Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Meyer, Johannes: Die grossen und seligen Thaten der Gnade. Zürich, 1759.

Bild:
<< vorherige Seite

Thaten der Gnade. I. Stück.
in der größten Unempfindlichkeit und Si-
cherheit bis in ihr hohes Alter. Da würde
zwar manche vorhin begangene Sünde ab-
geleget, sie fienge auch an, ein vor der Welt
ehrbares und stilles Leben zu führen. Aber
das Herz bliebe in dem vorigen kläglichen
Zustande, da war kein Gesicht und Gefühl
der ehemahls begangenen Uebertrettungen,
kein Ringen nach dem Blute der Versöh-
nung, kein gläubiges Eilen nach dem Arzt
der Seele; folglich noch keine Anstalten zu
einem seligen Tode und freudigen Uebergang
in eine herrliche Ewigkeit.

So ist mancher Mensch, der sein blü-
hendes Alter und die beste Zeit seines Lebens
in der Sünde zubringet, und so lange Kräf-
te, Vermögen und Gelegenheiten da sind,
so lange braucht man dieselben, der Sünde
nach ihrem Gefallen zu dienen, trittet man
denn ins Alter, so fänget man ein ehrbares
Leben an, man verlässet diese und jene zu-
vor geliebte Sünde, man brauchet nun die
äussere Mittel der Gnade, man höret und
lieset das Wort GOttes und andere gottse-
lige Bücher, man betet fleißig seinen Mor-
gen- und Abendsegen, man redet etwann
auch von GOtt und göttlichen Dingen u. d. g.
und meynt, das seye nun genug zum Se-
ligwerden. Aber lieber Mensch! wie stehts
um die ehemahlige Sünden, werden sie

nun

Thaten der Gnade. I. Stuͤck.
in der groͤßten Unempfindlichkeit und Si-
cherheit bis in ihr hohes Alter. Da wuͤrde
zwar manche vorhin begangene Suͤnde ab-
geleget, ſie fienge auch an, ein vor der Welt
ehrbares und ſtilles Leben zu fuͤhren. Aber
das Herz bliebe in dem vorigen klaͤglichen
Zuſtande, da war kein Geſicht und Gefuͤhl
der ehemahls begangenen Uebertrettungen,
kein Ringen nach dem Blute der Verſoͤh-
nung, kein glaͤubiges Eilen nach dem Arzt
der Seele; folglich noch keine Anſtalten zu
einem ſeligen Tode und freudigen Uebergang
in eine herrliche Ewigkeit.

So iſt mancher Menſch, der ſein bluͤ-
hendes Alter und die beſte Zeit ſeines Lebens
in der Suͤnde zubringet, und ſo lange Kraͤf-
te, Vermoͤgen und Gelegenheiten da ſind,
ſo lange braucht man dieſelben, der Suͤnde
nach ihrem Gefallen zu dienen, trittet man
denn ins Alter, ſo faͤnget man ein ehrbares
Leben an, man verlaͤſſet dieſe und jene zu-
vor geliebte Suͤnde, man brauchet nun die
aͤuſſere Mittel der Gnade, man hoͤret und
lieſet das Wort GOttes und andere gottſe-
lige Buͤcher, man betet fleißig ſeinen Mor-
gen- und Abendſegen, man redet etwann
auch von GOtt und goͤttlichen Dingen u. d. g.
und meynt, das ſeye nun genug zum Se-
ligwerden. Aber lieber Menſch! wie ſtehts
um die ehemahlige Suͤnden, werden ſie

