Sommer gelüftet werden.

Die Verwaltung denkt sich Fourier sehr einfach. Das Pha-
lansterium leitet der Unarch, über Millionen Phalangen gebietet
ein Donarch; der Vorsteher aller Phalangen auf der ganzen Welt
heißt Omniarch, und er müßte, nach Considerant's Vorschlag,
in Constantinopel seinen Sitz haben. Den Völkerbund des gan-
zen Erdballs haben nach Bernardin de Saint Pierre und Kant
die Saint-Simonisten und fast alle Vereinslehrer gefordert. Die
Verwaltung jedes einzelnen Phalansteriums vermiethet die einzelnen
Wohnungen nach dem Bedürfniß der Mitglieder, da die Ungleich-
heit des Einkommens und des Vermögens nicht aufgehoben ist.
Der Vortheil der Vergesellschaftung liegt am Tage. Wenn
zweitausend Menschen eine gemeinschaftliche Küche haben, so wird
durch geringeres Personal, gemeinschaftlichen Einkauf u. s. f. eine
größere Wohlfeilheit und Reichhaltigkeit erzielt, als bei der Ein-
zelwirthschaft möglich ist. Ebenso wird es mit den Befriedi-
gungen der andern Bedürfnisse sein. Am Abend kehrt Jeder zur
Erholung in den Schooß seiner Familie oder in den Gesellschafts-
saal zurück, und zu den übrigen Genüssen, welche das Phalanste-
rium darbietet. Auch der Handel mit den gemeinschaftlich ge-
wonnenen Erzeugnissen ist gemeinschaftlich; und der Ueberschuß
wird am Ende der Jahresrechnung nach Abzug der Unterhal-
tungskosten vertheilt, und zwar so, daß dabei nach dem dreifachen
Maaßstabe des Capitals, der Arbeit und des Talents verfahren
wird, indem bei der Vertheilung der gewonnenen Masse der, wel-
cher Capital eingelegt hat, , die Arbeit aber , und das Ta-
lent empfängt. Ein Mindestes des Erwerbes müsse aber Je-
dem gewährleistet werden, und zwar ein solches, welches mit
seiner Arbeit im Verhältniß stehe.

Aber auch dieses Hirngespinnst trifft derselbe Vorwurf, dem
alle bisherigen ausgesetzt waren. Jm Phalansterium wird in Ge-
meinschaft ohne persönliche Jnitiative gearbeitet, weil es anstatt
der Eigenthümer nur noch Actien-Jnhaber, anstatt der Unterneh-
mer nur noch einfache Arbeiter, anstatt der Sänger nur Choristen

werken beſondere Wohnungen. Bedeckte Galerien, welche das
ganze Gebäude umlaufen, dienen auf’s Bequemſte zum innern
Verkehr der Bewohner unter einander. Dieſe Galerien können
im Winter geheizt, im Sommer gelüftet werden.

Die Verwaltung denkt ſich Fourier ſehr einfach. Das Pha-
lanſterium leitet der Unarch, über Millionen Phalangen gebietet
ein Donarch; der Vorſteher aller Phalangen auf der ganzen Welt
heißt Omniarch, und er müßte, nach Conſiderant’s Vorſchlag,
in Conſtantinopel ſeinen Sitz haben. Den Völkerbund des gan-
zen Erdballs haben nach Bernardin de Saint Pierre und Kant
die Saint-Simoniſten und faſt alle Vereinslehrer gefordert. Die
Verwaltung jedes einzelnen Phalanſteriums vermiethet die einzelnen
Wohnungen nach dem Bedürfniß der Mitglieder, da die Ungleich-
heit des Einkommens und des Vermögens nicht aufgehoben iſt.
Der Vortheil der Vergeſellſchaftung liegt am Tage. Wenn
zweitauſend Menſchen eine gemeinſchaftliche Küche haben, ſo wird
durch geringeres Perſonal, gemeinſchaftlichen Einkauf u. ſ. f. eine
größere Wohlfeilheit und Reichhaltigkeit erzielt, als bei der Ein-
zelwirthſchaft möglich iſt. Ebenſo wird es mit den Befriedi-
gungen der andern Bedürfniſſe ſein. Am Abend kehrt Jeder zur
Erholung in den Schooß ſeiner Familie oder in den Geſellſchafts-
ſaal zurück, und zu den übrigen Genüſſen, welche das Phalanſte-
rium darbietet. Auch der Handel mit den gemeinſchaftlich ge-
wonnenen Erzeugniſſen iſt gemeinſchaftlich; und der Ueberſchuß
wird am Ende der Jahresrechnung nach Abzug der Unterhal-
tungskoſten vertheilt, und zwar ſo, daß dabei nach dem dreifachen
Maaßſtabe des Capitals, der Arbeit und des Talents verfahren
wird, indem bei der Vertheilung der gewonnenen Maſſe der, wel-
cher Capital eingelegt hat, , die Arbeit aber , und das Ta-
lent empfängt. Ein Mindeſtes des Erwerbes müſſe aber Je-
dem gewährleiſtet werden, und zwar ein ſolches, welches mit
ſeiner Arbeit im Verhältniß ſtehe.

