Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Meyer, Johannes: Die grossen und seligen Thaten der Gnade. Zürich, 1759.

Bild:
<< vorherige Seite

Thaten der Gnade. III. Stück.
das dich bewegt, aufhaltet und zurückezie-
het, so fasse es an, und brauche es zu einem
Liebesseil, darzu dir es der Heyland sendet,
dich wieder zu ihm ziehen zu lassen.

Es gienge also der Heyland unser in der
Wüste verirrten Hagar immer nach, suchte
bald auf diese, bald auf jene Weise, sich einen
Weg zu diesem Herze wieder zu bahnen,
und sie zu der verlassenen Quelle des Lebens
zu leiten. Er hielte darum den Feind nicht
nur seine Hände, daß er sich der Vortheile
nicht bedienen könnte, darzu ihm muthwil-
lig so manche Gelegenheit anerbotten wor-
den, sondern er verzäunte ihr ihre Sünden-
wege auf vielerley Weise, und ließ sie viel-
mahl anlaufen, daß sie wieder zurücke keh-
ren sollte. Das wieder eingeschlafene Ge-
wissen wurde von Zeit zu Zeit angegriffen,
unruhig gemacht, und mit Angst und Ban-
gigkeit erfüllet; da gerieth die Seele zu Zei-
ten in die Enge, daß sie weder aus noch ein
wußte. Es gieng ihr wie der Daube Noah,
die hin und herfloge, einen Ort ihres Auf-
enthalts zu suchen, und aussert der Arche
sich zu ernähren, aber sie fand nichts, da
ihr Fuß ruhen konnte, sie flog also wieder
zu der Arche, ließ sich hinziehen an den
Ort, da sie alleine sicher ruhen konnte. So
lässet der Heyland der Seele, die er gerne
erretten will, nirgends Ruhe. Fliehet sie

schon

Thaten der Gnade. III. Stuͤck.
das dich bewegt, aufhaltet und zuruͤckezie-
het, ſo faſſe es an, und brauche es zu einem
Liebesſeil, darzu dir es der Heyland ſendet,
dich wieder zu ihm ziehen zu laſſen.

Es gienge alſo der Heyland unſer in der
Wuͤſte verirrten Hagar immer nach, ſuchte
bald auf dieſe, bald auf jene Weiſe, ſich einen
Weg zu dieſem Herze wieder zu bahnen,
und ſie zu der verlaſſenen Quelle des Lebens
zu leiten. Er hielte darum den Feind nicht
nur ſeine Haͤnde, daß er ſich der Vortheile
nicht bedienen koͤnnte, darzu ihm muthwil-
lig ſo manche Gelegenheit anerbotten wor-
den, ſondern er verzaͤunte ihr ihre Suͤnden-
wege auf vielerley Weiſe, und ließ ſie viel-
mahl anlaufen, daß ſie wieder zuruͤcke keh-
ren ſollte. Das wieder eingeſchlafene Ge-
wiſſen wurde von Zeit zu Zeit angegriffen,
unruhig gemacht, und mit Angſt und Ban-
gigkeit erfuͤllet; da gerieth die Seele zu Zei-
ten in die Enge, daß ſie weder aus noch ein
wußte. Es gieng ihr wie der Daube Noah,
die hin und herfloge, einen Ort ihres Auf-
enthalts zu ſuchen, und auſſert der Arche
ſich zu ernaͤhren, aber ſie fand nichts, da
ihr Fuß ruhen konnte, ſie flog alſo wieder
zu der Arche, ließ ſich hinziehen an den
Ort, da ſie alleine ſicher ruhen konnte. So
laͤſſet der Heyland der Seele, die er gerne
erretten will, nirgends Ruhe. Fliehet ſie