nun
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0065" n="13"/><fw place="top" type="header">Thaten der Gnade. <hi rendition="#aq">I</hi>. Stu&#x0364;ck.</fw><lb/>
in der gro&#x0364;ßten Unempfindlichkeit und Si-<lb/>
cherheit bis in ihr hohes Alter. Da wu&#x0364;rde<lb/>
zwar manche vorhin begangene Su&#x0364;nde ab-<lb/>
geleget, &#x017F;ie fienge auch an, ein vor der Welt<lb/>
ehrbares und &#x017F;tilles Leben zu fu&#x0364;hren. Aber<lb/>
das Herz bliebe in dem vorigen kla&#x0364;glichen<lb/>
Zu&#x017F;tande, da war kein Ge&#x017F;icht und Gefu&#x0364;hl<lb/>
der ehemahls begangenen Uebertrettungen,<lb/>
kein Ringen nach dem Blute der Ver&#x017F;o&#x0364;h-<lb/>
nung, kein gla&#x0364;ubiges Eilen nach dem Arzt<lb/>
der Seele; folglich noch keine An&#x017F;talten zu<lb/>
einem &#x017F;eligen Tode und freudigen Uebergang<lb/>
in eine herrliche Ewigkeit.</p><lb/>
        <p>So i&#x017F;t mancher Men&#x017F;ch, der &#x017F;ein blu&#x0364;-<lb/>
hendes Alter und die be&#x017F;te Zeit &#x017F;eines Lebens<lb/>
in der Su&#x0364;nde zubringet, und &#x017F;o lange Kra&#x0364;f-<lb/>
te, Vermo&#x0364;gen und Gelegenheiten da &#x017F;ind,<lb/>
&#x017F;o lange braucht man die&#x017F;elben, der Su&#x0364;nde<lb/>
nach ihrem Gefallen zu dienen, trittet man<lb/>
denn ins Alter, &#x017F;o fa&#x0364;nget man ein ehrbares<lb/>
Leben an, man verla&#x0364;&#x017F;&#x017F;et die&#x017F;e und jene zu-<lb/>
vor geliebte Su&#x0364;nde, man brauchet nun die<lb/>
a&#x0364;u&#x017F;&#x017F;ere Mittel der Gnade, man ho&#x0364;ret und<lb/>
lie&#x017F;et das Wort GOttes und andere gott&#x017F;e-<lb/>
lige Bu&#x0364;cher, man betet fleißig &#x017F;einen Mor-<lb/>
gen- und Abend&#x017F;egen, man redet etwann<lb/>
auch von GOtt und go&#x0364;ttlichen Dingen u. d. g.<lb/>
und meynt, das &#x017F;eye nun genug zum Se-<lb/>
ligwerden. Aber lieber Men&#x017F;ch! wie &#x017F;tehts<lb/>
um die ehemahlige Su&#x0364;nden, werden &#x017F;ie<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">nun</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[13/0065] Thaten der Gnade. I. Stuͤck. in der groͤßten Unempfindlichkeit und Si- cherheit bis in ihr hohes Alter. Da wuͤrde zwar manche vorhin begangene Suͤnde ab- geleget, ſie fienge auch an, ein vor der Welt ehrbares und ſtilles Leben zu fuͤhren. Aber das Herz bliebe in dem vorigen klaͤglichen Zuſtande, da war kein Geſicht und Gefuͤhl der ehemahls begangenen Uebertrettungen, kein Ringen nach dem Blute der Verſoͤh- nung, kein glaͤubiges Eilen nach dem Arzt der Seele; folglich noch keine Anſtalten zu einem ſeligen Tode und freudigen Uebergang in eine herrliche Ewigkeit. So iſt mancher Menſch, der ſein bluͤ- hendes Alter und die beſte Zeit ſeines Lebens in der Suͤnde zubringet, und ſo lange Kraͤf- te, Vermoͤgen und Gelegenheiten da ſind, ſo lange braucht man dieſelben, der Suͤnde nach ihrem Gefallen zu dienen, trittet man denn ins Alter, ſo faͤnget man ein ehrbares Leben an, man verlaͤſſet dieſe und jene zu- vor geliebte Suͤnde, man brauchet nun die aͤuſſere Mittel der Gnade, man hoͤret und lieſet das Wort GOttes und andere gottſe- lige Buͤcher, man betet fleißig ſeinen Mor- gen- und Abendſegen, man redet etwann auch von GOtt und goͤttlichen Dingen u. d. g. und meynt, das ſeye nun genug zum Se- ligwerden. Aber lieber Menſch! wie ſtehts um die ehemahlige Suͤnden, werden ſie nun

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_wiedergebohrne_1759
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_wiedergebohrne_1759/65
Zitationshilfe: Meyer, Johannes: Die grossen und seligen Thaten der Gnade. Zürich, 1759, S. 13. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_wiedergebohrne_1759/65>, abgerufen am 28.04.2024.