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Michelet, Karl Ludwig: Die Lösung der gesellschaftlichen Frage. Frankfurt (Oder) u. a., 1849.

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Stückwerk, einen kleinen Theil eines Ganzen. Ohne zu wissen,
wozu er seinen Theil macht, arbeitet er gedankenlos fort; und
nur der Werkmeister weiß, wie das Ganze zusammenhängt. Je
mehr das Handwerk Fortschritte macht, desto mehr kommt der
Handwerker zurück. Man denke sich nur den Fall, daß bei dem
beflügelten Schritt der Moden ein Handwerk oder die bisherige
Art des Betriebes desselben aufhört, sogleich sind alle Arbeiter
dieses Gewerbzweiges außer Brod. Man wirft sie fort, wie eine
ausgepreßte Apfelsinenschale. Man bewundert die schönsten Kunst-
werke des menschlichen Gewerbfleißes, Teppiche, Gold- und Sil-
berwaaren; aber die Thräne des Arbeiters, die darauf gefallen,
bleibt unbemerkt. Neun Zehntel der Arbeiter sind Lastthiere, und
doch ist der Funke der göttlichen Ebenbildlichkeit in ihnen. Die
Lehrer der Volkswirthschaft oder auch eine gewaltsame Staats-
umwälzung haben das Mittel der Lohnerhöhung vorgeschlagen.
Aber dadurch werden auch die Erzeugnisse der Arbeit theurer, mit
denen die Arbeiter ihre Bedürfnisse befriedigen müssen, und das
Verhältniß bleibt dasselbe. Auch das Mittel, die Arbeiter zu bil-
den, scheint unanwendbar, weil die Art ihrer Arbeit, die rein
mechanisch ist, eben die höheren Fähigkeiten ertödte; nicht zu ge-
denken, sagen Andere, daß die erhöhte Bildung sie um so unbe-
reitwilliger machen würde, ihre niedrige Arbeit auszuführen.
Können die Kinder der Armen denn auch Unterricht erhalten, da
sie schon von früh an den Eltern im Gewinne des Lebensunter-
halts beistehen müssen?

Um diese Widersprüche zu lösen, fallen wir in einen neuen.
Es ist des Menschen unwürdig zu thun, was rein mechanisch ist,
und also der Natur durch Mechanismus abgerungen werden kann.
Die Maschine tritt an die Stelle der Handarbeit, indem sie die
Zerstückelung der Arbeit durch eine höhere Verknüpfung besiegt;
indem sie die Stückarbeit wiederherstellt, ist sie Abkürzung der
Handarbeit, Wachsthum des allgemeinen Wohls. Die Werkstatt
ist der Anfang der Maschine; die verschiedenen Arbeiter erzeugen
zusammen Ein Ganzes, ungeachtet der Verschiedenheit ihrer Arbeit.
Die Theilung der Arbeit ist die Analyse, die Maschine die Syn-
these. Die Maschine ist die Bewaffnung des Verstandes, die
Freiheit und Herrschaft des Menschen über die Natur. Aber in-

4*

Stückwerk, einen kleinen Theil eines Ganzen. Ohne zu wiſſen,
wozu er ſeinen Theil macht, arbeitet er gedankenlos fort; und
nur der Werkmeiſter weiß, wie das Ganze zuſammenhängt. Je
mehr das Handwerk Fortſchritte macht, deſto mehr kommt der
Handwerker zurück. Man denke ſich nur den Fall, daß bei dem
beflügelten Schritt der Moden ein Handwerk oder die bisherige
Art des Betriebes deſſelben aufhört, ſogleich ſind alle Arbeiter
dieſes Gewerbzweiges außer Brod. Man wirft ſie fort, wie eine
ausgepreßte Apfelſinenſchale. Man bewundert die ſchönſten Kunſt-
werke des menſchlichen Gewerbfleißes, Teppiche, Gold- und Sil-
berwaaren; aber die Thräne des Arbeiters, die darauf gefallen,
bleibt unbemerkt. Neun Zehntel der Arbeiter ſind Laſtthiere, und
doch iſt der Funke der göttlichen Ebenbildlichkeit in ihnen. Die
Lehrer der Volkswirthſchaft oder auch eine gewaltſame Staats-
umwälzung haben das Mittel der Lohnerhöhung vorgeſchlagen.
Aber dadurch werden auch die Erzeugniſſe der Arbeit theurer, mit
denen die Arbeiter ihre Bedürfniſſe befriedigen müſſen, und das
Verhältniß bleibt daſſelbe. Auch das Mittel, die Arbeiter zu bil-
den, ſcheint unanwendbar, weil die Art ihrer Arbeit, die rein
mechaniſch iſt, eben die höheren Fähigkeiten ertödte; nicht zu ge-
denken, ſagen Andere, daß die erhöhte Bildung ſie um ſo unbe-
reitwilliger machen würde, ihre niedrige Arbeit auszuführen.
Können die Kinder der Armen denn auch Unterricht erhalten, da
ſie ſchon von früh an den Eltern im Gewinne des Lebensunter-
halts beiſtehen müſſen?

