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Meyer, Conrad Ferdinand: Georg Jenatsch. Leipzig, 1876.

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entbehrte Beichtiger der Frauen von Cazis nach langem
Fernsein aus Mailand wieder ins Domleschg zurück¬
kehrte. Pater Pancraz hatte die Herstellung seines
Klosters in Almens, für die er sich bei den Vertrags¬
verhandlungen in Mailand verwendete, nicht erlangt;
aber er brachte andere wundersame und hocherfreuliche
Nachrichten. Schon am Abende nach seiner Ankunft be¬
gab er sich nach Riedberg und begehrte eine Unter¬
redung mit dem Fräulein, dem er mit freudeglänzenden
Augen erzählte, seine Excellenz der Herr General
Jenatsch, der frühere Todfeind ihrer gut katholischen
Familie, sei vor einem Monate, nachdem er die General¬
beichte seiner Sünden abgelegt und vollständige Abso¬
lution erhalten, in den mütterlichen Schooß der allein
seligmachenden Kirche zurückgekehrt.

Bei diesem Berichte schaute er das Fräulein trium¬
phirend an. Er schien ihr Schicksal mit diesem erfreu¬
lichen Ereignisse in Zusammenhang zu bringen und an¬
zunehmen, mit allen übrigen Freveln und Sünden sei
durch diesen großen Akt der Buße auch der Tod ihres
Vaters vom Gewissen des Mörders abgewaschen und
vor Gott und Menschen gesühnt. Sie aber erbleichte,
und als er einer Antwort der Schweigenden mit schlauen
erwartungsvollen Blicken entgegensah, sagte sie endlich,
sich fassend: "Das ist ein so unerhörtes Wunder der

entbehrte Beichtiger der Frauen von Cazis nach langem
Fernſein aus Mailand wieder ins Domleſchg zurück¬
kehrte. Pater Pancraz hatte die Herſtellung ſeines
Kloſters in Almens, für die er ſich bei den Vertrags¬
verhandlungen in Mailand verwendete, nicht erlangt;
aber er brachte andere wunderſame und hocherfreuliche
Nachrichten. Schon am Abende nach ſeiner Ankunft be¬
gab er ſich nach Riedberg und begehrte eine Unter¬
redung mit dem Fräulein, dem er mit freudeglänzenden
Augen erzählte, ſeine Excellenz der Herr General
Jenatſch, der frühere Todfeind ihrer gut katholiſchen
Familie, ſei vor einem Monate, nachdem er die General¬
beichte ſeiner Sünden abgelegt und vollſtändige Abſo¬
lution erhalten, in den mütterlichen Schooß der allein
ſeligmachenden Kirche zurückgekehrt.

Bei dieſem Berichte ſchaute er das Fräulein trium¬
phirend an. Er ſchien ihr Schickſal mit dieſem erfreu¬
lichen Ereigniſſe in Zuſammenhang zu bringen und an¬
zunehmen, mit allen übrigen Freveln und Sünden ſei
durch dieſen großen Akt der Buße auch der Tod ihres
Vaters vom Gewiſſen des Mörders abgewaſchen und
vor Gott und Menſchen geſühnt. Sie aber erbleichte,
und als er einer Antwort der Schweigenden mit ſchlauen
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[358/0368] entbehrte Beichtiger der Frauen von Cazis nach langem Fernſein aus Mailand wieder ins Domleſchg zurück¬ kehrte. Pater Pancraz hatte die Herſtellung ſeines Kloſters in Almens, für die er ſich bei den Vertrags¬ verhandlungen in Mailand verwendete, nicht erlangt; aber er brachte andere wunderſame und hocherfreuliche Nachrichten. Schon am Abende nach ſeiner Ankunft be¬ gab er ſich nach Riedberg und begehrte eine Unter¬ redung mit dem Fräulein, dem er mit freudeglänzenden Augen erzählte, ſeine Excellenz der Herr General Jenatſch, der frühere Todfeind ihrer gut katholiſchen Familie, ſei vor einem Monate, nachdem er die General¬ beichte ſeiner Sünden abgelegt und vollſtändige Abſo¬ lution erhalten, in den mütterlichen Schooß der allein ſeligmachenden Kirche zurückgekehrt. Bei dieſem Berichte ſchaute er das Fräulein trium¬ phirend an. Er ſchien ihr Schickſal mit dieſem erfreu¬ lichen Ereigniſſe in Zuſammenhang zu bringen und an¬ zunehmen, mit allen übrigen Freveln und Sünden ſei durch dieſen großen Akt der Buße auch der Tod ihres Vaters vom Gewiſſen des Mörders abgewaſchen und vor Gott und Menſchen geſühnt. Sie aber erbleichte, und als er einer Antwort der Schweigenden mit ſchlauen erwartungsvollen Blicken entgegenſah, ſagte ſie endlich, ſich faſſend: „Das iſt ein ſo unerhörtes Wunder der

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Zitationshilfe: Meyer, Conrad Ferdinand: Georg Jenatsch. Leipzig, 1876, S. 358. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_jenatsch_1876/368>, abgerufen am 25.05.2024.