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Michelet, Karl Ludwig: Die Lösung der gesellschaftlichen Frage. Frankfurt (Oder) u. a., 1849.

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derungen, der Rechtsboden festgehalten, die staatliche Frage ab-
geschlossen und die Hauptthätigkeit der Volksvertretung den Ver-
fassungsgesetzen und der gesellschaftlichen Frage gewidmet werden.
Jedenfalls kann nur eine Ruhe und Ordnung, die nicht aus der
Gewalt, sondern vielmehr aus der Freiheit entsprungen, den Bo-
den für die Lösung dieser Frage bereiten. Nachdem die Vertreter
des Volks das Recht zur Octroyirung der Verfassung der Krone
eingeräumt, um darauf hin die Revision vorzunehmen, nicht erst
wie Rodbertus seinen Wählern schrieb, nach dieser die Rechts-
gültigkeit auszusprechen, -- bleibt dem Einzelnen freilich nur übrig,
sich der Mehrheit zu unterwerfen; aber meine Unabhängigkeit
mußte ich durch Aussprechen meiner abweichenden Ansicht wah-
ren. Auch möchte ich noch auf die zukünftige Gefahr hinweisen,
einer so bedeutenden Minderheit gegenüber, den streitigen Rechts-
boden behaupten zu wollen. Und was würden wir denn ant-
worten, wenn behauptet würde, ungesetzlich berufene Kammern
können den Rechtsboden nicht wieder herstellen? Sollen wir
dann auf die aufgelöste Versammlung, oder auf die Urversamm-
lungen des Volks zurückgehen?

Was Deutschland betrifft, so würde seine schleunige Umge-
staltung allein die Möglichkeit der befriedigendsten Lösung unserer
allerdings beispiellosen Lage noch am Sichersten herbeiführen. Die
Art und Weise aber, wie die Frankfurter Versammlung uns aus dieser
Sackgasse führen kann, ist die. Wiewohl ich grundsätzlich der
Ansicht bin, daß ein Bundesstaat ein gewähltes Oberhaupt haben
müsse, so scheint dies, wie die Sachen jetzt liegen, für Deutsch-
land nicht mehr möglich zu sein, sondern die gegebenen Verhält-
nisse eine Ausnahme nothwendig zu machen; war ja doch auch der
Statthalter von Holland, einem Bunde von sieben Provinzen
oder Staaten, ihr erbliches Oberhaupt. Um so mehr kann dies
für Deutschland eintreten, wo ja die Erblichkeit des Oberhaupts
auch in den meisten Einzelstaaten vorhanden ist. Man sieht nun
zwar zunächst nicht ein, warum die Oberhauptswürde Deutsch-
lands nicht etwa durch Wahl unter den einzelnen Fürsten oder
Edlen Deutschlands wechseln könne, wie ich es in meiner Schrift
"Zur Verfassungsfrage" (S. 110) vorschlug. Aber ich setzte voraus,
daß dann Heer, Gesandtschaft u. s. w. für ganz Deutschland dem

derungen, der Rechtsboden feſtgehalten, die ſtaatliche Frage ab-
geſchloſſen und die Hauptthätigkeit der Volksvertretung den Ver-
faſſungsgeſetzen und der geſellſchaftlichen Frage gewidmet werden.
Jedenfalls kann nur eine Ruhe und Ordnung, die nicht aus der
Gewalt, ſondern vielmehr aus der Freiheit entſprungen, den Bo-
den für die Löſung dieſer Frage bereiten. Nachdem die Vertreter
des Volks das Recht zur Octroyirung der Verfaſſung der Krone
eingeräumt, um darauf hin die Reviſion vorzunehmen, nicht erſt
wie Rodbertus ſeinen Wählern ſchrieb, nach dieſer die Rechts-
gültigkeit auszuſprechen, — bleibt dem Einzelnen freilich nur übrig,
ſich der Mehrheit zu unterwerfen; aber meine Unabhängigkeit
mußte ich durch Ausſprechen meiner abweichenden Anſicht wah-
ren. Auch möchte ich noch auf die zukünftige Gefahr hinweiſen,
einer ſo bedeutenden Minderheit gegenüber, den ſtreitigen Rechts-
boden behaupten zu wollen. Und was würden wir denn ant-
worten, wenn behauptet würde, ungeſetzlich berufene Kammern
können den Rechtsboden nicht wieder herſtellen? Sollen wir
dann auf die aufgelöſte Verſammlung, oder auf die Urverſamm-
lungen des Volks zurückgehen?

