weg. So lange nicht alle Sünden verwor- fen werden, so lange man wider besser Wis- sen und Gewissen noch einen Bann im ver- borgenen des Herzens will übrig behalten, so lange kan der HErr und sein Geist nicht durchbrechen, und die Seele auf denen We- gen des Heyls nicht bestehen.
Viele und die meiste fehlen darinnen, daß sie nicht tief graben in der Erkänntniß ihres Sündenelendes und Armuth des Gei- stes. Die erste Aufdeckung ihrer Sünde, das Gesicht ihrer Gefahr, und das Gefühl ihrer Angst erschrecket sie. Sie fürchten, wenn ihnen GOtt alle ihre Uebertrettungen mit ihren Sünden zeigen, und sie noch tie- fer in das Angstmeer führen würde, so möch- ten sie gar darinnen versinken und verzwei- feln, legen sich darum darauf, und bemü- hen sich mit aller Macht, sich der Angst zu entschlagen, haben mehr Verlangen nach Trost und Stillung der Schmerzen, als nach der Hebung des Seelenübels und Hei- lung des tödtlichen Schadens selbsten, sind froh, wenn man sie nur bald tröstet und selig preiset; aber durch ein solches ganz wi- driges Verfahren geht es manchem erweckten Menschen wie einem unartigen Patienten, der die Schmerzen scheuet, sich die Wunden recht eröfnen, zu dem tief versteckt liegenden Schaden schauen, und denselben auswaschen
und
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Thaten der Gnade. III. Stuͤck.
weg. So lange nicht alle Suͤnden verwor- fen werden, ſo lange man wider beſſer Wiſ- ſen und Gewiſſen noch einen Bann im ver- borgenen des Herzens will uͤbrig behalten, ſo lange kan der HErr und ſein Geiſt nicht durchbrechen, und die Seele auf denen We- gen des Heyls nicht beſtehen.
Viele und die meiſte fehlen darinnen, daß ſie nicht tief graben in der Erkaͤnntniß ihres Suͤndenelendes und Armuth des Gei- ſtes. Die erſte Aufdeckung ihrer Suͤnde, das Geſicht ihrer Gefahr, und das Gefuͤhl ihrer Angſt erſchrecket ſie. Sie fuͤrchten, wenn ihnen GOtt alle ihre Uebertrettungen mit ihren Suͤnden zeigen, und ſie noch tie- fer in das Angſtmeer fuͤhren wuͤrde, ſo moͤch- ten ſie gar darinnen verſinken und verzwei- feln, legen ſich darum darauf, und bemuͤ- hen ſich mit aller Macht, ſich der Angſt zu entſchlagen, haben mehr Verlangen nach Troſt und Stillung der Schmerzen, als nach der Hebung des Seelenuͤbels und Hei- lung des toͤdtlichen Schadens ſelbſten, ſind froh, wenn man ſie nur bald troͤſtet und ſelig preiſet; aber durch ein ſolches ganz wi- driges Verfahren geht es manchem erweckten Menſchen wie einem unartigen Patienten, der die Schmerzen ſcheuet, ſich die Wunden recht eroͤfnen, zu dem tief verſteckt liegenden Schaden ſchauen, und denſelben auswaſchen
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Thaten der Gnade. III. Stuͤck.
weg. So lange nicht alle Suͤnden verwor-
fen werden, ſo lange man wider beſſer Wiſ-
ſen und Gewiſſen noch einen Bann im ver-
borgenen des Herzens will uͤbrig behalten,
ſo lange kan der HErr und ſein Geiſt nicht
durchbrechen, und die Seele auf denen We-
gen des Heyls nicht beſtehen.
Viele und die meiſte fehlen darinnen,
daß ſie nicht tief graben in der Erkaͤnntniß
ihres Suͤndenelendes und Armuth des Gei-
ſtes. Die erſte Aufdeckung ihrer Suͤnde,
das Geſicht ihrer Gefahr, und das Gefuͤhl
ihrer Angſt erſchrecket ſie. Sie fuͤrchten,
wenn ihnen GOtt alle ihre Uebertrettungen
mit ihren Suͤnden zeigen, und ſie noch tie-
fer in das Angſtmeer fuͤhren wuͤrde, ſo moͤch-
ten ſie gar darinnen verſinken und verzwei-
feln, legen ſich darum darauf, und bemuͤ-
hen ſich mit aller Macht, ſich der Angſt zu
entſchlagen, haben mehr Verlangen nach
Troſt und Stillung der Schmerzen, als
nach der Hebung des Seelenuͤbels und Hei-
lung des toͤdtlichen Schadens ſelbſten, ſind
froh, wenn man ſie nur bald troͤſtet und
ſelig preiſet; aber durch ein ſolches ganz wi-
driges Verfahren geht es manchem erweckten
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der die Schmerzen ſcheuet, ſich die Wunden
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Meyer, Johannes: Die grossen und seligen Thaten der Gnade. Zürich, 1759, S. 225. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_wiedergebohrne_1759/277>, abgerufen am 10.05.2024.
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