Recht in einer Kirchengemeinschaft, oder unter einer freien Ver- fassung zu leben, seinen Geist wissenschaftlich auszubilden u. s. w., sondern auch das Recht auf sein natürliches Dasein, auf die Be- friedigung seiner leiblichen Bedürfnisse, weil dieselbe das Mittel ist, ohne welches jener Zweck nicht erreicht werden kann. Wenn wir uns den Menschen einsam in der Natur, wie Robinson auf seiner wüsten Jnsel, denken, so hat es gar keine Schwierigkeit, daß er, wenn gleich auf sehr mühsame Weise, zur Befriedigung seiner natürlichen Bedürfnisse gelange. Das Mittel nämlich, sie zu befriedigen, ist die Ergreifung und Zubereitung der Natur-Er- zeugnisse, welche dem Einsiedler leicht wird, indem Niemand da ist, sie ihm streitig zu machen. Die Thätigkeit, welche die rohen Naturerzeugnisse geeignet macht, die menschlichen Bedürfnisse zu befriedigen, ist die Arbeit: diese also das Mittel zum Genuß als Zweck. Arbeit und Genuß sind mithin die beiden Hälften, in die sich die Thätigkeit des menschlichen Lebens theilt. Wer arbeitet, darf auch genießen. Das ist der Hauptgrundsatz einer gesunden Staatsklugheit. Hier fragt sich nun aber zuerst: Finde ich Arbeit, um hernach dafür zu genießen? Beim Einsiedler kön- nen wir die Frage einfach bejahen. Nichts hindert ihn, sich die Natur zu unterwerfen, sie umzugestalten. Wo aber mehrere Fa- milien zusammenwohnen, da fragt sich sogleich, ob das Haupt einer jeden so viel Naturgegenstände vorfindet, um sich und die Seinigen dadurch ernähren zu können. Sie sind ja vielleicht schon von Andern in Beschlag genommen worden. Damit tritt der Arbeit sogleich sein Gegensatz, das Eigenthum, entgegen. Die- ses ist die Voraussetzung so wohl, als das Erzeugniß der Arbeit. Jch bedarf eines Grundes und Bodens, welcher mir die rohen Naturerzeugnisse liefere, um durch Arbeit theils aus jenem diese zu gewinnen, theils diese zu gestalten, damit sie meine Bedürfnisse befriedigen. Habe ich kein Eigenthum, so kann ich nicht arbeiten und muß verhungern. Wer ist aber der Eigenthümer? Der, welcher sich zuerst einer Sache bemächtigt und seiner freien Thä- tigkeit unterwirft, sagt man. Dann hat es keine Noth, wenn die Erde wenig bevölkert ist. Jch kann genießen, so lange ich noch Sachen finde, Naturgegenstände, welche in keines Menschen Eigenthum sind und die ich also bearbeiten darf. Die Unmög-
Recht in einer Kirchengemeinſchaft, oder unter einer freien Ver- faſſung zu leben, ſeinen Geiſt wiſſenſchaftlich auszubilden u. ſ. w., ſondern auch das Recht auf ſein natürliches Daſein, auf die Be- friedigung ſeiner leiblichen Bedürfniſſe, weil dieſelbe das Mittel iſt, ohne welches jener Zweck nicht erreicht werden kann. Wenn wir uns den Menſchen einſam in der Natur, wie Robinſon auf ſeiner wüſten Jnſel, denken, ſo hat es gar keine Schwierigkeit, daß er, wenn gleich auf ſehr mühſame Weiſe, zur Befriedigung ſeiner natürlichen Bedürfniſſe gelange. Das Mittel nämlich, ſie zu befriedigen, iſt die Ergreifung und Zubereitung der Natur-Er- zeugniſſe, welche dem Einſiedler leicht wird, indem Niemand da iſt, ſie ihm ſtreitig zu machen. Die Thätigkeit, welche die rohen Naturerzeugniſſe geeignet macht, die menſchlichen Bedürfniſſe zu befriedigen, iſt die Arbeit: dieſe alſo das Mittel zum Genuß als Zweck. Arbeit und Genuß ſind mithin die beiden Hälften, in die ſich die Thätigkeit des menſchlichen Lebens theilt. Wer arbeitet, darf auch genießen. Das iſt der Hauptgrundſatz einer geſunden Staatsklugheit. Hier fragt ſich nun aber zuerſt: Finde ich Arbeit, um hernach dafür zu genießen? Beim Einſiedler kön- nen wir die Frage einfach bejahen. Nichts hindert ihn, ſich die Natur zu unterwerfen, ſie umzugeſtalten. Wo aber mehrere Fa- milien