Was Deutſchland betrifft, ſo würde ſeine ſchleunige Umge-
ſtaltung allein die Möglichkeit der befriedigendſten Löſung unſerer
allerdings beiſpielloſen Lage noch am Sicherſten herbeiführen. Die
Art und Weiſe aber, wie die Frankfurter Verſammlung uns aus dieſer
Sackgaſſe führen kann, iſt die. Wiewohl ich grundſätzlich der
Anſicht bin, daß ein Bundesſtaat ein gewähltes Oberhaupt haben
müſſe, ſo ſcheint dies, wie die Sachen jetzt liegen, für Deutſch-
land nicht mehr möglich zu ſein, ſondern die gegebenen Verhält-
niſſe eine Ausnahme nothwendig zu machen; war ja doch auch der
Statthalter von Holland, einem Bunde von ſieben Provinzen
oder Staaten, ihr erbliches Oberhaupt. Um ſo mehr kann dies
für Deutſchland eintreten, wo ja die Erblichkeit des Oberhaupts
auch in den meiſten Einzelſtaaten vorhanden iſt. Man ſieht nun
zwar zunächſt nicht ein, warum die Oberhauptswürde Deutſch-
lands nicht etwa durch Wahl unter den einzelnen Fürſten oder
Edlen Deutſchlands wechſeln könne, wie ich es in meiner Schrift
„Zur Verfaſſungsfrage‟ (S. 110) vorſchlug. Aber ich ſetzte voraus,
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[32/0042] derungen, der Rechtsboden feſtgehalten, die ſtaatliche Frage ab- geſchloſſen und die Hauptthätigkeit der Volksvertretung den Ver- faſſungsgeſetzen und der geſellſchaftlichen Frage gewidmet werden. Jedenfalls kann nur eine Ruhe und Ordnung, die nicht aus der Gewalt, ſondern vielmehr aus der Freiheit entſprungen, den Bo- den für die Löſung dieſer Frage bereiten. Nachdem die Vertreter des Volks das Recht zur Octroyirung der Verfaſſung der Krone eingeräumt, um darauf hin die Reviſion vorzunehmen, nicht erſt wie Rodbertus ſeinen Wählern ſchrieb, nach dieſer die Rechts- gültigkeit auszuſprechen, — bleibt dem Einzelnen freilich nur übrig, ſich der Mehrheit zu unterwerfen; aber meine Unabhängigkeit mußte ich durch Ausſprechen meiner abweichenden Anſicht wah- ren. Auch möchte ich noch auf die zukünftige Gefahr hinweiſen, einer ſo bedeutenden Minderheit gegenüber, den ſtreitigen Rechts- boden behaupten zu wollen. Und was würden wir denn ant- worten, wenn behauptet würde, ungeſetzlich berufene Kammern können den Rechtsboden nicht wieder herſtellen? Sollen wir dann auf die aufgelöſte Verſammlung, oder auf die Urverſamm- lungen des Volks zurückgehen? Was Deutſchland betrifft, ſo würde ſeine ſchleunige Umge- ſtaltung allein die Möglichkeit der befriedigendſten Löſung unſerer allerdings beiſpielloſen Lage noch am Sicherſten herbeiführen. Die Art und Weiſe aber, wie die Frankfurter Verſammlung uns aus dieſer Sackgaſſe führen kann, iſt die. Wiewohl ich grundſätzlich der Anſicht bin, daß ein Bundesſtaat ein gewähltes Oberhaupt haben müſſe, ſo ſcheint dies, wie die Sachen jetzt liegen, für Deutſch- land nicht mehr möglich zu ſein, ſondern die gegebenen Verhält- niſſe eine Ausnahme nothwendig zu machen; war ja doch auch der Statthalter von Holland, einem Bunde von ſieben Provinzen oder Staaten, ihr erbliches Oberhaupt. Um ſo mehr kann dies für Deutſchland eintreten, wo ja die Erblichkeit des Oberhaupts auch in den meiſten Einzelſtaaten vorhanden iſt. Man ſieht nun zwar zunächſt nicht ein, warum die Oberhauptswürde Deutſch- lands nicht etwa durch Wahl unter den einzelnen Fürſten oder Edlen Deutſchlands wechſeln könne, wie ich es in meiner Schrift „Zur Verfaſſungsfrage‟ (S. 110) vorſchlug. Aber ich ſetzte voraus, daß dann Heer, Geſandtſchaft u. ſ. w. für ganz Deutſchland dem

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Zitationshilfe: Michelet, Karl Ludwig: Die Lösung der gesellschaftlichen Frage. Frankfurt (Oder) u. a., 1849, S. 32. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/michelet_loesung_1849/42>, abgerufen am 28.03.2024.