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Meyer, Conrad Ferdinand: Georg Jenatsch. Leipzig, 1876.

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ihn, Jürg aufzusuchen, um den peinigenden Eindruck,
den dieser aus der Ferne auf ihn gemacht, durch ein
paar freundschaftliche Worte von Mund zu Munde zu
brechen. Dies gedachte er noch vor der feierlichen
Rathssitzung zu thun. Sprechers Stimmung gegen
Jenatsch konnte, war seine Befürchtung, in Bünden eine
verbreitete sein. Ich will ihn beschwören, sagte sich
Waser, daß er sich bescheide und, nachdem er das Frie¬
densdocument dem Rathe übergeben und so den Höhe¬
punkt seiner ruhmvollen Bahn erreicht hat, sich eine
Weile zurückziehe, um den Neid der Götter und der
Menschen nicht zu reizen. Er möge, wollte Waser ihm
andeuten, seine kriegerische Laufbahn im Auslande fort¬
setzen, oder den Versuch machen, ob es ihm gelinge
durch Begründung eines häuslichen Herdes auf seinen
Gütern in Davos seine unruhige Seele auf stillere
Wege zu führen.

Von Herrn Fortunatus unter die Hauspforte ge¬
leitet, hatte sich Waser bei diesem erkundigt, wo Jenatsch
absteige und der Ritter in bitterm Tone geantwortet:
"Wie könnt Ihr fragen, verehrter Freund? Natürlich
im bischöflichen Hof."

Als der Bürgermeister von einem Diener geleitet
durch die hallenden Gänge der bischöflichen Residenz
schritt, tönte ihm durch eine Thüre zur Rechten die

ihn, Jürg aufzuſuchen, um den peinigenden Eindruck,
den dieſer aus der Ferne auf ihn gemacht, durch ein
paar freundſchaftliche Worte von Mund zu Munde zu
brechen. Dies gedachte er noch vor der feierlichen
Rathsſitzung zu thun. Sprechers Stimmung gegen
Jenatſch konnte, war ſeine Befürchtung, in Bünden eine
verbreitete ſein. Ich will ihn beſchwören, ſagte ſich
Waſer, daß er ſich beſcheide und, nachdem er das Frie¬
densdocument dem Rathe übergeben und ſo den Höhe¬
punkt ſeiner ruhmvollen Bahn erreicht hat, ſich eine
Weile zurückziehe, um den Neid der Götter und der
Menſchen nicht zu reizen. Er möge, wollte Waſer ihm
andeuten, ſeine kriegeriſche Laufbahn im Auslande fort¬
ſetzen, oder den Verſuch machen, ob es ihm gelinge
durch Begründung eines häuslichen Herdes auf ſeinen
Gütern in Davos ſeine unruhige Seele auf ſtillere
Wege zu führen.

Von Herrn Fortunatus unter die Hauspforte ge¬
leitet, hatte ſich Waſer bei dieſem erkundigt, wo Jenatſch
abſteige und der Ritter in bitterm Tone geantwortet:
„Wie könnt Ihr fragen, verehrter Freund? Natürlich
im biſchöflichen Hof.“

Als der Bürgermeiſter von einem Diener geleitet
durch die hallenden Gänge der biſchöflichen Reſidenz
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[383/0393] ihn, Jürg aufzuſuchen, um den peinigenden Eindruck, den dieſer aus der Ferne auf ihn gemacht, durch ein paar freundſchaftliche Worte von Mund zu Munde zu brechen. Dies gedachte er noch vor der feierlichen Rathsſitzung zu thun. Sprechers Stimmung gegen Jenatſch konnte, war ſeine Befürchtung, in Bünden eine verbreitete ſein. Ich will ihn beſchwören, ſagte ſich Waſer, daß er ſich beſcheide und, nachdem er das Frie¬ densdocument dem Rathe übergeben und ſo den Höhe¬ punkt ſeiner ruhmvollen Bahn erreicht hat, ſich eine Weile zurückziehe, um den Neid der Götter und der Menſchen nicht zu reizen. Er möge, wollte Waſer ihm andeuten, ſeine kriegeriſche Laufbahn im Auslande fort¬ ſetzen, oder den Verſuch machen, ob es ihm gelinge durch Begründung eines häuslichen Herdes auf ſeinen Gütern in Davos ſeine unruhige Seele auf ſtillere Wege zu führen. Von Herrn Fortunatus unter die Hauspforte ge¬ leitet, hatte ſich Waſer bei dieſem erkundigt, wo Jenatſch abſteige und der Ritter in bitterm Tone geantwortet: „Wie könnt Ihr fragen, verehrter Freund? Natürlich im biſchöflichen Hof.“ Als der Bürgermeiſter von einem Diener geleitet durch die hallenden Gänge der biſchöflichen Reſidenz ſchritt, tönte ihm durch eine Thüre zur Rechten die

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Zitationshilfe: Meyer, Conrad Ferdinand: Georg Jenatsch. Leipzig, 1876, S. 383. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_jenatsch_1876/393>, abgerufen am 18.05.2024.