Meyr, Melchior: Der Sieg des Schwachen. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 9. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 47–255. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.die noch daran gehalten hatten, mußten ihre Meinung verbessern. Von der Kirche ging er erbaut und, so weit es die andächtige Stimmung zuließ, heiter nach Hause. Er war aber zugleich so in sich gekehrt, daß ihn auch nähere Bekannte nur grüßten und nicht zu fragen den Muth hatten. Im Pfarrhause war das Ereigniß erst kurze Zeit vor dem Beginn des Gottesdienstes bekannt geworden. Der Grund war, daß sich die Frau Lehrerin am Samstag unpäßlich fühlte, Abends nicht mehr ausging und auch am Sonntag erst spät sich erheben konnte. Die Lesart, die durch ein Bauernweib an die Pfarrerin kam, meldete arge Händel zwischen Vater und Sohn, wobei sie sich wechselseitig beschädigten und viele Geschirre zu Grunde gingen. Also wieder! sagte sich die Frau mit Ernst und Unmuth, wie sie allein war. Nun wird's bald unmöglich, den Scandal vor meinem Mann länger zu verbergen! -- Daß er von der letzten Geschichte nichts erfahren hat, ist schon ein Wunder (übrigens aus dem Charakter des Geistlichen und aus ihren eigenen Vorkehrungen zu erklären). Aber jetzt, wo die Sache wieder aufgerührt ist, wird am Ende doch etwas an ihn kommen, und es wird vielleicht nothwendig werden, ihm Alles zu sagen. Wollte Gott, das Mädchen hätte mein Haus nie betreten! -- Das Zusammenschlagen der Glocken mahnte sie, die sonntägliche Toilette zu vollenden und sich ins Gotteshaus zu begeben. Hier konnte sie von ihrem Stuhl den alten Schneider nicht sehen, und auf dem die noch daran gehalten hatten, mußten ihre Meinung verbessern. Von der Kirche ging er erbaut und, so weit es die andächtige Stimmung zuließ, heiter nach Hause. Er war aber zugleich so in sich gekehrt, daß ihn auch nähere Bekannte nur grüßten und nicht zu fragen den Muth hatten. Im Pfarrhause war das Ereigniß erst kurze Zeit vor dem Beginn des Gottesdienstes bekannt geworden. Der Grund war, daß sich die Frau Lehrerin am Samstag unpäßlich fühlte, Abends nicht mehr ausging und auch am Sonntag erst spät sich erheben konnte. Die Lesart, die durch ein Bauernweib an die Pfarrerin kam, meldete arge Händel zwischen Vater und Sohn, wobei sie sich wechselseitig beschädigten und viele Geschirre zu Grunde gingen. Also wieder! sagte sich die Frau mit Ernst und Unmuth, wie sie allein war. Nun wird's bald unmöglich, den Scandal vor meinem Mann länger zu verbergen! — Daß er von der letzten Geschichte nichts erfahren hat, ist schon ein Wunder (übrigens aus dem Charakter des Geistlichen und aus ihren eigenen Vorkehrungen zu erklären). Aber jetzt, wo die Sache wieder aufgerührt ist, wird am Ende doch etwas an ihn kommen, und es wird vielleicht nothwendig werden, ihm Alles zu sagen. Wollte Gott, das Mädchen hätte mein Haus nie betreten! — Das Zusammenschlagen der Glocken mahnte sie, die sonntägliche Toilette zu vollenden und sich ins Gotteshaus zu begeben. Hier konnte sie von ihrem Stuhl den alten Schneider nicht sehen, und auf dem <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="6"> <p><pb facs="#f0188"/> die noch daran gehalten hatten, mußten ihre Meinung verbessern. Von der Kirche ging er erbaut und, so weit es die andächtige Stimmung zuließ, heiter nach Hause. Er war aber zugleich so in sich gekehrt, daß ihn auch nähere Bekannte nur grüßten und nicht zu fragen den Muth hatten.</p><lb/> <p>Im Pfarrhause war das Ereigniß erst kurze Zeit vor dem Beginn des Gottesdienstes bekannt geworden. Der Grund war, daß sich die Frau Lehrerin am Samstag unpäßlich fühlte, Abends nicht mehr ausging und auch am Sonntag erst spät sich erheben konnte. Die Lesart, die durch ein Bauernweib an die Pfarrerin kam, meldete arge Händel zwischen Vater und Sohn, wobei sie sich wechselseitig beschädigten und viele Geschirre zu Grunde gingen. Also wieder! sagte sich die Frau mit Ernst und Unmuth, wie sie allein war. Nun wird's bald unmöglich, den Scandal vor meinem Mann länger zu verbergen! — Daß er von der letzten Geschichte nichts erfahren hat, ist schon ein Wunder (übrigens aus dem Charakter des Geistlichen und aus ihren eigenen Vorkehrungen zu erklären). Aber jetzt, wo die Sache wieder aufgerührt ist, wird am Ende doch etwas an ihn kommen, und es wird vielleicht nothwendig werden, ihm Alles zu sagen. Wollte Gott, das Mädchen hätte mein Haus nie betreten! — Das Zusammenschlagen der Glocken mahnte sie, die sonntägliche Toilette zu vollenden und sich ins Gotteshaus zu begeben. Hier konnte sie von ihrem Stuhl den alten Schneider nicht sehen, und auf dem<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0188]
die noch daran gehalten hatten, mußten ihre Meinung verbessern. Von der Kirche ging er erbaut und, so weit es die andächtige Stimmung zuließ, heiter nach Hause. Er war aber zugleich so in sich gekehrt, daß ihn auch nähere Bekannte nur grüßten und nicht zu fragen den Muth hatten.
Im Pfarrhause war das Ereigniß erst kurze Zeit vor dem Beginn des Gottesdienstes bekannt geworden. Der Grund war, daß sich die Frau Lehrerin am Samstag unpäßlich fühlte, Abends nicht mehr ausging und auch am Sonntag erst spät sich erheben konnte. Die Lesart, die durch ein Bauernweib an die Pfarrerin kam, meldete arge Händel zwischen Vater und Sohn, wobei sie sich wechselseitig beschädigten und viele Geschirre zu Grunde gingen. Also wieder! sagte sich die Frau mit Ernst und Unmuth, wie sie allein war. Nun wird's bald unmöglich, den Scandal vor meinem Mann länger zu verbergen! — Daß er von der letzten Geschichte nichts erfahren hat, ist schon ein Wunder (übrigens aus dem Charakter des Geistlichen und aus ihren eigenen Vorkehrungen zu erklären). Aber jetzt, wo die Sache wieder aufgerührt ist, wird am Ende doch etwas an ihn kommen, und es wird vielleicht nothwendig werden, ihm Alles zu sagen. Wollte Gott, das Mädchen hätte mein Haus nie betreten! — Das Zusammenschlagen der Glocken mahnte sie, die sonntägliche Toilette zu vollenden und sich ins Gotteshaus zu begeben. Hier konnte sie von ihrem Stuhl den alten Schneider nicht sehen, und auf dem
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