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Meyer, Johannes: Die grossen und seligen Thaten der Gnade. Zürich, 1759.

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Thaten der Gnade. III. Stück.

Nun ist das arme Schaaf dem Hirten,
dem es so nahe gewesen, wieder entrunnen,
irret hin und her, und verlaufet sich in sei-
ner Dummheit und Leichtsinnigkeit. Arme
Seele! dein Hirte ist betrübt, daß er seine
Freude in deiner Errettung und Seligma-
chung nicht haben kann, er siehet dich mit
mitleidenden Augen auf deinen vorigen We-
gen, und in der ersten Gefahr deines gänz-
lichen Unterganges. Aber so voller Weh-
muth die Augen deines Hirtens über dich
sind, mit so freudigen Blicken siehet dich
dein Seelenfeind, und ist sehr froh, daß es
ihm gelungen, dich gleichsam aus denen Ar-
men deines Hirtens herauszureissen, und
auf solche Wege zu verlocken, da es ihm
nun leicht ist, dich zu verschlingen, und als
seinen Raub in seine fürchterliche Höhle
fortzutragen. Einfältiges Schaaf! wie
übel hast du dir gerathen, wie thöricht und
unsinnig dich selbst betrogen! du fliehest vor
dem, der durch unbeschreibliche Leiden und
den bittersten Tod, den Löwen geschlagen,
der dich in seiner Gewalt, mit unersättli-
cher Rache, Mord und Quaal nun zu ver-
derben gesinnet ist. Du hassest den, der
dich mit seinem letzten Blutstropfen gelie-
bet, und dir eine unendliche Seligkeit berei-
tet hat. Du machest dich von dem los, der
dich nur darum gesuchet, und in seine Ge-

mein-
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Thaten der Gnade. III. Stuͤck.

Nun iſt das arme Schaaf dem Hirten,
dem es ſo nahe geweſen, wieder entrunnen,
irret hin und her, und verlaufet ſich in ſei-
ner Dummheit und Leichtſinnigkeit. Arme
Seele! dein Hirte iſt betruͤbt, daß er ſeine
Freude in deiner Errettung und Seligma-
chung nicht haben kann, er ſiehet dich mit
mitleidenden Augen auf deinen vorigen We-
gen, und in der erſten Gefahr deines gaͤnz-
lichen Unterganges. Aber ſo voller Weh-
muth die Augen deines Hirtens uͤber dich
ſind, mit ſo freudigen Blicken ſiehet dich
dein Seelenfeind, und iſt ſehr froh, daß es
ihm gelungen, dich gleichſam aus denen Ar-
men deines Hirtens herauszureiſſen, und
auf ſolche Wege zu verlocken, da es ihm
nun leicht iſt, dich zu verſchlingen, und als
ſeinen Raub in ſeine fuͤrchterliche Hoͤhle
fortzutragen. Einfaͤltiges Schaaf! wie
uͤbel haſt du dir gerathen, wie thoͤricht und
unſinnig dich ſelbſt betrogen! du flieheſt vor
dem, der durch unbeſchreibliche Leiden und
den bitterſten Tod, den Loͤwen geſchlagen,
der dich in ſeiner Gewalt, mit unerſaͤttli-
cher Rache, Mord und Quaal nun zu ver-
derben geſinnet iſt. Du haſſeſt den, der
dich mit ſeinem letzten Blutstropfen gelie-
bet, und dir eine unendliche Seligkeit berei-
tet hat. Du macheſt dich von dem los, der
dich nur darum geſuchet, und in ſeine Ge-

mein-
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[233/0285] Thaten der Gnade. III. Stuͤck. Nun iſt das arme Schaaf dem Hirten, dem es ſo nahe geweſen, wieder entrunnen, irret hin und her, und verlaufet ſich in ſei- ner Dummheit und Leichtſinnigkeit. Arme Seele! dein Hirte iſt betruͤbt, daß er ſeine Freude in deiner Errettung und Seligma- chung nicht haben kann, er ſiehet dich mit mitleidenden Augen auf deinen vorigen We- gen, und in der erſten Gefahr deines gaͤnz- lichen Unterganges. Aber ſo voller Weh- muth die Augen deines Hirtens uͤber dich ſind, mit ſo freudigen Blicken ſiehet dich dein Seelenfeind, und iſt ſehr froh, daß es ihm gelungen, dich gleichſam aus denen Ar- men deines Hirtens herauszureiſſen, und auf ſolche Wege zu verlocken, da es ihm nun leicht iſt, dich zu verſchlingen, und als ſeinen Raub in ſeine fuͤrchterliche Hoͤhle fortzutragen. Einfaͤltiges Schaaf! wie uͤbel haſt du dir gerathen, wie thoͤricht und unſinnig dich ſelbſt betrogen! du flieheſt vor dem, der durch unbeſchreibliche Leiden und den bitterſten Tod, den Loͤwen geſchlagen, der dich in ſeiner Gewalt, mit unerſaͤttli- cher Rache, Mord und Quaal nun zu ver- derben geſinnet iſt. Du haſſeſt den, der dich mit ſeinem letzten Blutstropfen gelie- bet, und dir eine unendliche Seligkeit berei- tet hat. Du macheſt dich von dem los, der dich nur darum geſuchet, und in ſeine Ge- mein- P 5

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Zitationshilfe: Meyer, Johannes: Die grossen und seligen Thaten der Gnade. Zürich, 1759, S. 233. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_wiedergebohrne_1759/285>, abgerufen am 10.05.2024.