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Meyer, Conrad Ferdinand: Georg Jenatsch. Leipzig, 1876.

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und glaube nicht, daß der Glanz unsrer Lilien dadurch
verdunkelt werde; aber selbst wenn Frankreichs Waffen¬
ehre, wie Ihr meint, damit getrübt würde -- ich müßte
den Vertrag dennoch halten."

"So spricht kein Franzose!" brauste der Andere auf.

Der Herzog machte mit der Hand eine Bewegung
nach dem Herzen, als ob er dort einen plötzlichen Schmerz
empfinde. Es wurde ihm zum ersten Male gesagt, was
er schon längst gefürchtet und gewußt -- daß er sein
Vaterland verloren habe.

"Ist es für mich unmöglich, zugleich ein Franzose
und ein Ehrenmann zu bleiben," sagte er leise, "so
wähle ich das Letztere, sollte ich auch darüber heimat¬
los werden."

Und die Beiden traten in das Gemach zurück.

Es war kühl geworden und das Fenster hatte sich
geschlossen. In den Mondschein, der den stillen Platz
vor dem Hause füllte, trat jetzt eine große Gestalt, die
schon längst mit verschränkten Armen, den Rücken an
die Mauer gelehnt und den Sprechenden unsichtbar,
unter dem Erker gestanden hatte. Nachdem Herr von
Lecques mit harten klirrenden Tritten das Haus ver¬

und glaube nicht, daß der Glanz unſrer Lilien dadurch
verdunkelt werde; aber ſelbſt wenn Frankreichs Waffen¬
ehre, wie Ihr meint, damit getrübt würde — ich müßte
den Vertrag dennoch halten.“

„So ſpricht kein Franzoſe!“ brauſte der Andere auf.

Der Herzog machte mit der Hand eine Bewegung
nach dem Herzen, als ob er dort einen plötzlichen Schmerz
empfinde. Es wurde ihm zum erſten Male geſagt, was
er ſchon längſt gefürchtet und gewußt — daß er ſein
Vaterland verloren habe.

„Iſt es für mich unmöglich, zugleich ein Franzoſe
und ein Ehrenmann zu bleiben,“ ſagte er leiſe, „ſo
wähle ich das Letztere, ſollte ich auch darüber heimat¬
los werden.“

Und die Beiden traten in das Gemach zurück.

Es war kühl geworden und das Fenſter hatte ſich
geſchloſſen. In den Mondſchein, der den ſtillen Platz
vor dem Hauſe füllte, trat jetzt eine große Geſtalt, die
ſchon längſt mit verſchränkten Armen, den Rücken an
die Mauer gelehnt und den Sprechenden unſichtbar,
unter dem Erker geſtanden hatte. Nachdem Herr von
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[336/0346] und glaube nicht, daß der Glanz unſrer Lilien dadurch verdunkelt werde; aber ſelbſt wenn Frankreichs Waffen¬ ehre, wie Ihr meint, damit getrübt würde — ich müßte den Vertrag dennoch halten.“ „So ſpricht kein Franzoſe!“ brauſte der Andere auf. Der Herzog machte mit der Hand eine Bewegung nach dem Herzen, als ob er dort einen plötzlichen Schmerz empfinde. Es wurde ihm zum erſten Male geſagt, was er ſchon längſt gefürchtet und gewußt — daß er ſein Vaterland verloren habe. „Iſt es für mich unmöglich, zugleich ein Franzoſe und ein Ehrenmann zu bleiben,“ ſagte er leiſe, „ſo wähle ich das Letztere, ſollte ich auch darüber heimat¬ los werden.“ Und die Beiden traten in das Gemach zurück. Es war kühl geworden und das Fenſter hatte ſich geſchloſſen. In den Mondſchein, der den ſtillen Platz vor dem Hauſe füllte, trat jetzt eine große Geſtalt, die ſchon längſt mit verſchränkten Armen, den Rücken an die Mauer gelehnt und den Sprechenden unſichtbar, unter dem Erker geſtanden hatte. Nachdem Herr von Lecques mit harten klirrenden Tritten das Haus ver¬

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Zitationshilfe: Meyer, Conrad Ferdinand: Georg Jenatsch. Leipzig, 1876, S. 336. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_jenatsch_1876/346>, abgerufen am 22.11.2024.