"Laß mich, Jürg," sagte er, leicht erbleichend, "ich will Dir etwas zeigen!" Er zog sein Taschenbuch her¬ vor, schlug das Blatt mit der Skizze der Juliersäulen auf und legte es vor Jenatsch auf den Tisch. Dann holte er sein weißes Schnupftuch heraus und wischte sich behutsam das Blut ab, während der Bündner das Büchlein hastig ergriff. Sein erster Blick auf die Zeichnung traf die von Lucretia zwischen die Julier¬ säulen geschriebenen Worte und er versank plötzlich in finsteres Nachdenken.
Waser, der ihn schweigend beobachtete, erschrack innerlich über den Eindruck, den Lucretias von ihm wider Willen übernommene und bestellte Botschaft auf Jürg Jenatsch machte. Er hatte nicht ahnen können, wie rasch der Scharfsinn des Volksführers den Zusam¬ menhang der Thatsachen errieth und wie sicher und unerbittlich er sie verkettete. Trauer und Zorn, weiche Erinnerungen und harte Entschlüsse schienen über den halb Abgewandten wechselnd Gewalt zu gewinnen. "Arme Lucretia!" hörte Waser ihn aus tiefster Seele seufzen, dann wurde sein Ausdruck immer räthselhafter, verschlossener, und härtete sich zur Undurchdringlichkeit. -- "Sie waren auf dem Julier . . . ihr Vater ist also in Bünden . . . Pompejus Planta, du bist zum Spie߬ gesellen eines Robustell herabgesunken!" . . . sprach er
„Laß mich, Jürg,“ ſagte er, leicht erbleichend, „ich will Dir etwas zeigen!“ Er zog ſein Taſchenbuch her¬ vor, ſchlug das Blatt mit der Skizze der Julierſäulen auf und legte es vor Jenatſch auf den Tiſch. Dann holte er ſein weißes Schnupftuch heraus und wiſchte ſich behutſam das Blut ab, während der Bündner das Büchlein haſtig ergriff. Sein erſter Blick auf die Zeichnung traf die von Lucretia zwiſchen die Julier¬ ſäulen geſchriebenen Worte und er verſank plötzlich in finſteres Nachdenken.
Waſer, der ihn ſchweigend beobachtete, erſchrack innerlich über den Eindruck, den Lucretias von ihm wider Willen übernommene und beſtellte Botſchaft auf Jürg Jenatſch machte. Er hatte nicht ahnen können, wie raſch der Scharfſinn des Volksführers den Zuſam¬ menhang der Thatſachen errieth und wie ſicher und unerbittlich er ſie verkettete. Trauer und Zorn, weiche Erinnerungen und harte Entſchlüſſe ſchienen über den halb Abgewandten wechſelnd Gewalt zu gewinnen. „Arme Lucretia!“ hörte Waſer ihn aus tiefſter Seele ſeufzen, dann wurde ſein Ausdruck immer räthſelhafter, verſchloſſener, und härtete ſich zur Undurchdringlichkeit. — „Sie waren auf dem Julier . . . ihr Vater iſt alſo in Bünden . . . Pompejus Planta, du biſt zum Spie߬ geſellen eines Robuſtell herabgeſunken!“ . . . ſprach er
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0074"n="64"/><p>„Laß mich, Jürg,“ſagte er, leicht erbleichend, „ich<lb/>
will Dir etwas zeigen!“ Er zog ſein Taſchenbuch her¬<lb/>
vor, ſchlug das Blatt mit der Skizze der Julierſäulen<lb/>
auf und legte es vor Jenatſch auf den Tiſch. Dann<lb/>
holte er ſein weißes Schnupftuch heraus und wiſchte<lb/>ſich behutſam das Blut ab, während der Bündner das<lb/>
Büchlein haſtig ergriff. Sein erſter Blick auf die<lb/>
Zeichnung traf die von Lucretia zwiſchen die Julier¬<lb/>ſäulen geſchriebenen Worte und er verſank plötzlich in<lb/>
finſteres Nachdenken.</p><lb/><p>Waſer, der ihn ſchweigend beobachtete, erſchrack<lb/>
innerlich über den Eindruck, den Lucretias von ihm<lb/>
wider Willen übernommene und beſtellte Botſchaft auf<lb/>
Jürg Jenatſch machte. Er hatte nicht ahnen können,<lb/>
wie raſch der Scharfſinn des Volksführers den Zuſam¬<lb/>
menhang der Thatſachen errieth und wie ſicher und<lb/>
unerbittlich er ſie verkettete. Trauer und Zorn, weiche<lb/>
Erinnerungen und harte Entſchlüſſe ſchienen über den<lb/>
halb Abgewandten wechſelnd Gewalt zu gewinnen.<lb/>„Arme Lucretia!“ hörte Waſer ihn aus tiefſter Seele<lb/>ſeufzen, dann wurde ſein Ausdruck immer räthſelhafter,<lb/>
verſchloſſener, und härtete ſich zur Undurchdringlichkeit.<lb/>—„Sie waren auf dem Julier . . . ihr Vater iſt alſo<lb/>
in Bünden . . . Pompejus Planta, du biſt zum Spie߬<lb/>
geſellen eines Robuſtell herabgeſunken!“ . . . ſprach er<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[64/0074]
„Laß mich, Jürg,“ ſagte er, leicht erbleichend, „ich
will Dir etwas zeigen!“ Er zog ſein Taſchenbuch her¬
vor, ſchlug das Blatt mit der Skizze der Julierſäulen
auf und legte es vor Jenatſch auf den Tiſch. Dann
holte er ſein weißes Schnupftuch heraus und wiſchte
ſich behutſam das Blut ab, während der Bündner das
Büchlein haſtig ergriff. Sein erſter Blick auf die
Zeichnung traf die von Lucretia zwiſchen die Julier¬
ſäulen geſchriebenen Worte und er verſank plötzlich in
finſteres Nachdenken.
Waſer, der ihn ſchweigend beobachtete, erſchrack
innerlich über den Eindruck, den Lucretias von ihm
wider Willen übernommene und beſtellte Botſchaft auf
Jürg Jenatſch machte. Er hatte nicht ahnen können,
wie raſch der Scharfſinn des Volksführers den Zuſam¬
menhang der Thatſachen errieth und wie ſicher und
unerbittlich er ſie verkettete. Trauer und Zorn, weiche
Erinnerungen und harte Entſchlüſſe ſchienen über den
halb Abgewandten wechſelnd Gewalt zu gewinnen.
„Arme Lucretia!“ hörte Waſer ihn aus tiefſter Seele
ſeufzen, dann wurde ſein Ausdruck immer räthſelhafter,
verſchloſſener, und härtete ſich zur Undurchdringlichkeit.
— „Sie waren auf dem Julier . . . ihr Vater iſt alſo
in Bünden . . . Pompejus Planta, du biſt zum Spie߬
geſellen eines Robuſtell herabgeſunken!“ . . . ſprach er
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Meyer, Conrad Ferdinand: Georg Jenatsch. Leipzig, 1876, S. 64. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_jenatsch_1876/74>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.