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Meyer, Johannes: Die grossen und seligen Thaten der Gnade. Zürich, 1759.

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Thaten der Gnade. III. Stück.
Gewissen nicht unbezeuget, und zeiget viele
Willigkeit, sie noch anzunehmen und zu er-
retten. Warum dieses? o Seele! Würfe
dich der HErr nach eint und andern, oder
nach vielen wiederhohlten Sünden weg, so
wäre er aussert Stande, die Mittel seiner
Liebe an dir zu deiner Errettung ferners an-
zuwenden. Nun aber ist das die Art deines
Erbarmers: Er will nichts unversuchet an
dir lassen, er will dich nicht übereilen, son-
dern dir Zeit lassen, und so lange noch et-
was zu hoffen ist, so will er warten und ar-
beiten; ist denn endlich alles umsonst, so
wirst du den HErrn selber in der Ewigkeit
rechtfertigen, und sein Urtheil über dich bil-
ligen müssen. Darum, o Seele! achte die
Langmüthigkeit GOttes für deine Seligkeit,
denke nicht leichtsinnig, wenn alles so hin-
geht, der HErr siehet es nicht, und der
GOtt Jacob achtet es nicht, sondern glau-
be gewiß, je grösser die verachtete Langmuth
in der Gnadenzeit gegen dir gewesen, desto
schwerer und fürchterlicher wird deine Stra-
fe entweder noch auf Erden, oder in der
Ewigkeit seyn, wenn alle Gnade vorüber
und versäumet ist; lasse dich darum durch
die Güte GOttes zur Bekehrung leiten.

Unter dem beständigen Genuß dieser
Langmuth gienge unsere Person auf ihren
Sündenwegen fort, bis ohngefehr sechs

Jahr
O 2

Thaten der Gnade. III. Stuͤck.
Gewiſſen nicht unbezeuget, und zeiget viele
Willigkeit, ſie noch anzunehmen und zu er-
retten. Warum dieſes? o Seele! Wuͤrfe
dich der HErr nach eint und andern, oder
nach vielen wiederhohlten Suͤnden weg, ſo
waͤre er auſſert Stande, die Mittel ſeiner
Liebe an dir zu deiner Errettung ferners an-
zuwenden. Nun aber iſt das die Art deines
Erbarmers: Er will nichts unverſuchet an
dir laſſen, er will dich nicht uͤbereilen, ſon-
dern dir Zeit laſſen, und ſo lange noch et-
was zu hoffen iſt, ſo will er warten und ar-
beiten; iſt denn endlich alles umſonſt, ſo
wirſt du den HErrn ſelber in der Ewigkeit
rechtfertigen, und ſein Urtheil uͤber dich bil-
ligen muͤſſen. Darum, o Seele! achte die
Langmuͤthigkeit GOttes fuͤr deine Seligkeit,
denke nicht leichtſinnig, wenn alles ſo hin-
geht, der HErr ſiehet es nicht, und der
GOtt Jacob achtet es nicht, ſondern glau-
be gewiß, je groͤſſer die verachtete Langmuth
in der Gnadenzeit gegen dir geweſen, deſto
ſchwerer und fuͤrchterlicher wird deine Stra-
fe entweder noch auf Erden, oder in der
Ewigkeit ſeyn, wenn alle Gnade voruͤber
und verſaͤumet iſt; laſſe dich darum durch
die Guͤte GOttes zur Bekehrung leiten.

Unter dem beſtaͤndigen Genuß dieſer
Langmuth gienge unſere Perſon auf ihren
Suͤndenwegen fort, bis ohngefehr ſechs

Jahr
O 2
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[211/0263] Thaten der Gnade. III. Stuͤck. Gewiſſen nicht unbezeuget, und zeiget viele Willigkeit, ſie noch anzunehmen und zu er- retten. Warum dieſes? o Seele! Wuͤrfe dich der HErr nach eint und andern, oder nach vielen wiederhohlten Suͤnden weg, ſo waͤre er auſſert Stande, die Mittel ſeiner Liebe an dir zu deiner Errettung ferners an- zuwenden. Nun aber iſt das die Art deines Erbarmers: Er will nichts unverſuchet an dir laſſen, er will dich nicht uͤbereilen, ſon- dern dir Zeit laſſen, und ſo lange noch et- was zu hoffen iſt, ſo will er warten und ar- beiten; iſt denn endlich alles umſonſt, ſo wirſt du den HErrn ſelber in der Ewigkeit rechtfertigen, und ſein Urtheil uͤber dich bil- ligen muͤſſen. Darum, o Seele! achte die Langmuͤthigkeit GOttes fuͤr deine Seligkeit, denke nicht leichtſinnig, wenn alles ſo hin- geht, der HErr ſiehet es nicht, und der GOtt Jacob achtet es nicht, ſondern glau- be gewiß, je groͤſſer die verachtete Langmuth in der Gnadenzeit gegen dir geweſen, deſto ſchwerer und fuͤrchterlicher wird deine Stra- fe entweder noch auf Erden, oder in der Ewigkeit ſeyn, wenn alle Gnade voruͤber und verſaͤumet iſt; laſſe dich darum durch die Guͤte GOttes zur Bekehrung leiten. Unter dem beſtaͤndigen Genuß dieſer Langmuth gienge unſere Perſon auf ihren Suͤndenwegen fort, bis ohngefehr ſechs Jahr O 2

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Zitationshilfe: Meyer, Johannes: Die grossen und seligen Thaten der Gnade. Zürich, 1759, S. 211. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_wiedergebohrne_1759/263>, abgerufen am 10.05.2024.