Um dieſe Widerſprüche zu löſen, fallen wir in einen neuen.
Es iſt des Menſchen unwürdig zu thun, was rein mechaniſch iſt,
und alſo der Natur durch Mechanismus abgerungen werden kann.
Die Maſchine tritt an die Stelle der Handarbeit, indem ſie die
Zerſtückelung der Arbeit durch eine höhere Verknüpfung beſiegt;
indem ſie die Stückarbeit wiederherſtellt, iſt ſie Abkürzung der
Handarbeit, Wachsthum des allgemeinen Wohls. Die Werkſtatt
iſt der Anfang der Maſchine; die verſchiedenen Arbeiter erzeugen
zuſammen Ein Ganzes, ungeachtet der Verſchiedenheit ihrer Arbeit.
Die Theilung der Arbeit iſt die Analyſe, die Maſchine die Syn-
theſe. Die Maſchine iſt die Bewaffnung des Verſtandes, die
Freiheit und Herrſchaft des Menſchen über die Natur. Aber in-

4*
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[51/0061] Stückwerk, einen kleinen Theil eines Ganzen. Ohne zu wiſſen, wozu er ſeinen Theil macht, arbeitet er gedankenlos fort; und nur der Werkmeiſter weiß, wie das Ganze zuſammenhängt. Je mehr das Handwerk Fortſchritte macht, deſto mehr kommt der Handwerker zurück. Man denke ſich nur den Fall, daß bei dem beflügelten Schritt der Moden ein Handwerk oder die bisherige Art des Betriebes deſſelben aufhört, ſogleich ſind alle Arbeiter dieſes Gewerbzweiges außer Brod. Man wirft ſie fort, wie eine ausgepreßte Apfelſinenſchale. Man bewundert die ſchönſten Kunſt- werke des menſchlichen Gewerbfleißes, Teppiche, Gold- und Sil- berwaaren; aber die Thräne des Arbeiters, die darauf gefallen, bleibt unbemerkt. Neun Zehntel der Arbeiter ſind Laſtthiere, und doch iſt der Funke der göttlichen Ebenbildlichkeit in ihnen. Die Lehrer der Volkswirthſchaft oder auch eine gewaltſame Staats- umwälzung haben das Mittel der Lohnerhöhung vorgeſchlagen. Aber dadurch werden auch die Erzeugniſſe der Arbeit theurer, mit denen die Arbeiter ihre Bedürfniſſe befriedigen müſſen, und das Verhältniß bleibt daſſelbe. Auch das Mittel, die Arbeiter zu bil- den, ſcheint unanwendbar, weil die Art ihrer Arbeit, die rein mechaniſch iſt, eben die höheren Fähigkeiten ertödte; nicht zu ge- denken, ſagen Andere, daß die erhöhte Bildung ſie um ſo unbe- reitwilliger machen würde, ihre niedrige Arbeit auszuführen. Können die Kinder der Armen denn auch Unterricht erhalten, da ſie ſchon von früh an den Eltern im Gewinne des Lebensunter- halts beiſtehen müſſen? Um dieſe Widerſprüche zu löſen, fallen wir in einen neuen. Es iſt des Menſchen unwürdig zu thun, was rein mechaniſch iſt, und alſo der Natur durch Mechanismus abgerungen werden kann. Die Maſchine tritt an die Stelle der Handarbeit, indem ſie die Zerſtückelung der Arbeit durch eine höhere Verknüpfung beſiegt; indem ſie die Stückarbeit wiederherſtellt, iſt ſie Abkürzung der Handarbeit, Wachsthum des allgemeinen Wohls. Die Werkſtatt iſt der Anfang der Maſchine; die verſchiedenen Arbeiter erzeugen zuſammen Ein Ganzes, ungeachtet der Verſchiedenheit ihrer Arbeit. Die Theilung der Arbeit iſt die Analyſe, die Maſchine die Syn- theſe. Die Maſchine iſt die Bewaffnung des Verſtandes, die Freiheit und Herrſchaft des Menſchen über die Natur. Aber in- 4*

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Zitationshilfe: Michelet, Karl Ludwig: Die Lösung der gesellschaftlichen Frage. Frankfurt (Oder) u. a., 1849, S. 51. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/michelet_loesung_1849/61>, abgerufen am 24.11.2024.