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Meyer, Conrad Ferdinand: Georg Jenatsch. Leipzig, 1876.

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"Siehe dieses Rinnsal zwischen uns," begann sie
wiederum, "es wird unten zum reißenden Strome. So
fließt das Blut meines Vaters zwischen Dir und mir!
Und überschreitest Du es, so müssen wir beide darin
verderben. -- Sieh," fuhr sie mit weicher Stimme
fort und zog ihn neben sich auf den Felssitz, "als ich
Dich unten in den Händen der Häscher sah, hätt' ich
Dich lieber mit eigener Hand getödtet, als Dich ein
schmähliches Ende nehmen lassen. Du hast mir das
Recht dazu gegeben! Du bist mein eigen! Du bist mir
verfallen. Aber ich glaube Dir: diesem Boden, dieser
geliebten Heimaterde bist Du zuerst pflichtig. So gehe
hin und befreie sie. -- Aber, Jürg, sieh mich niemals
wieder! Du weißt nicht, was ich gelitten habe, wie
sich mir alle Jugendlust und Lebenskraft in dunkle
Gedanken und Entwürfe verwandelte, bis ich zu einem
blinden willenlosen Werkzeuge der Rache wurde. Hüte
Dich vor mir, Geliebter! Kreuze nie meinen Weg!
Störe nie meine Ruhe!" --

So saßen die Beiden in der Einöde.

Seit Jenatsch die Tochter des Herrn Pompejus
bei der Herzogin wieder gesehen, war die in den Wag¬
nissen und Verwilderungen eines stürmischen Kriegs¬
lebens nie ganz vergessene Liebe seiner Kindheit flam¬
mend aus der Asche erstanden, und mit ihr ein trotziger

„Siehe dieſes Rinnſal zwiſchen uns,“ begann ſie
wiederum, „es wird unten zum reißenden Strome. So
fließt das Blut meines Vaters zwiſchen Dir und mir!
Und überſchreiteſt Du es, ſo müſſen wir beide darin
verderben. — Sieh,“ fuhr ſie mit weicher Stimme
fort und zog ihn neben ſich auf den Felsſitz, „als ich
Dich unten in den Händen der Häſcher ſah, hätt' ich
Dich lieber mit eigener Hand getödtet, als Dich ein
ſchmähliches Ende nehmen laſſen. Du haſt mir das
Recht dazu gegeben! Du biſt mein eigen! Du biſt mir
verfallen. Aber ich glaube Dir: dieſem Boden, dieſer
geliebten Heimaterde biſt Du zuerſt pflichtig. So gehe
hin und befreie ſie. — Aber, Jürg, ſieh mich niemals
wieder! Du weißt nicht, was ich gelitten habe, wie
ſich mir alle Jugendluſt und Lebenskraft in dunkle
Gedanken und Entwürfe verwandelte, bis ich zu einem
blinden willenloſen Werkzeuge der Rache wurde. Hüte
Dich vor mir, Geliebter! Kreuze nie meinen Weg!
Störe nie meine Ruhe!“ —

So ſaßen die Beiden in der Einöde.

Seit Jenatſch die Tochter des Herrn Pompejus
bei der Herzogin wieder geſehen, war die in den Wag¬
niſſen und Verwilderungen eines ſtürmiſchen Kriegs¬
lebens nie ganz vergeſſene Liebe ſeiner Kindheit flam¬
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[228/0238] „Siehe dieſes Rinnſal zwiſchen uns,“ begann ſie wiederum, „es wird unten zum reißenden Strome. So fließt das Blut meines Vaters zwiſchen Dir und mir! Und überſchreiteſt Du es, ſo müſſen wir beide darin verderben. — Sieh,“ fuhr ſie mit weicher Stimme fort und zog ihn neben ſich auf den Felsſitz, „als ich Dich unten in den Händen der Häſcher ſah, hätt' ich Dich lieber mit eigener Hand getödtet, als Dich ein ſchmähliches Ende nehmen laſſen. Du haſt mir das Recht dazu gegeben! Du biſt mein eigen! Du biſt mir verfallen. Aber ich glaube Dir: dieſem Boden, dieſer geliebten Heimaterde biſt Du zuerſt pflichtig. So gehe hin und befreie ſie. — Aber, Jürg, ſieh mich niemals wieder! Du weißt nicht, was ich gelitten habe, wie ſich mir alle Jugendluſt und Lebenskraft in dunkle Gedanken und Entwürfe verwandelte, bis ich zu einem blinden willenloſen Werkzeuge der Rache wurde. Hüte Dich vor mir, Geliebter! Kreuze nie meinen Weg! Störe nie meine Ruhe!“ — So ſaßen die Beiden in der Einöde. Seit Jenatſch die Tochter des Herrn Pompejus bei der Herzogin wieder geſehen, war die in den Wag¬ niſſen und Verwilderungen eines ſtürmiſchen Kriegs¬ lebens nie ganz vergeſſene Liebe ſeiner Kindheit flam¬ mend aus der Aſche erſtanden, und mit ihr ein trotziger

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Zitationshilfe: Meyer, Conrad Ferdinand: Georg Jenatsch. Leipzig, 1876, S. 228. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_jenatsch_1876/238>, abgerufen am 13.05.2024.