Meyr, Melchior: Der Sieg des Schwachen. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 9. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 47–255. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.überlegen, was wir anfangen sollen. Dein Vater läßt uns in Güte nicht zusammen, das seh' ich nun schon auch ein, wir müssen an etwas Anderes denken, und wir wollen über etwas einen Rath halten, woran ich schon früher gedacht hab'. Ich will nach Betläuten an den Zaun kommen bei unserm Stadel. Man kann uns da vom Pfarrhaus aus nicht sehen, wegen des Holderbaums, der davor steht und dessen Aeste fast bis an den Boden gehen. Auf dem Wege draußen wird um die Zeit wohl auch Niemand sein; du mußt dich eben umsehen! -- "Auf Wiedersehen, liebster, bester Tobias! -- Ich mein' halt, es kann nicht anders sein und du wirst mir doch wieder gut und kommst zu mir. Du wirst dich dann überzeugen, wie ich bin, und wie ernst es mir ist mit meiner Lieb' zu dir, und was ich für dich thun kann, weil ich dich liebe! -- Liebe fürchtet keine Noth, Scheut auch nicht den bittern Tod. Wahrer Lieb' ist nichts zu viel, Denn ihr winkt das höchste Ziel! Auch wir werden zusammenkommen, gewiß, und es wird uns noch wohl gehen in diesem Leben! -- Ich verbleibe deine bis in den Tod getreue Bäbe." Die Wirkung dieses Briefs auf Tobias ist schwer zu beschreiben. Er fühlte ein Entzücken, wie er nicht geglaubt hätte, daß es menschenmöglich wäre. Die Bäbe bat ihn um Verzeihung! Die Bäbe schrieb, er überlegen, was wir anfangen sollen. Dein Vater läßt uns in Güte nicht zusammen, das seh' ich nun schon auch ein, wir müssen an etwas Anderes denken, und wir wollen über etwas einen Rath halten, woran ich schon früher gedacht hab'. Ich will nach Betläuten an den Zaun kommen bei unserm Stadel. Man kann uns da vom Pfarrhaus aus nicht sehen, wegen des Holderbaums, der davor steht und dessen Aeste fast bis an den Boden gehen. Auf dem Wege draußen wird um die Zeit wohl auch Niemand sein; du mußt dich eben umsehen! — „Auf Wiedersehen, liebster, bester Tobias! — Ich mein' halt, es kann nicht anders sein und du wirst mir doch wieder gut und kommst zu mir. Du wirst dich dann überzeugen, wie ich bin, und wie ernst es mir ist mit meiner Lieb' zu dir, und was ich für dich thun kann, weil ich dich liebe! — Liebe fürchtet keine Noth, Scheut auch nicht den bittern Tod. Wahrer Lieb' ist nichts zu viel, Denn ihr winkt das höchste Ziel! Auch wir werden zusammenkommen, gewiß, und es wird uns noch wohl gehen in diesem Leben! — Ich verbleibe deine bis in den Tod getreue Bäbe.“ Die Wirkung dieses Briefs auf Tobias ist schwer zu beschreiben. Er fühlte ein Entzücken, wie er nicht geglaubt hätte, daß es menschenmöglich wäre. Die Bäbe bat ihn um Verzeihung! Die Bäbe schrieb, er <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="3"> <p><pb facs="#f0084"/> überlegen, was wir anfangen sollen. Dein Vater läßt uns in Güte nicht zusammen, das seh' ich nun schon auch ein, wir müssen an etwas Anderes denken, und wir wollen über etwas einen Rath halten, woran ich schon früher gedacht hab'. Ich will nach Betläuten an den Zaun kommen bei unserm Stadel. Man kann uns da vom Pfarrhaus aus nicht sehen, wegen des Holderbaums, der davor steht und dessen Aeste fast bis an den Boden gehen. Auf dem Wege draußen wird um die Zeit wohl auch Niemand sein; du mußt dich eben umsehen! —</p><lb/> <p>„Auf Wiedersehen, liebster, bester Tobias! — Ich mein' halt, es kann nicht anders sein und du wirst mir doch wieder gut und kommst zu mir. Du wirst dich dann überzeugen, wie ich bin, und wie ernst es mir ist mit meiner Lieb' zu dir, und was ich für dich thun kann, weil ich dich liebe! —</p><lb/> <lg type="poem"> <l>Liebe fürchtet keine Noth,</l> <l>Scheut auch nicht den bittern Tod.</l> <l>Wahrer Lieb' ist nichts zu viel,</l> <l>Denn ihr winkt das höchste Ziel!</l> </lg> <p>Auch wir werden zusammenkommen, gewiß, und es wird uns noch wohl gehen in diesem Leben! — Ich verbleibe deine bis in den Tod getreue Bäbe.“</p><lb/> <p>Die Wirkung dieses Briefs auf Tobias ist schwer zu beschreiben. Er fühlte ein Entzücken, wie er nicht geglaubt hätte, daß es menschenmöglich wäre. Die Bäbe bat ihn um Verzeihung! Die Bäbe schrieb, er<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0084]
überlegen, was wir anfangen sollen. Dein Vater läßt uns in Güte nicht zusammen, das seh' ich nun schon auch ein, wir müssen an etwas Anderes denken, und wir wollen über etwas einen Rath halten, woran ich schon früher gedacht hab'. Ich will nach Betläuten an den Zaun kommen bei unserm Stadel. Man kann uns da vom Pfarrhaus aus nicht sehen, wegen des Holderbaums, der davor steht und dessen Aeste fast bis an den Boden gehen. Auf dem Wege draußen wird um die Zeit wohl auch Niemand sein; du mußt dich eben umsehen! —
„Auf Wiedersehen, liebster, bester Tobias! — Ich mein' halt, es kann nicht anders sein und du wirst mir doch wieder gut und kommst zu mir. Du wirst dich dann überzeugen, wie ich bin, und wie ernst es mir ist mit meiner Lieb' zu dir, und was ich für dich thun kann, weil ich dich liebe! —
Liebe fürchtet keine Noth, Scheut auch nicht den bittern Tod. Wahrer Lieb' ist nichts zu viel, Denn ihr winkt das höchste Ziel!
Auch wir werden zusammenkommen, gewiß, und es wird uns noch wohl gehen in diesem Leben! — Ich verbleibe deine bis in den Tod getreue Bäbe.“
Die Wirkung dieses Briefs auf Tobias ist schwer zu beschreiben. Er fühlte ein Entzücken, wie er nicht geglaubt hätte, daß es menschenmöglich wäre. Die Bäbe bat ihn um Verzeihung! Die Bäbe schrieb, er
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Zitationshilfe: | Meyr, Melchior: Der Sieg des Schwachen. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 9. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 47–255. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meyr_schwachen_1910/84>, abgerufen am 03.07.2024. |