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Meyer, Johannes: Die grossen und seligen Thaten der Gnade. Zürich, 1759.

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Thaten der Gnade. II. Stück.
gends wohl, und wo sie Ruhe suchte, fande
sie sie nicht, weil sie nicht zur rechten Quelle
eilte, eine geheime Last druckte sie schier zu
Boden, ein Nagen und Anklagen in dem
Gewissen plagte sie ohne aufhören, es wur-
de ihrer Seele so bange und schwer, daß sie
weder ein noch aus wußte, sie heulete vor
Unruhe mit David schier Tag und Nacht.
Satanas, der ohne Zweifel bey der ersten
Aufweckung schon gemerket, daß der Hey-
land Lust zu dieser Seele habe, und nicht
willens sey, sie verlohren gehen zu lassen,
feyerte dessetwegen bey diesen dunkeln Stun-
den nicht, seine feurige Pfeile, in ihr mit
Unruhe und Verwirrung erfülltes Herze
loszudrücken, er setzte ihr nicht nur mit de-
nen erschrecklichsten Gedanken heftig zu,
sondern suchte sie mit Gewalt in die äusser-
ste Verzweiflung zu stürzen. Er gab ihr
bey aller Gelegenheit ein: Sie sollte sich
bald auf diese, bald auf eine andere Weise
das Leben nehmen, damit sie nur ihrem
Jammer bald abkäme, so daß sie schier nir-
gends sicher war.

Nun war die Absicht des HErrn bey al-
len diesen Umständen keine andere, als diese:
Er suchte das Herze, so seint der ersten Auf-
weckung, wieder in den tiefsten Schlaf der
Sünden gefallen war, durch die innere Un-
ruhe lebendig anzugreifen, um sie durch diese

Er-
G 2

Thaten der Gnade. II. Stuͤck.
gends wohl, und wo ſie Ruhe ſuchte, fande
ſie ſie nicht, weil ſie nicht zur rechten Quelle
eilte, eine geheime Laſt druckte ſie ſchier zu
Boden, ein Nagen und Anklagen in dem
Gewiſſen plagte ſie ohne aufhoͤren, es wur-
de ihrer Seele ſo bange und ſchwer, daß ſie
weder ein noch aus wußte, ſie heulete vor
Unruhe mit David ſchier Tag und Nacht.
Satanas, der ohne Zweifel bey der erſten
Aufweckung ſchon gemerket, daß der Hey-
land Luſt zu dieſer Seele habe, und nicht
willens ſey, ſie verlohren gehen zu laſſen,
feyerte deſſetwegen bey dieſen dunkeln Stun-
den nicht, ſeine feurige Pfeile, in ihr mit
Unruhe und Verwirrung erfuͤlltes Herze
loszudruͤcken, er ſetzte ihr nicht nur mit de-
nen erſchrecklichſten Gedanken heftig zu,
ſondern ſuchte ſie mit Gewalt in die aͤuſſer-
ſte Verzweiflung zu ſtuͤrzen. Er gab ihr
bey aller Gelegenheit ein: Sie ſollte ſich
bald auf dieſe, bald auf eine andere Weiſe
das Leben nehmen, damit ſie nur ihrem
Jammer bald abkaͤme, ſo daß ſie ſchier nir-
gends ſicher war.

Nun war die Abſicht des HErrn bey al-
len dieſen Umſtaͤnden keine andere, als dieſe:
Er ſuchte das Herze, ſo ſeint der erſten Auf-
weckung, wieder in den tiefſten Schlaf der
Suͤnden gefallen war, durch die innere Un-
ruhe lebendig anzugreifen, um ſie durch dieſe

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G 2
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[99/0151] Thaten der Gnade. II. Stuͤck. gends wohl, und wo ſie Ruhe ſuchte, fande ſie ſie nicht, weil ſie nicht zur rechten Quelle eilte, eine geheime Laſt druckte ſie ſchier zu Boden, ein Nagen und Anklagen in dem Gewiſſen plagte ſie ohne aufhoͤren, es wur- de ihrer Seele ſo bange und ſchwer, daß ſie weder ein noch aus wußte, ſie heulete vor Unruhe mit David ſchier Tag und Nacht. Satanas, der ohne Zweifel bey der erſten Aufweckung ſchon gemerket, daß der Hey- land Luſt zu dieſer Seele habe, und nicht willens ſey, ſie verlohren gehen zu laſſen, feyerte deſſetwegen bey dieſen dunkeln Stun- den nicht, ſeine feurige Pfeile, in ihr mit Unruhe und Verwirrung erfuͤlltes Herze loszudruͤcken, er ſetzte ihr nicht nur mit de- nen erſchrecklichſten Gedanken heftig zu, ſondern ſuchte ſie mit Gewalt in die aͤuſſer- ſte Verzweiflung zu ſtuͤrzen. Er gab ihr bey aller Gelegenheit ein: Sie ſollte ſich bald auf dieſe, bald auf eine andere Weiſe das Leben nehmen, damit ſie nur ihrem Jammer bald abkaͤme, ſo daß ſie ſchier nir- gends ſicher war. Nun war die Abſicht des HErrn bey al- len dieſen Umſtaͤnden keine andere, als dieſe: Er ſuchte das Herze, ſo ſeint der erſten Auf- weckung, wieder in den tiefſten Schlaf der Suͤnden gefallen war, durch die innere Un- ruhe lebendig anzugreifen, um ſie durch dieſe Er- G 2

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Zitationshilfe: Meyer, Johannes: Die grossen und seligen Thaten der Gnade. Zürich, 1759, S. 99. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_wiedergebohrne_1759/151>, abgerufen am 28.04.2024.