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Meyer, Conrad Ferdinand: Georg Jenatsch. Leipzig, 1876.

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"Er ist, so viel ich weiß, nicht mit dem Herzog über
den Berg gekommen."

"Er wurde schon vor einer Woche nach Chur vor¬
ausgesandt um die neusten Pariserdepeschen abzuholen,
nach denen der Herr Verlangen trug," versetzte Wert¬
müller.

"Und sie sind in des Herzogs Händen?" fragte
Jenatsch leise und mit ungewohnter Hast, denn sein
Herz fing an zu pochen. "Kennt Ihr den Entscheid?
Ist die Unterschrift des Königs da?"

"Ich kenne nur meine Ordre", sagte der Andere
unhöflich, "und diese ist, den Obersten Jenatsch ohne
Zeitverlust einzulassen."

Wertmüller schritt voran in ein vom Wiederschein
des Abends erhelltes wohnliches Zimmer, dessen Fenster
auf die sonnig leuchtenden Halden und herbstlich ge¬
rötheten Wälder des schönen Heinzenbergs hinausschauten.
Der Oberst trat in den kleinen Erker, während Wert¬
müller sich leise in ein Nebenzimmer begab, wo der
Herzog noch ausruhte.

"Es belieb' Euch einen Augenblick zu warten!"
schnarrte zurückkommend der Locotenent, der sich unver¬
züglich wieder auf seinen Posten in der Vorhalle zu¬
rückzog.

Der Blick des Alleingebliebenen haftete auf einer

Meyer, Georg Jenatsch. 17

„Er iſt, ſo viel ich weiß, nicht mit dem Herzog über
den Berg gekommen.“

„Er wurde ſchon vor einer Woche nach Chur vor¬
ausgeſandt um die neuſten Pariſerdepeſchen abzuholen,
nach denen der Herr Verlangen trug,“ verſetzte Wert¬
müller.

„Und ſie ſind in des Herzogs Händen?“ fragte
Jenatſch leiſe und mit ungewohnter Haſt, denn ſein
Herz fing an zu pochen. „Kennt Ihr den Entſcheid?
Iſt die Unterſchrift des Königs da?“

„Ich kenne nur meine Ordre“, ſagte der Andere
unhöflich, „und dieſe iſt, den Oberſten Jenatſch ohne
Zeitverluſt einzulaſſen.“

Wertmüller ſchritt voran in ein vom Wiederſchein
des Abends erhelltes wohnliches Zimmer, deſſen Fenſter
auf die ſonnig leuchtenden Halden und herbſtlich ge¬
rötheten Wälder des ſchönen Heinzenbergs hinausſchauten.
Der Oberſt trat in den kleinen Erker, während Wert¬
müller ſich leiſe in ein Nebenzimmer begab, wo der
Herzog noch ausruhte.

„Es belieb' Euch einen Augenblick zu warten!“
ſchnarrte zurückkommend der Locotenent, der ſich unver¬
züglich wieder auf ſeinen Poſten in der Vorhalle zu¬
rückzog.

Der Blick des Alleingebliebenen haftete auf einer

Meyer, Georg Jenatſch. 17
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[257/0267] „Er iſt, ſo viel ich weiß, nicht mit dem Herzog über den Berg gekommen.“ „Er wurde ſchon vor einer Woche nach Chur vor¬ ausgeſandt um die neuſten Pariſerdepeſchen abzuholen, nach denen der Herr Verlangen trug,“ verſetzte Wert¬ müller. „Und ſie ſind in des Herzogs Händen?“ fragte Jenatſch leiſe und mit ungewohnter Haſt, denn ſein Herz fing an zu pochen. „Kennt Ihr den Entſcheid? Iſt die Unterſchrift des Königs da?“ „Ich kenne nur meine Ordre“, ſagte der Andere unhöflich, „und dieſe iſt, den Oberſten Jenatſch ohne Zeitverluſt einzulaſſen.“ Wertmüller ſchritt voran in ein vom Wiederſchein des Abends erhelltes wohnliches Zimmer, deſſen Fenſter auf die ſonnig leuchtenden Halden und herbſtlich ge¬ rötheten Wälder des ſchönen Heinzenbergs hinausſchauten. Der Oberſt trat in den kleinen Erker, während Wert¬ müller ſich leiſe in ein Nebenzimmer begab, wo der Herzog noch ausruhte. „Es belieb' Euch einen Augenblick zu warten!“ ſchnarrte zurückkommend der Locotenent, der ſich unver¬ züglich wieder auf ſeinen Poſten in der Vorhalle zu¬ rückzog. Der Blick des Alleingebliebenen haftete auf einer Meyer, Georg Jenatſch. 17

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Zitationshilfe: Meyer, Conrad Ferdinand: Georg Jenatsch. Leipzig, 1876, S. 257. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_jenatsch_1876/267>, abgerufen am 22.11.2024.