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Meyer, Conrad Ferdinand: Georg Jenatsch. Leipzig, 1876.

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"Eine Schande vor Gott und Menschen ist es",
übertönte ein Engadinerviehhändler das Stimmen¬
gebraus, "daß wir Bündner unsere eigene Landesgrenze
nicht mehr überschreiten dürfen ohne einen französischen
Passaport! Jüngst wollt' ich mit einer Rinderheerde ins
Werdenbergische hinüber, da wurd' ich an der Grenze
schnöde zurückgewiesen, weil ich versäumt hatte, mir
einen solchen Fetzen auf der französischen Kanzlei in
Chur einzuhandeln. Noch von Glück konnt' ich sagen,
daß ich alle meine Stücke zurückbrachte. Sie wollten
die glänzenden Rinder in ihr verwünschtes Viereck bei
Maienfeld treiben und begehrten sie mir abzukaufen
zur Verproviantirung der Festung, wie sie sagten! Ab¬
kaufen! Schöner Handel das! Ihr Schlächter, ein
ruppiger kleiner Kerl, dem solche Prachtstücke offenbar
noch nie zu Gesicht gekommen, schätzte sie mir zu einem
Schandpreis!" --

"Und diese Knirpse wollen behaupten, ihr Brot
zu Hause sei besser als meine vortrefflichen Laibe",
sagte der Bäcker, ein Bürger von Thusis. "Als sie
voriges Jahr hier im Quartier lagen, warf mir einer
mein Roggenbrot vor die Füße, weil er nur an zarten
weißen Waizen gewöhnt sei. Nicht genug. Ich mußte
gleich darauf als Hausvater Ordnung schaffen und dem
Affen unsre kleine braune Magd, die Oberhalbsteinerin,

„Eine Schande vor Gott und Menſchen iſt es“,
übertönte ein Engadinerviehhändler das Stimmen¬
gebraus, „daß wir Bündner unſere eigene Landesgrenze
nicht mehr überſchreiten dürfen ohne einen franzöſiſchen
Paſſaport! Jüngſt wollt' ich mit einer Rinderheerde ins
Werdenbergiſche hinüber, da wurd' ich an der Grenze
ſchnöde zurückgewieſen, weil ich verſäumt hatte, mir
einen ſolchen Fetzen auf der franzöſiſchen Kanzlei in
Chur einzuhandeln. Noch von Glück konnt' ich ſagen,
daß ich alle meine Stücke zurückbrachte. Sie wollten
die glänzenden Rinder in ihr verwünſchtes Viereck bei
Maienfeld treiben und begehrten ſie mir abzukaufen
zur Verproviantirung der Feſtung, wie ſie ſagten! Ab¬
kaufen! Schöner Handel das! Ihr Schlächter, ein
ruppiger kleiner Kerl, dem ſolche Prachtſtücke offenbar
noch nie zu Geſicht gekommen, ſchätzte ſie mir zu einem
Schandpreis!“ —

„Und dieſe Knirpſe wollen behaupten, ihr Brot
zu Hauſe ſei beſſer als meine vortrefflichen Laibe“,
ſagte der Bäcker, ein Bürger von Thuſis. „Als ſie
voriges Jahr hier im Quartier lagen, warf mir einer
mein Roggenbrot vor die Füße, weil er nur an zarten
weißen Waizen gewöhnt ſei. Nicht genug. Ich mußte
gleich darauf als Hausvater Ordnung ſchaffen und dem
Affen unſre kleine braune Magd, die Oberhalbſteinerin,

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[246/0256] „Eine Schande vor Gott und Menſchen iſt es“, übertönte ein Engadinerviehhändler das Stimmen¬ gebraus, „daß wir Bündner unſere eigene Landesgrenze nicht mehr überſchreiten dürfen ohne einen franzöſiſchen Paſſaport! Jüngſt wollt' ich mit einer Rinderheerde ins Werdenbergiſche hinüber, da wurd' ich an der Grenze ſchnöde zurückgewieſen, weil ich verſäumt hatte, mir einen ſolchen Fetzen auf der franzöſiſchen Kanzlei in Chur einzuhandeln. Noch von Glück konnt' ich ſagen, daß ich alle meine Stücke zurückbrachte. Sie wollten die glänzenden Rinder in ihr verwünſchtes Viereck bei Maienfeld treiben und begehrten ſie mir abzukaufen zur Verproviantirung der Feſtung, wie ſie ſagten! Ab¬ kaufen! Schöner Handel das! Ihr Schlächter, ein ruppiger kleiner Kerl, dem ſolche Prachtſtücke offenbar noch nie zu Geſicht gekommen, ſchätzte ſie mir zu einem Schandpreis!“ — „Und dieſe Knirpſe wollen behaupten, ihr Brot zu Hauſe ſei beſſer als meine vortrefflichen Laibe“, ſagte der Bäcker, ein Bürger von Thuſis. „Als ſie voriges Jahr hier im Quartier lagen, warf mir einer mein Roggenbrot vor die Füße, weil er nur an zarten weißen Waizen gewöhnt ſei. Nicht genug. Ich mußte gleich darauf als Hausvater Ordnung ſchaffen und dem Affen unſre kleine braune Magd, die Oberhalbſteinerin,

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Zitationshilfe: Meyer, Conrad Ferdinand: Georg Jenatsch. Leipzig, 1876, S. 246. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_jenatsch_1876/256>, abgerufen am 25.11.2024.