zuſammenwohnen, da fragt ſich ſogleich, ob das Haupt einer jeden ſo viel Naturgegenſtände vorfindet, um ſich und die Seinigen dadurch ernähren zu können. Sie ſind ja vielleicht ſchon von Andern in Beſchlag genommen worden. Damit tritt der Arbeit ſogleich ſein Gegenſatz, das Eigenthum, entgegen. Die- ſes iſt die Vorausſetzung ſo wohl, als das Erzeugniß der Arbeit. Jch bedarf eines Grundes und Bodens, welcher mir die rohen Naturerzeugniſſe liefere, um durch Arbeit theils aus jenem dieſe zu gewinnen, theils dieſe zu geſtalten, damit ſie meine Bedürfniſſe befriedigen. Habe ich kein Eigenthum, ſo kann ich nicht arbeiten und muß verhungern. Wer iſt aber der Eigenthümer? Der, welcher ſich zuerſt einer Sache bemächtigt und ſeiner freien Thä- tigkeit unterwirft, ſagt man. Dann hat es keine Noth, wenn die Erde wenig bevölkert iſt. Jch kann genießen, ſo lange ich noch Sachen finde, Naturgegenſtände, welche in keines Menſchen Eigenthum ſind und die ich alſo bearbeiten darf. Die Unmög-
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Recht in einer Kirchengemeinſchaft, oder unter einer freien Ver-
faſſung zu leben, ſeinen Geiſt wiſſenſchaftlich auszubilden u. ſ. w.,
ſondern auch das Recht auf ſein natürliches Daſein, auf die Be-
friedigung ſeiner leiblichen Bedürfniſſe, weil dieſelbe das Mittel
iſt, ohne welches jener Zweck nicht erreicht werden kann. Wenn
wir uns den Menſchen einſam in der Natur, wie Robinſon auf
ſeiner wüſten Jnſel, denken, ſo hat es gar keine Schwierigkeit,
daß er, wenn gleich auf ſehr mühſame Weiſe, zur Befriedigung
ſeiner natürlichen Bedürfniſſe gelange. Das Mittel nämlich, ſie
zu befriedigen, iſt die Ergreifung und Zubereitung der Natur-Er-
zeugniſſe, welche dem Einſiedler leicht wird, indem Niemand da
iſt, ſie ihm ſtreitig zu machen. Die Thätigkeit, welche die rohen
Naturerzeugniſſe geeignet macht, die menſchlichen Bedürfniſſe
zu befriedigen, iſt die Arbeit: dieſe alſo das Mittel zum Genuß
als Zweck. Arbeit und Genuß ſind mithin die beiden Hälften,
in die ſich die Thätigkeit des menſchlichen Lebens theilt. Wer
arbeitet, darf auch genießen. Das iſt der Hauptgrundſatz einer
geſunden Staatsklugheit. Hier fragt ſich nun aber zuerſt: Finde
ich Arbeit, um hernach dafür zu genießen? Beim Einſiedler kön-
nen wir die Frage einfach bejahen. Nichts hindert ihn, ſich die
Natur zu unterwerfen, ſie umzugeſtalten. Wo aber mehrere Fa-
milien zuſammenwohnen, da fragt ſich ſogleich, ob das Haupt
einer jeden ſo viel Naturgegenſtände vorfindet, um ſich und die
Seinigen dadurch ernähren zu können. Sie ſind ja vielleicht
ſchon von Andern in Beſchlag genommen worden. Damit tritt
der Arbeit ſogleich ſein Gegenſatz, das Eigenthum, entgegen. Die-
ſes iſt die Vorausſetzung ſo wohl, als das Erzeugniß der Arbeit.
Jch bedarf eines Grundes und Bodens, welcher mir die rohen
Naturerzeugniſſe liefere, um durch Arbeit theils aus jenem dieſe
zu gewinnen, theils dieſe zu geſtalten, damit ſie meine Bedürfniſſe
befriedigen. Habe ich kein Eigenthum, ſo kann ich nicht arbeiten
und muß verhungern. Wer iſt aber der Eigenthümer? Der,
welcher ſich zuerſt einer Sache bemächtigt und ſeiner freien Thä-
tigkeit unterwirft, ſagt man. Dann hat es keine Noth, wenn
die Erde wenig bevölkert iſt. Jch kann genießen, ſo lange ich
noch Sachen finde, Naturgegenſtände, welche in keines Menſchen
Eigenthum ſind und die ich alſo bearbeiten darf. Die Unmög-
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Michelet, Karl Ludwig: Die Lösung der gesellschaftlichen Frage. Frankfurt (Oder) u. a., 1849, S. 43. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/michelet_loesung_1849/53>, abgerufen am 16.07.2024.
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