Meyr, Melchior: Der Sieg des Schwachen. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 9. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 47–255. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.so Einem den Humor zu verderben und Verdruß zu bereiten. Tobias hatte als Inhaber dieser Eigenschaften bereits als Schuljunge viel zu leiden. Es war, als ob die andern Buben kein größeres Vergnügen finden könnten, als ihn zu "trätzen"; und wenn ein Schlingel den Anfang machte, so hatte er augenblicklich Genossen, und was dem einen nicht einfiel, wußte der andere. Fing der Geärgerte in der Verzweiflung endlich an zu schimpfen oder gar zu schlagen, so machte er seine Sache nicht besser. Er bekam die Hiebe zehnfach wieder, und wenn er zuletzt heulend davonging, so wurde ihm noch ein boshaftes Gelächter nachgeschickt. Nach und nach fing er an zu fühlen, was für ihn das Geeignetere sei, und hütete sich, es soweit kommen zu lassen; er zog es vor, lieber gleich Geduld zu haben und die Spottreden der kleinen Bösewichter, wir sehr sie ihn kränkten und schmerzten, mit Resignation auszuhalten, bis sie aus Mangel an Wirkung versiegten. Als er herangewachsen war und mit den ledigen Burschen ins Wirthshaus und auf die Gasse ging, wurde dasselbe Stückchen, nur in einer andern Tonart, weiter gespielt. Es waren ja meist die nämlichen Menschen, die ihn als Buben geplagt und erfahren hatten, wie sehr er sich dazu eigne, und wie trefflich man an ihm den Uebermuth, der ein Opfer haben muß, auslassen könne. Lange hielt er an sich oder antwortete mit Entgegnungsversuchen, womit er's nach seiner Meinung den unverschämten Menschen tüchtig hinausgab, die aber im so Einem den Humor zu verderben und Verdruß zu bereiten. Tobias hatte als Inhaber dieser Eigenschaften bereits als Schuljunge viel zu leiden. Es war, als ob die andern Buben kein größeres Vergnügen finden könnten, als ihn zu „trätzen“; und wenn ein Schlingel den Anfang machte, so hatte er augenblicklich Genossen, und was dem einen nicht einfiel, wußte der andere. Fing der Geärgerte in der Verzweiflung endlich an zu schimpfen oder gar zu schlagen, so machte er seine Sache nicht besser. Er bekam die Hiebe zehnfach wieder, und wenn er zuletzt heulend davonging, so wurde ihm noch ein boshaftes Gelächter nachgeschickt. Nach und nach fing er an zu fühlen, was für ihn das Geeignetere sei, und hütete sich, es soweit kommen zu lassen; er zog es vor, lieber gleich Geduld zu haben und die Spottreden der kleinen Bösewichter, wir sehr sie ihn kränkten und schmerzten, mit Resignation auszuhalten, bis sie aus Mangel an Wirkung versiegten. Als er herangewachsen war und mit den ledigen Burschen ins Wirthshaus und auf die Gasse ging, wurde dasselbe Stückchen, nur in einer andern Tonart, weiter gespielt. Es waren ja meist die nämlichen Menschen, die ihn als Buben geplagt und erfahren hatten, wie sehr er sich dazu eigne, und wie trefflich man an ihm den Uebermuth, der ein Opfer haben muß, auslassen könne. Lange hielt er an sich oder antwortete mit Entgegnungsversuchen, womit er's nach seiner Meinung den unverschämten Menschen tüchtig hinausgab, die aber im <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="1"> <p><pb facs="#f0014"/> so Einem den Humor zu verderben und Verdruß zu bereiten. Tobias hatte als Inhaber dieser Eigenschaften bereits als Schuljunge viel zu leiden. Es war, als ob die andern Buben kein größeres Vergnügen finden könnten, als ihn zu „trätzen“; und wenn ein Schlingel den Anfang machte, so hatte er augenblicklich Genossen, und was dem einen nicht einfiel, wußte der andere. Fing der Geärgerte in der Verzweiflung endlich an zu schimpfen oder gar zu schlagen, so machte er seine Sache nicht besser. Er bekam die Hiebe zehnfach wieder, und wenn er zuletzt heulend davonging, so wurde ihm noch ein boshaftes Gelächter nachgeschickt. Nach und nach fing er an zu fühlen, was für ihn das Geeignetere sei, und hütete sich, es soweit kommen zu lassen; er zog es vor, lieber gleich Geduld zu haben und die Spottreden der kleinen Bösewichter, wir sehr sie ihn kränkten und schmerzten, mit Resignation auszuhalten, bis sie aus Mangel an Wirkung versiegten.</p><lb/> <p>Als er herangewachsen war und mit den ledigen Burschen ins Wirthshaus und auf die Gasse ging, wurde dasselbe Stückchen, nur in einer andern Tonart, weiter gespielt. Es waren ja meist die nämlichen Menschen, die ihn als Buben geplagt und erfahren hatten, wie sehr er sich dazu eigne, und wie trefflich man an ihm den Uebermuth, der ein Opfer haben muß, auslassen könne. Lange hielt er an sich oder antwortete mit Entgegnungsversuchen, womit er's nach seiner Meinung den unverschämten Menschen tüchtig hinausgab, die aber im<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0014]
so Einem den Humor zu verderben und Verdruß zu bereiten. Tobias hatte als Inhaber dieser Eigenschaften bereits als Schuljunge viel zu leiden. Es war, als ob die andern Buben kein größeres Vergnügen finden könnten, als ihn zu „trätzen“; und wenn ein Schlingel den Anfang machte, so hatte er augenblicklich Genossen, und was dem einen nicht einfiel, wußte der andere. Fing der Geärgerte in der Verzweiflung endlich an zu schimpfen oder gar zu schlagen, so machte er seine Sache nicht besser. Er bekam die Hiebe zehnfach wieder, und wenn er zuletzt heulend davonging, so wurde ihm noch ein boshaftes Gelächter nachgeschickt. Nach und nach fing er an zu fühlen, was für ihn das Geeignetere sei, und hütete sich, es soweit kommen zu lassen; er zog es vor, lieber gleich Geduld zu haben und die Spottreden der kleinen Bösewichter, wir sehr sie ihn kränkten und schmerzten, mit Resignation auszuhalten, bis sie aus Mangel an Wirkung versiegten.
Als er herangewachsen war und mit den ledigen Burschen ins Wirthshaus und auf die Gasse ging, wurde dasselbe Stückchen, nur in einer andern Tonart, weiter gespielt. Es waren ja meist die nämlichen Menschen, die ihn als Buben geplagt und erfahren hatten, wie sehr er sich dazu eigne, und wie trefflich man an ihm den Uebermuth, der ein Opfer haben muß, auslassen könne. Lange hielt er an sich oder antwortete mit Entgegnungsversuchen, womit er's nach seiner Meinung den unverschämten Menschen tüchtig hinausgab, die aber im
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Zitationshilfe: | Meyr, Melchior: Der Sieg des Schwachen. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 9. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 47–255. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meyr_schwachen_1910/14>, abgerufen am 16.07.2024. |