ſchon
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0289" n="237"/><fw place="top" type="header">Thaten der Gnade. <hi rendition="#aq">III</hi>. Stu&#x0364;ck.</fw><lb/>
das dich bewegt, aufhaltet und zuru&#x0364;ckezie-<lb/>
het, &#x017F;o fa&#x017F;&#x017F;e es an, und brauche es zu einem<lb/>
Liebes&#x017F;eil, darzu dir es der Heyland &#x017F;endet,<lb/>
dich wieder zu ihm ziehen zu la&#x017F;&#x017F;en.</p><lb/>
        <p>Es gienge al&#x017F;o der Heyland un&#x017F;er in der<lb/>
Wu&#x0364;&#x017F;te verirrten Hagar immer nach, &#x017F;uchte<lb/>
bald auf die&#x017F;e, bald auf jene Wei&#x017F;e, &#x017F;ich einen<lb/>
Weg zu die&#x017F;em Herze wieder zu bahnen,<lb/>
und &#x017F;ie zu der verla&#x017F;&#x017F;enen Quelle des Lebens<lb/>
zu leiten. Er hielte darum den Feind nicht<lb/>
nur &#x017F;eine Ha&#x0364;nde, daß er &#x017F;ich der Vortheile<lb/>
nicht bedienen ko&#x0364;nnte, darzu ihm muthwil-<lb/>
lig &#x017F;o manche Gelegenheit anerbotten wor-<lb/>
den, &#x017F;ondern er verza&#x0364;unte ihr ihre Su&#x0364;nden-<lb/>
wege auf vielerley Wei&#x017F;e, und ließ &#x017F;ie viel-<lb/>
mahl anlaufen, daß &#x017F;ie wieder zuru&#x0364;cke keh-<lb/>
ren &#x017F;ollte. Das wieder einge&#x017F;chlafene Ge-<lb/>
wi&#x017F;&#x017F;en wurde von Zeit zu Zeit angegriffen,<lb/>
unruhig gemacht, und mit Ang&#x017F;t und Ban-<lb/>
gigkeit erfu&#x0364;llet; da gerieth die Seele zu Zei-<lb/>
ten in die Enge, daß &#x017F;ie weder aus noch ein<lb/>
wußte. Es gieng ihr wie der Daube Noah,<lb/>
die hin und herfloge, einen Ort ihres Auf-<lb/>
enthalts zu &#x017F;uchen, und au&#x017F;&#x017F;ert der Arche<lb/>
&#x017F;ich zu erna&#x0364;hren, aber &#x017F;ie fand nichts, da<lb/>
ihr Fuß ruhen konnte, &#x017F;ie flog al&#x017F;o wieder<lb/>
zu der Arche, ließ &#x017F;ich hinziehen an den<lb/>
Ort, da &#x017F;ie alleine &#x017F;icher ruhen konnte. So<lb/>
la&#x0364;&#x017F;&#x017F;et der Heyland der Seele, die er gerne<lb/>
erretten will, nirgends Ruhe. Fliehet &#x017F;ie<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">&#x017F;chon</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[237/0289] Thaten der Gnade. III. Stuͤck. das dich bewegt, aufhaltet und zuruͤckezie- het, ſo faſſe es an, und brauche es zu einem Liebesſeil, darzu dir es der Heyland ſendet, dich wieder zu ihm ziehen zu laſſen. Es gienge alſo der Heyland unſer in der Wuͤſte verirrten Hagar immer nach, ſuchte bald auf dieſe, bald auf jene Weiſe, ſich einen Weg zu dieſem Herze wieder zu bahnen, und ſie zu der verlaſſenen Quelle des Lebens zu leiten. Er hielte darum den Feind nicht nur ſeine Haͤnde, daß er ſich der Vortheile nicht bedienen koͤnnte, darzu ihm muthwil- lig ſo manche Gelegenheit anerbotten wor- den, ſondern er verzaͤunte ihr ihre Suͤnden- wege auf vielerley Weiſe, und ließ ſie viel- mahl anlaufen, daß ſie wieder zuruͤcke keh- ren ſollte. Das wieder eingeſchlafene Ge- wiſſen wurde von Zeit zu Zeit angegriffen, unruhig gemacht, und mit Angſt und Ban- gigkeit erfuͤllet; da gerieth die Seele zu Zei- ten in die Enge, daß ſie weder aus noch ein wußte. Es gieng ihr wie der Daube Noah, die hin und herfloge, einen Ort ihres Auf- enthalts zu ſuchen, und auſſert der Arche ſich zu ernaͤhren, aber ſie fand nichts, da ihr Fuß ruhen konnte, ſie flog alſo wieder zu der Arche, ließ ſich hinziehen an den Ort, da ſie alleine ſicher ruhen konnte. So laͤſſet der Heyland der Seele, die er gerne erretten will, nirgends Ruhe. Fliehet ſie ſchon

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_wiedergebohrne_1759
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_wiedergebohrne_1759/289
Zitationshilfe: Meyer, Johannes: Die grossen und seligen Thaten der Gnade. Zürich, 1759, S. 237. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_wiedergebohrne_1759/289>, abgerufen am 22.11.2024.