Meyr, Melchior: Der Sieg des Schwachen. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 9. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 47–255. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.Mit Selbstgefühl, aber zugleich mit dankbar gerührter Seele stellte er sich vor den Geistlichen. Der blinde Amerika-Hochmuth von gestern war aus dem guten und im Grunde seines Wesens rechtlich denkenden Burschen gewichen. Er fühlte die ganze Liebenswürdigkeit des ehrwürdigen Herrn, und in diesem Gefühl sprach er: Herr Pfarrer, ich dank' Ihnen für Ihre Güte. Wir lassen uns hier noch zusammengeben -- von Ihnen, Herr Pfarrer -- anders würd' ich's nicht thun. Und wenn ich hinübergehe, werd' ich den Unterricht, den ich von Ihnen erhalten habe, nie vergessen und immer bedacht sein, ihm Ehre zu machen. -- Brav, mein Sohn, rief der alte Herr. Mit dieser Gesinnung wirst du überall glücklich sein, wohin du auch kommen magst. -- Auch Ihnen, Frau Pfarrerin, dank' ich -- für Alles! Den Ton, womit der Bursche die zwei letzten Worte sprach, würdigend und den kleinen Stich erkennend, versetzte die Frau mit Lächeln: Nichts zu danken! -- es ist Alles gern geschehen! -- Vater und Sohn verabschiedeten sich. Auf dem Heimwege dachte der in den Tiefen seiner Seele befriedigte junge Schneider, daß der Andres in seinem Briefe wegen der geistlichen Herren doch sehr übertrieben habe. Denn wenn es auch welche gäbe, die ungefähr so wären, wie er meine, so gäb's doch auch wieder andere, die nicht wackerer sein könnten. Und daß die gleichsam gar nicht nöthig wären und ihr Brot umsonst verdienten, das war doch, genau genommen, eine Mit Selbstgefühl, aber zugleich mit dankbar gerührter Seele stellte er sich vor den Geistlichen. Der blinde Amerika-Hochmuth von gestern war aus dem guten und im Grunde seines Wesens rechtlich denkenden Burschen gewichen. Er fühlte die ganze Liebenswürdigkeit des ehrwürdigen Herrn, und in diesem Gefühl sprach er: Herr Pfarrer, ich dank' Ihnen für Ihre Güte. Wir lassen uns hier noch zusammengeben — von Ihnen, Herr Pfarrer — anders würd' ich's nicht thun. Und wenn ich hinübergehe, werd' ich den Unterricht, den ich von Ihnen erhalten habe, nie vergessen und immer bedacht sein, ihm Ehre zu machen. — Brav, mein Sohn, rief der alte Herr. Mit dieser Gesinnung wirst du überall glücklich sein, wohin du auch kommen magst. — Auch Ihnen, Frau Pfarrerin, dank' ich — für Alles! Den Ton, womit der Bursche die zwei letzten Worte sprach, würdigend und den kleinen Stich erkennend, versetzte die Frau mit Lächeln: Nichts zu danken! — es ist Alles gern geschehen! — Vater und Sohn verabschiedeten sich. Auf dem Heimwege dachte der in den Tiefen seiner Seele befriedigte junge Schneider, daß der Andres in seinem Briefe wegen der geistlichen Herren doch sehr übertrieben habe. Denn wenn es auch welche gäbe, die ungefähr so wären, wie er meine, so gäb's doch auch wieder andere, die nicht wackerer sein könnten. Und daß die gleichsam gar nicht nöthig wären und ihr Brot umsonst verdienten, das war doch, genau genommen, eine <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="6"> <pb facs="#f0203"/> <p>Mit Selbstgefühl, aber zugleich mit dankbar gerührter Seele stellte er sich vor den Geistlichen. Der blinde Amerika-Hochmuth von gestern war aus dem guten und im Grunde seines Wesens rechtlich denkenden Burschen gewichen. Er fühlte die ganze Liebenswürdigkeit des ehrwürdigen Herrn, und in diesem Gefühl sprach er: Herr Pfarrer, ich dank' Ihnen für Ihre Güte. Wir lassen uns hier noch zusammengeben — von Ihnen, Herr Pfarrer — anders würd' ich's nicht thun. Und wenn ich hinübergehe, werd' ich den Unterricht, den ich von Ihnen erhalten habe, nie vergessen und immer bedacht sein, ihm Ehre zu machen. — Brav, mein Sohn, rief der alte Herr. Mit dieser Gesinnung wirst du überall glücklich sein, wohin du auch kommen magst. — Auch Ihnen, Frau Pfarrerin, dank' ich — für Alles! Den Ton, womit der Bursche die zwei letzten Worte sprach, würdigend und den kleinen Stich erkennend, versetzte die Frau mit Lächeln: Nichts zu danken! — es ist Alles gern geschehen! — Vater und Sohn verabschiedeten sich.</p><lb/> <p>Auf dem Heimwege dachte der in den Tiefen seiner Seele befriedigte junge Schneider, daß der Andres in seinem Briefe wegen der geistlichen Herren doch sehr übertrieben habe. Denn wenn es auch welche gäbe, die ungefähr so wären, wie er meine, so gäb's doch auch wieder andere, die nicht wackerer sein könnten. Und daß die gleichsam gar nicht nöthig wären und ihr Brot umsonst verdienten, das war doch, genau genommen, eine<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0203]
Mit Selbstgefühl, aber zugleich mit dankbar gerührter Seele stellte er sich vor den Geistlichen. Der blinde Amerika-Hochmuth von gestern war aus dem guten und im Grunde seines Wesens rechtlich denkenden Burschen gewichen. Er fühlte die ganze Liebenswürdigkeit des ehrwürdigen Herrn, und in diesem Gefühl sprach er: Herr Pfarrer, ich dank' Ihnen für Ihre Güte. Wir lassen uns hier noch zusammengeben — von Ihnen, Herr Pfarrer — anders würd' ich's nicht thun. Und wenn ich hinübergehe, werd' ich den Unterricht, den ich von Ihnen erhalten habe, nie vergessen und immer bedacht sein, ihm Ehre zu machen. — Brav, mein Sohn, rief der alte Herr. Mit dieser Gesinnung wirst du überall glücklich sein, wohin du auch kommen magst. — Auch Ihnen, Frau Pfarrerin, dank' ich — für Alles! Den Ton, womit der Bursche die zwei letzten Worte sprach, würdigend und den kleinen Stich erkennend, versetzte die Frau mit Lächeln: Nichts zu danken! — es ist Alles gern geschehen! — Vater und Sohn verabschiedeten sich.
Auf dem Heimwege dachte der in den Tiefen seiner Seele befriedigte junge Schneider, daß der Andres in seinem Briefe wegen der geistlichen Herren doch sehr übertrieben habe. Denn wenn es auch welche gäbe, die ungefähr so wären, wie er meine, so gäb's doch auch wieder andere, die nicht wackerer sein könnten. Und daß die gleichsam gar nicht nöthig wären und ihr Brot umsonst verdienten, das war doch, genau genommen, eine
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