Aber auch dieſes Hirngeſpinnſt trifft derſelbe Vorwurf, dem
alle bisherigen ausgeſetzt waren. Jm Phalanſterium wird in Ge-
meinſchaft ohne perſönliche Jnitiative gearbeitet, weil es anſtatt
der Eigenthümer nur noch Actien-Jnhaber, anſtatt der Unterneh-
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[75/0085] werken beſondere Wohnungen. Bedeckte Galerien, welche das ganze Gebäude umlaufen, dienen auf’s Bequemſte zum innern Verkehr der Bewohner unter einander. Dieſe Galerien können im Winter geheizt, im Sommer gelüftet werden. Die Verwaltung denkt ſich Fourier ſehr einfach. Das Pha- lanſterium leitet der Unarch, über Millionen Phalangen gebietet ein Donarch; der Vorſteher aller Phalangen auf der ganzen Welt heißt Omniarch, und er müßte, nach Conſiderant’s Vorſchlag, in Conſtantinopel ſeinen Sitz haben. Den Völkerbund des gan- zen Erdballs haben nach Bernardin de Saint Pierre und Kant die Saint-Simoniſten und faſt alle Vereinslehrer gefordert. Die Verwaltung jedes einzelnen Phalanſteriums vermiethet die einzelnen Wohnungen nach dem Bedürfniß der Mitglieder, da die Ungleich- heit des Einkommens und des Vermögens nicht aufgehoben iſt. Der Vortheil der Vergeſellſchaftung liegt am Tage. Wenn zweitauſend Menſchen eine gemeinſchaftliche Küche haben, ſo wird durch geringeres Perſonal, gemeinſchaftlichen Einkauf u. ſ. f. eine größere Wohlfeilheit und Reichhaltigkeit erzielt, als bei der Ein- zelwirthſchaft möglich iſt. Ebenſo wird es mit den Befriedi- gungen der andern Bedürfniſſe ſein. Am Abend kehrt Jeder zur Erholung in den Schooß ſeiner Familie oder in den Geſellſchafts- ſaal zurück, und zu den übrigen Genüſſen, welche das Phalanſte- rium darbietet. Auch der Handel mit den gemeinſchaftlich ge- wonnenen Erzeugniſſen iſt gemeinſchaftlich; und der Ueberſchuß wird am Ende der Jahresrechnung nach Abzug der Unterhal- tungskoſten vertheilt, und zwar ſo, daß dabei nach dem dreifachen Maaßſtabe des Capitals, der Arbeit und des Talents verfahren wird, indem bei der Vertheilung der gewonnenen Maſſe der, wel- cher Capital eingelegt hat, [FORMEL], die Arbeit aber [FORMEL], und das Ta- lent [FORMEL] empfängt. Ein Mindeſtes des Erwerbes müſſe aber Je- dem gewährleiſtet werden, und zwar ein ſolches, welches mit ſeiner Arbeit im Verhältniß ſtehe. Aber auch dieſes Hirngeſpinnſt trifft derſelbe Vorwurf, dem alle bisherigen ausgeſetzt waren. Jm Phalanſterium wird in Ge- meinſchaft ohne perſönliche Jnitiative gearbeitet, weil es anſtatt der Eigenthümer nur noch Actien-Jnhaber, anſtatt der Unterneh- mer nur noch einfache Arbeiter, anſtatt der Sänger nur Choriſten

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Zitationshilfe: Michelet, Karl Ludwig: Die Lösung der gesellschaftlichen Frage. Frankfurt (Oder) u. a., 1849, S. 75. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/michelet_loesung_1849/85>, abgerufen am 25.11.2024.