Michelet, Karl Ludwig: Die Lösung der gesellschaftlichen Frage. Frankfurt (Oder) u. a., 1849.gelitten hatten, so waren ihre Ansichten darum doch nicht im Jnnern der Die Gemeinschaft ist die übertriebene Lobpreisung des Staats, gelitten hatten, ſo waren ihre Anſichten darum doch nicht im Jnnern der Die Gemeinſchaft iſt die übertriebene Lobpreiſung des Staats, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0080" n="70"/> gelitten hatten, ſo waren ihre Anſichten darum doch nicht im Jnnern der<lb/> Geſellſchaft unterdrückt. Ein Hauptverfechter dieſer Lehre, <hi rendition="#g">Buona-<lb/> rotti,</hi> hatte zwanzig Jahre ſpäter, während der Wiederherſtellung der<lb/> Bourbonen, eine Schrift über die mißglückte Verſchwörung Babeuf’s<lb/> herausgegeben; und an ihr entzündete ſich eine neue Gemeinſchaftslehre<lb/> nach der Juli-Umwälzung, die endlich <hi rendition="#g">Cabet</hi> in eine beſtimmtere Form<lb/> brachte. Die Gemeinſchaft der Güter, der Arbeit und der Erziehung<lb/> nimmt auch er als die Grundlagen der neuen Gliederung des Geſell-<lb/> ſchaftszuſtandes an, verwirft aber die Gemeinſchaft der Weiber, indem<lb/> er die Abſchaffung der Mitgift, die vollkommene Rechtsgleichheit der<lb/> Geſchlechter und die Möglichkeit der Scheidung für genügende<lb/> Mittel hält, um die Mißſtände der jetzigen Ehe zu beſeitigen. Auf<lb/> die Frage ſeiner Schüler, was das eigentliche Weſen ſeiner neuen<lb/> Geſellſchaft ſei, antwortete er: die Brüderſchaft. Jn Jkarien, wie<lb/> Cabet das Land ſeines Jdeals nannte, wird jedes Haus nebſt<lb/> Hof und Garten von Einer Familie bewohnt. Von den vier<lb/> Malzeiten werden zwei, der Morgenimbiß und das Frühſtück, in<lb/> der Werkſtatt genommen; die dritte findet in Gemeinſchaft beim<lb/> Staats-Koch ſtatt; die vierte, das Abendeſſen, wird in der Fa-<lb/> milie eingenommen. Jn gewiſſen Fällen erlaubt Cabet jedoch auch<lb/> zu Hauſe in ſeiner Familie zu eſſen, was vom Staats-Kellner<lb/> aufgetragen wird. Am Sonntag iſt jeder Mann frei; er ſpeiſt,<lb/> wo er will. Jeder iſt öffentlicher Arbeiter, und arbeitet auf<lb/> Rechnung des Staats, der Niemanden bezahlt, aber jeden nach<lb/> deſſen Bedürfniſſen und nach Maßgabe der geſellſchaftlichen Hülfs-<lb/> mittel verſorgt, wie ein Familien-Vater ſeine Kinder. Cabet<lb/> ſchafft überall die Unbeweglichkeit, und verbannt das perſönliche<lb/> Eingreifen und Belieben; er ſchreibt die Unwandelbarkeit der Klei-<lb/> dung, die Einförmigkeit der Geräthſchaften, die Gleichzeitigkeit der<lb/> körperlichen Uebungen, u. ſ. w. vor. Es giebt in Jkarien nur<lb/> Eine Gemeinde-, Eine Kreis- und Eine Staats-Zeitung. Cabet<lb/> verbannt den Luxus. Die Frauen ſollen künſtliche Federn tragen,<lb/> die Diamanten durch Glaswerk erſetzt werden. Die reichen Tep-<lb/> piche, die koſtbaren Geräthſchaften, Pferde und Wagen ſollen<lb/> dem Staate gehören.</p><lb/> <p>Die Gemeinſchaft iſt die übertriebene Lobpreiſung des Staats,<lb/> die Verherrlichung der Polizei, indem für jede geſellſchaftliche<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [70/0080]
gelitten hatten, ſo waren ihre Anſichten darum doch nicht im Jnnern der
Geſellſchaft unterdrückt. Ein Hauptverfechter dieſer Lehre, Buona-
rotti, hatte zwanzig Jahre ſpäter, während der Wiederherſtellung der
Bourbonen, eine Schrift über die mißglückte Verſchwörung Babeuf’s
herausgegeben; und an ihr entzündete ſich eine neue Gemeinſchaftslehre
nach der Juli-Umwälzung, die endlich Cabet in eine beſtimmtere Form
brachte. Die Gemeinſchaft der Güter, der Arbeit und der Erziehung
nimmt auch er als die Grundlagen der neuen Gliederung des Geſell-
ſchaftszuſtandes an, verwirft aber die Gemeinſchaft der Weiber, indem
er die Abſchaffung der Mitgift, die vollkommene Rechtsgleichheit der
Geſchlechter und die Möglichkeit der Scheidung für genügende
Mittel hält, um die Mißſtände der jetzigen Ehe zu beſeitigen. Auf
die Frage ſeiner Schüler, was das eigentliche Weſen ſeiner neuen
Geſellſchaft ſei, antwortete er: die Brüderſchaft. Jn Jkarien, wie
Cabet das Land ſeines Jdeals nannte, wird jedes Haus nebſt
Hof und Garten von Einer Familie bewohnt. Von den vier
Malzeiten werden zwei, der Morgenimbiß und das Frühſtück, in
der Werkſtatt genommen; die dritte findet in Gemeinſchaft beim
Staats-Koch ſtatt; die vierte, das Abendeſſen, wird in der Fa-
milie eingenommen. Jn gewiſſen Fällen erlaubt Cabet jedoch auch
zu Hauſe in ſeiner Familie zu eſſen, was vom Staats-Kellner
aufgetragen wird. Am Sonntag iſt jeder Mann frei; er ſpeiſt,
wo er will. Jeder iſt öffentlicher Arbeiter, und arbeitet auf
Rechnung des Staats, der Niemanden bezahlt, aber jeden nach
deſſen Bedürfniſſen und nach Maßgabe der geſellſchaftlichen Hülfs-
mittel verſorgt, wie ein Familien-Vater ſeine Kinder. Cabet
ſchafft überall die Unbeweglichkeit, und verbannt das perſönliche
Eingreifen und Belieben; er ſchreibt die Unwandelbarkeit der Klei-
dung, die Einförmigkeit der Geräthſchaften, die Gleichzeitigkeit der
körperlichen Uebungen, u. ſ. w. vor. Es giebt in Jkarien nur
Eine Gemeinde-, Eine Kreis- und Eine Staats-Zeitung. Cabet
verbannt den Luxus. Die Frauen ſollen künſtliche Federn tragen,
die Diamanten durch Glaswerk erſetzt werden. Die reichen Tep-
piche, die koſtbaren Geräthſchaften, Pferde und Wagen ſollen
dem Staate gehören.
Die Gemeinſchaft iſt die übertriebene Lobpreiſung des Staats,
die Verherrlichung der Polizei, indem für jede geſellſchaftliche
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