hangener Grat. Hinter dem Joche, das sie verband, braute sich das Gewitter und drängte seine leise donnern¬ den Wolken durch die Lücke, in der noch zuweilen grell ein entfernteres Schneehaupt auftauchte.
Zur Rechten des Wanderers maskirten die Berge der andern Thalwand jene steile Felstreppe, die fast plötzlich durch ein tief eingeschnittenes Thal aus der leichten Bergluft in die Hitze Italiens hinunterführt. Dort hinter der Maloja quollen, vom Südwinde herauf¬ gejagt, die schwülen Dünste wie ein Nebelrauch hervor über die feuchten Wiesen von Baselgia Maria, dessen weiße Thürme hinter einem Regenschleier kaum noch sichtbar waren.
Jetzt erreichte der Saumpfad das erste Engadinerdorf, eine Gasse fester Häuser, die mit ihren Strebepfeilern und vergitterten Fensterluken kleinen Festungen glichen. Aber der junge Zürcher klopfte an keine der schweren Holz¬ thüren, sondern beschloß trotz der Dämmerstunde auf der Thalstraße längs der Seen rüstig südwärts zu schreiten. Sein Vorsatz war, im Hospiz der Maloja zu nächtigen, um in der Frühe des nächsten Tages über den Murettopaß nach dem Veltlin aufzubrechen; denn -- Herr Pompejus hatte es errathen -- es verlangte ihn, und jetzt mehr als je, seinen Schulfreund Jenatsch zu umarmen.
hangener Grat. Hinter dem Joche, das ſie verband, braute ſich das Gewitter und drängte ſeine leiſe donnern¬ den Wolken durch die Lücke, in der noch zuweilen grell ein entfernteres Schneehaupt auftauchte.
Zur Rechten des Wanderers maskirten die Berge der andern Thalwand jene ſteile Felstreppe, die faſt plötzlich durch ein tief eingeſchnittenes Thal aus der leichten Bergluft in die Hitze Italiens hinunterführt. Dort hinter der Maloja quollen, vom Südwinde herauf¬ gejagt, die ſchwülen Dünſte wie ein Nebelrauch hervor über die feuchten Wieſen von Baſelgia Maria, deſſen weiße Thürme hinter einem Regenſchleier kaum noch ſichtbar waren.
Jetzt erreichte der Saumpfad das erſte Engadinerdorf, eine Gaſſe feſter Häuſer, die mit ihren Strebepfeilern und vergitterten Fenſterluken kleinen Feſtungen glichen. Aber der junge Zürcher klopfte an keine der ſchweren Holz¬ thüren, ſondern beſchloß trotz der Dämmerſtunde auf der Thalſtraße längs der Seen rüſtig ſüdwärts zu ſchreiten. Sein Vorſatz war, im Hoſpiz der Maloja zu nächtigen, um in der Frühe des nächſten Tages über den Murettopaß nach dem Veltlin aufzubrechen; denn — Herr Pompejus hatte es errathen — es verlangte ihn, und jetzt mehr als je, ſeinen Schulfreund Jenatſch zu umarmen.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0039"n="29"/>
hangener Grat. Hinter dem Joche, das ſie verband,<lb/>
braute ſich das Gewitter und drängte ſeine leiſe donnern¬<lb/>
den Wolken durch die Lücke, in der noch zuweilen grell<lb/>
ein entfernteres Schneehaupt auftauchte.</p><lb/><p>Zur Rechten des Wanderers maskirten die Berge<lb/>
der andern Thalwand jene ſteile Felstreppe, die faſt<lb/>
plötzlich durch ein tief eingeſchnittenes Thal aus der<lb/>
leichten Bergluft in die Hitze Italiens hinunterführt.<lb/>
Dort hinter der Maloja quollen, vom Südwinde herauf¬<lb/>
gejagt, die ſchwülen Dünſte wie ein Nebelrauch hervor<lb/>
über die feuchten Wieſen von Baſelgia Maria, deſſen<lb/>
weiße Thürme hinter einem Regenſchleier kaum noch<lb/>ſichtbar waren.</p><lb/><p>Jetzt erreichte der Saumpfad das erſte Engadinerdorf,<lb/>
eine Gaſſe feſter Häuſer, die mit ihren Strebepfeilern und<lb/>
vergitterten Fenſterluken kleinen Feſtungen glichen. Aber<lb/>
der junge Zürcher klopfte an keine der ſchweren Holz¬<lb/>
thüren, ſondern beſchloß trotz der Dämmerſtunde auf<lb/>
der Thalſtraße längs der Seen rüſtig ſüdwärts zu<lb/>ſchreiten. Sein Vorſatz war, im Hoſpiz der Maloja<lb/>
zu nächtigen, um in der Frühe des nächſten Tages über<lb/>
den Murettopaß nach dem Veltlin aufzubrechen; denn<lb/>— Herr Pompejus hatte es errathen — es verlangte<lb/>
ihn, und jetzt mehr als je, ſeinen Schulfreund Jenatſch<lb/>
zu umarmen.</p><lb/></div></div></body></text></TEI>
[29/0039]
hangener Grat. Hinter dem Joche, das ſie verband,
braute ſich das Gewitter und drängte ſeine leiſe donnern¬
den Wolken durch die Lücke, in der noch zuweilen grell
ein entfernteres Schneehaupt auftauchte.
Zur Rechten des Wanderers maskirten die Berge
der andern Thalwand jene ſteile Felstreppe, die faſt
plötzlich durch ein tief eingeſchnittenes Thal aus der
leichten Bergluft in die Hitze Italiens hinunterführt.
Dort hinter der Maloja quollen, vom Südwinde herauf¬
gejagt, die ſchwülen Dünſte wie ein Nebelrauch hervor
über die feuchten Wieſen von Baſelgia Maria, deſſen
weiße Thürme hinter einem Regenſchleier kaum noch
ſichtbar waren.
Jetzt erreichte der Saumpfad das erſte Engadinerdorf,
eine Gaſſe feſter Häuſer, die mit ihren Strebepfeilern und
vergitterten Fenſterluken kleinen Feſtungen glichen. Aber
der junge Zürcher klopfte an keine der ſchweren Holz¬
thüren, ſondern beſchloß trotz der Dämmerſtunde auf
der Thalſtraße längs der Seen rüſtig ſüdwärts zu
ſchreiten. Sein Vorſatz war, im Hoſpiz der Maloja
zu nächtigen, um in der Frühe des nächſten Tages über
den Murettopaß nach dem Veltlin aufzubrechen; denn
— Herr Pompejus hatte es errathen — es verlangte
ihn, und jetzt mehr als je, ſeinen Schulfreund Jenatſch
zu umarmen.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Meyer, Conrad Ferdinand: Georg Jenatsch. Leipzig, 1876, S. 29. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_jenatsch_1876/39>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.