Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Meyr, Melchior: Der Sieg des Schwachen. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 9. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 47–255. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

mehr oder weniger Schande, und auf etwas mehr oder weniger Schläge kam's jetzt nicht mehr an.

Die Wahrheit war an den Tag gekommen und nicht mehr zu vertuschen. Keine Ausrede, keine Lüge half mehr. Jetzt galt es, bei der Wahrheit zu bleiben und auszuhalten und gradaus vorwärts zu gehen.

Für ihn gab es jetzt nur noch Eine Pflicht in der Welt. Die Leute hatten ihren Spott mit ihm und ärgerten ihn; der Vater und der Bruder verachteten ihn und thaten ihm Böses an, so viel sie konnten; nur die Bäbe hatte ihn gern -- sie hielt Alles auf ihn und schätzte ihn so hoch mit allen seinen Fehlern. Sie war die einzige Seele, die's wirklich gut mit ihm meinte -- die einzige auf der ganzen Welt! Von ihr nicht zu lassen, ihr anzuhangen und ihr alles Liebe und Gute zu thun, was er nur vermochte, das war das Einzige, was er jetzt noch zu thun hatte.

Thränen füllten die Augen des guten Burschen, als er in der Hülle und Fülle seiner Schmach an die Liebe der Bäbe dachte, an die Freundschaft und die Güte, die sie ihm bis jetzt bewiesen hatte. In der Rührung seines Herzens erneuerte er das Gelöbniß der Treue mit feierlichen Betheurungen und faßte wiederholt den Entschluß, um ihretwillen Alles zu dulden, was der Teufel ihm auch noch anthun mochte! Und nun, in dieser Verfassung, schämte er sich nur der Scham und der Furcht vor den Leuten. Daß er im Pfarrhause solche Angst hatte, und daß er so froh war, es im Rücken zu haben, -- das war elend

mehr oder weniger Schande, und auf etwas mehr oder weniger Schläge kam's jetzt nicht mehr an.

Die Wahrheit war an den Tag gekommen und nicht mehr zu vertuschen. Keine Ausrede, keine Lüge half mehr. Jetzt galt es, bei der Wahrheit zu bleiben und auszuhalten und gradaus vorwärts zu gehen.

Für ihn gab es jetzt nur noch Eine Pflicht in der Welt. Die Leute hatten ihren Spott mit ihm und ärgerten ihn; der Vater und der Bruder verachteten ihn und thaten ihm Böses an, so viel sie konnten; nur die Bäbe hatte ihn gern — sie hielt Alles auf ihn und schätzte ihn so hoch mit allen seinen Fehlern. Sie war die einzige Seele, die's wirklich gut mit ihm meinte — die einzige auf der ganzen Welt! Von ihr nicht zu lassen, ihr anzuhangen und ihr alles Liebe und Gute zu thun, was er nur vermochte, das war das Einzige, was er jetzt noch zu thun hatte.

Thränen füllten die Augen des guten Burschen, als er in der Hülle und Fülle seiner Schmach an die Liebe der Bäbe dachte, an die Freundschaft und die Güte, die sie ihm bis jetzt bewiesen hatte. In der Rührung seines Herzens erneuerte er das Gelöbniß der Treue mit feierlichen Betheurungen und faßte wiederholt den Entschluß, um ihretwillen Alles zu dulden, was der Teufel ihm auch noch anthun mochte! Und nun, in dieser Verfassung, schämte er sich nur der Scham und der Furcht vor den Leuten. Daß er im Pfarrhause solche Angst hatte, und daß er so froh war, es im Rücken zu haben, — das war elend

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="chapter" n="4">
        <p><pb facs="#f0117"/>
mehr oder weniger Schande,      und auf etwas mehr oder weniger Schläge kam's jetzt nicht mehr an.</p><lb/>
        <p>Die Wahrheit war an den Tag gekommen und nicht mehr zu vertuschen. Keine Ausrede, keine Lüge      half mehr. Jetzt galt es, bei der Wahrheit zu bleiben und auszuhalten und gradaus vorwärts zu      gehen.</p><lb/>
        <p>Für ihn gab es jetzt nur noch Eine Pflicht in der Welt. Die Leute hatten ihren Spott mit ihm      und ärgerten ihn; der Vater und der Bruder verachteten ihn und thaten ihm Böses an, so viel sie      konnten; nur die Bäbe hatte ihn gern &#x2014; sie hielt Alles auf ihn und schätzte ihn so hoch mit      allen seinen Fehlern. Sie war die einzige Seele, die's wirklich gut mit ihm meinte &#x2014; die      einzige auf der ganzen Welt! Von ihr nicht zu lassen, ihr anzuhangen und ihr alles Liebe und      Gute zu thun, was er nur vermochte, das war das Einzige, was er jetzt noch zu thun hatte.</p><lb/>
        <p>Thränen füllten die Augen des guten Burschen, als er in der Hülle und Fülle seiner Schmach an      die Liebe der Bäbe dachte, an die Freundschaft und die Güte, die sie ihm bis jetzt bewiesen      hatte. In der Rührung seines Herzens erneuerte er das Gelöbniß der Treue mit feierlichen      Betheurungen und faßte wiederholt den Entschluß, um ihretwillen Alles zu dulden, was der Teufel      ihm auch noch anthun mochte! Und nun, in dieser Verfassung, schämte er sich nur der Scham und      der Furcht vor den Leuten. Daß er im Pfarrhause solche Angst hatte, und daß er so froh war, es      im Rücken zu haben, &#x2014; das war elend<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0117] mehr oder weniger Schande, und auf etwas mehr oder weniger Schläge kam's jetzt nicht mehr an. Die Wahrheit war an den Tag gekommen und nicht mehr zu vertuschen. Keine Ausrede, keine Lüge half mehr. Jetzt galt es, bei der Wahrheit zu bleiben und auszuhalten und gradaus vorwärts zu gehen. Für ihn gab es jetzt nur noch Eine Pflicht in der Welt. Die Leute hatten ihren Spott mit ihm und ärgerten ihn; der Vater und der Bruder verachteten ihn und thaten ihm Böses an, so viel sie konnten; nur die Bäbe hatte ihn gern — sie hielt Alles auf ihn und schätzte ihn so hoch mit allen seinen Fehlern. Sie war die einzige Seele, die's wirklich gut mit ihm meinte — die einzige auf der ganzen Welt! Von ihr nicht zu lassen, ihr anzuhangen und ihr alles Liebe und Gute zu thun, was er nur vermochte, das war das Einzige, was er jetzt noch zu thun hatte. Thränen füllten die Augen des guten Burschen, als er in der Hülle und Fülle seiner Schmach an die Liebe der Bäbe dachte, an die Freundschaft und die Güte, die sie ihm bis jetzt bewiesen hatte. In der Rührung seines Herzens erneuerte er das Gelöbniß der Treue mit feierlichen Betheurungen und faßte wiederholt den Entschluß, um ihretwillen Alles zu dulden, was der Teufel ihm auch noch anthun mochte! Und nun, in dieser Verfassung, schämte er sich nur der Scham und der Furcht vor den Leuten. Daß er im Pfarrhause solche Angst hatte, und daß er so froh war, es im Rücken zu haben, — das war elend

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T14:49:07Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T14:49:07Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/meyr_schwachen_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/meyr_schwachen_1910/117
Zitationshilfe: Meyr, Melchior: Der Sieg des Schwachen. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 9. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 47–255. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meyr_schwachen_1910/117>, abgerufen am 27.11.2024.