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Meyer, Conrad Ferdinand: Georg Jenatsch. Leipzig, 1876.

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ragende Rolle gespielt," behauptete Jürg und schlug dem
Kleinen auf die Schulter.

Der Kapuziner schien mit beiden Pfarrern auf
bekanntem Fuße zu stehen und Fausch fuhr, diesmal
an Waser sich wendend, in seiner aufgeregten Rede fort:

"Glaubst Du's wohl, Herr Zürcher? Wäh¬
rend Du in Deiner löblichen Stadt sittsam zur Pre¬
digt gehst und über das Gesangbuch hinweg züchtig
nach Deinem Jungfräulein ausschaust, betrete ich
armer Streiter Gottes niemals die Kanzel ohne frö¬
stelnd den Rücken einzuziehen, aus Furcht es fahre
mir das Messer oder die Kugel eines meiner Pfarr¬
kinder zwischen die Schultern! -- Aber," sagte er,
nachdem er mit den Männern in die Stube getreten,
"nun bin ich auch zum längsten Pfarrer gewesen. Dies
Erlebniß," er zeigte auf das Loch in seinem Filze, "giebt
den Ausschlag. Das Maß ist voll. Ich habe von
meiner Muhme in Parpan zweihundert Goldgulden
geerbt, gerade genug um ein sicheres Gewerbe zu be¬
ginnen. -- Herunter mit dem Pfarrrock!" und er legte
Hand an sein geistliches Kleid.

"Warte, Freund!" rief Jenatsch, "das verrichten
wir zusammen. Auch mein Maß ist heute voll gewor¬
den! Nicht eine feindliche Kugel verjagt mich von der
Kanzel, sondern eine freundliche Rede. Der Herzog

ragende Rolle geſpielt,“ behauptete Jürg und ſchlug dem
Kleinen auf die Schulter.

Der Kapuziner ſchien mit beiden Pfarrern auf
bekanntem Fuße zu ſtehen und Fauſch fuhr, diesmal
an Waſer ſich wendend, in ſeiner aufgeregten Rede fort:

„Glaubſt Du's wohl, Herr Zürcher? Wäh¬
rend Du in Deiner löblichen Stadt ſittſam zur Pre¬
digt gehſt und über das Geſangbuch hinweg züchtig
nach Deinem Jungfräulein ausſchauſt, betrete ich
armer Streiter Gottes niemals die Kanzel ohne frö¬
ſtelnd den Rücken einzuziehen, aus Furcht es fahre
mir das Meſſer oder die Kugel eines meiner Pfarr¬
kinder zwiſchen die Schultern! — Aber,“ ſagte er,
nachdem er mit den Männern in die Stube getreten,
„nun bin ich auch zum längſten Pfarrer geweſen. Dies
Erlebniß,“ er zeigte auf das Loch in ſeinem Filze, „giebt
den Ausſchlag. Das Maß iſt voll. Ich habe von
meiner Muhme in Parpan zweihundert Goldgulden
geerbt, gerade genug um ein ſicheres Gewerbe zu be¬
ginnen. — Herunter mit dem Pfarrrock!“ und er legte
Hand an ſein geiſtliches Kleid.

„Warte, Freund!“ rief Jenatſch, „das verrichten
wir zuſammen. Auch mein Maß iſt heute voll gewor¬
den! Nicht eine feindliche Kugel verjagt mich von der
Kanzel, ſondern eine freundliche Rede. Der Herzog

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[86/0096] ragende Rolle geſpielt,“ behauptete Jürg und ſchlug dem Kleinen auf die Schulter. Der Kapuziner ſchien mit beiden Pfarrern auf bekanntem Fuße zu ſtehen und Fauſch fuhr, diesmal an Waſer ſich wendend, in ſeiner aufgeregten Rede fort: „Glaubſt Du's wohl, Herr Zürcher? Wäh¬ rend Du in Deiner löblichen Stadt ſittſam zur Pre¬ digt gehſt und über das Geſangbuch hinweg züchtig nach Deinem Jungfräulein ausſchauſt, betrete ich armer Streiter Gottes niemals die Kanzel ohne frö¬ ſtelnd den Rücken einzuziehen, aus Furcht es fahre mir das Meſſer oder die Kugel eines meiner Pfarr¬ kinder zwiſchen die Schultern! — Aber,“ ſagte er, nachdem er mit den Männern in die Stube getreten, „nun bin ich auch zum längſten Pfarrer geweſen. Dies Erlebniß,“ er zeigte auf das Loch in ſeinem Filze, „giebt den Ausſchlag. Das Maß iſt voll. Ich habe von meiner Muhme in Parpan zweihundert Goldgulden geerbt, gerade genug um ein ſicheres Gewerbe zu be¬ ginnen. — Herunter mit dem Pfarrrock!“ und er legte Hand an ſein geiſtliches Kleid. „Warte, Freund!“ rief Jenatſch, „das verrichten wir zuſammen. Auch mein Maß iſt heute voll gewor¬ den! Nicht eine feindliche Kugel verjagt mich von der Kanzel, ſondern eine freundliche Rede. Der Herzog

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Zitationshilfe: Meyer, Conrad Ferdinand: Georg Jenatsch. Leipzig, 1876, S. 86. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_jenatsch_1876/96>, abgerufen am 24.11.2024.