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Meyer, Johannes: Die grossen und seligen Thaten der Gnade. Zürich, 1759.

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Thaten der Gnade. IV. Stück.
sätzen, und einem saft- und kraftlosen
Schatten und Heuchelschein. Worbey sie
noch meynte, wie wohl und gut es um ihr
Christenthum stehe.

O wie viele Menschen betrügen sich auf
gleiche Weise! Mancher bekommt einen
Schlag an sein Herze, sein Gewissen fängt
an unruhig zu werden, und aufzuwachen.
Er fängt an mit allerhand äusseren Uebun-
gen die innere Angst und Bangigkeit zu
stillen, und meynt, wie wohl alles ausge-
richtet sey. Da wird das Grab übertün-
chet, das Aeussere der Schüssel rein gemacht,
aber zugleich die alte Schlangenbrut im
Herze gelassen. Ein anderer fühlt einen
Evangelischen Gnadenzug in seinem Jnn-
wendigen, er gesellet sich unter die From-
men, liebet sie, macht äusserlich mit, fängt
an die Sprache Canaans zu reden, und
bringt es bey feinen äusserlichen Gaben, bey
einem öftern Umgange mit Kindern GOt-
tes, durch Lesung gesalbeter Schriften zu
etwas, so in die Augen fällt. Er wird von
andern hochgeschätzt, und unter die Gläu-
bigen gerechnet, aber wie mancher betrüget
sich nicht bey diesem allem! wie öfters rich-
ten sich viele bey ihrem Laufen, Schwätzen,
und Mitmachen eine eigene Gerechtigkeit
auf. Man bleibet bey denen Schalen ste-
hen, und lässet den Kernen fahren. Man

hänget

Thaten der Gnade. IV. Stuͤck.
ſaͤtzen, und einem ſaft- und kraftloſen
Schatten und Heuchelſchein. Worbey ſie
noch meynte, wie wohl und gut es um ihr
Chriſtenthum ſtehe.

O wie viele Menſchen betruͤgen ſich auf
gleiche Weiſe! Mancher bekommt einen
Schlag an ſein Herze, ſein Gewiſſen faͤngt
an unruhig zu werden, und aufzuwachen.
Er faͤngt an mit allerhand aͤuſſeren Uebun-
gen die innere Angſt und Bangigkeit zu
ſtillen, und meynt, wie wohl alles ausge-
richtet ſey. Da wird das Grab uͤbertuͤn-
chet, das Aeuſſere der Schuͤſſel rein gemacht,
aber zugleich die alte Schlangenbrut im
Herze gelaſſen. Ein anderer fuͤhlt einen
Evangeliſchen Gnadenzug in ſeinem Jnn-
wendigen, er geſellet ſich unter die From-
men, liebet ſie, macht aͤuſſerlich mit, faͤngt
an die Sprache Canaans zu reden, und
bringt es bey feinen aͤuſſerlichen Gaben, bey
einem oͤftern Umgange mit Kindern GOt-
tes, durch Leſung geſalbeter Schriften zu
etwas, ſo in die Augen faͤllt. Er wird von
andern hochgeſchaͤtzt, und unter die Glaͤu-
bigen gerechnet, aber wie mancher betruͤget
ſich nicht bey dieſem allem! wie oͤfters rich-
ten ſich viele bey ihrem Laufen, Schwaͤtzen,
und Mitmachen eine eigene Gerechtigkeit
auf. Man bleibet bey denen Schalen ſte-
hen, und laͤſſet den Kernen fahren. Man

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[319/0371] Thaten der Gnade. IV. Stuͤck. ſaͤtzen, und einem ſaft- und kraftloſen Schatten und Heuchelſchein. Worbey ſie noch meynte, wie wohl und gut es um ihr Chriſtenthum ſtehe. O wie viele Menſchen betruͤgen ſich auf gleiche Weiſe! Mancher bekommt einen Schlag an ſein Herze, ſein Gewiſſen faͤngt an unruhig zu werden, und aufzuwachen. Er faͤngt an mit allerhand aͤuſſeren Uebun- gen die innere Angſt und Bangigkeit zu ſtillen, und meynt, wie wohl alles ausge- richtet ſey. Da wird das Grab uͤbertuͤn- chet, das Aeuſſere der Schuͤſſel rein gemacht, aber zugleich die alte Schlangenbrut im Herze gelaſſen. Ein anderer fuͤhlt einen Evangeliſchen Gnadenzug in ſeinem Jnn- wendigen, er geſellet ſich unter die From- men, liebet ſie, macht aͤuſſerlich mit, faͤngt an die Sprache Canaans zu reden, und bringt es bey feinen aͤuſſerlichen Gaben, bey einem oͤftern Umgange mit Kindern GOt- tes, durch Leſung geſalbeter Schriften zu etwas, ſo in die Augen faͤllt. Er wird von andern hochgeſchaͤtzt, und unter die Glaͤu- bigen gerechnet, aber wie mancher betruͤget ſich nicht bey dieſem allem! wie oͤfters rich- ten ſich viele bey ihrem Laufen, Schwaͤtzen, und Mitmachen eine eigene Gerechtigkeit auf. Man bleibet bey denen Schalen ſte- hen, und laͤſſet den Kernen fahren. Man haͤnget

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Zitationshilfe: Meyer, Johannes: Die grossen und seligen Thaten der Gnade. Zürich, 1759, S. 319. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_wiedergebohrne_1759/371>, abgerufen am 22.11.2024.