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Meyer, Conrad Ferdinand: Georg Jenatsch. Leipzig, 1876.

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der Hand und begann ohne Zögern die Bande des
Gefangenen zu durchschneiden.

Was jetzt um sie vorging traf ihre Sinne kaum.
Sie vernahm noch den raschen Befehl Wertmüllers an
Lucas: "Pferde vor!" gewahrte noch wie der Locote¬
nent dem Spanier mit dem Pistol in der Hand ent¬
gegentrat und dieser den Degen aus der Scheide riß.
Dann wurde sie rasch aufs Pferd gehoben, das Mus¬
ketenschüsse hinter sich hörend, in wilden Sprüngen sie
von dannen trug und in jagendem Laufe an der Festung
Fuentes vorüber der Straße nach Chiavenna folgte.
Auf dem staubigen Heerwege sprengte sie vorwärts mit
Mühe sich auf dem erschreckten Pferde haltend und doch
angstvoll zurücklauschend, ob ihr Freund oder Feind
nacheile. Noch fielen, schon aus der Ferne, vereinzelte
Schüsse, sonst hörte sie nichts als das Schnauben und
den Hufschlag ihres eigenen Thiers.

Endlich brauste Galopp hinter ihr und schon ritt
an ihrer rechten Seite, zerrissen und blutig, aber in
hellem Uebermuthe Georg Jenatsch, hinter welchem, ihn
mit grimmer Miene umfassend, der alte Lucas zu Rosse
saß. Zu des Fräuleins Linken schnaubte einen Augen¬
blick später ein zweites Roßhaupt und über demselben
grüßte das aufgeregte Gesicht des kleinen Locotenenten,

der Hand und begann ohne Zögern die Bande des
Gefangenen zu durchſchneiden.

Was jetzt um ſie vorging traf ihre Sinne kaum.
Sie vernahm noch den raſchen Befehl Wertmüllers an
Lucas: „Pferde vor!“ gewahrte noch wie der Locote¬
nent dem Spanier mit dem Piſtol in der Hand ent¬
gegentrat und dieſer den Degen aus der Scheide riß.
Dann wurde ſie raſch aufs Pferd gehoben, das Mus¬
ketenſchüſſe hinter ſich hörend, in wilden Sprüngen ſie
von dannen trug und in jagendem Laufe an der Feſtung
Fuentes vorüber der Straße nach Chiavenna folgte.
Auf dem ſtaubigen Heerwege ſprengte ſie vorwärts mit
Mühe ſich auf dem erſchreckten Pferde haltend und doch
angſtvoll zurücklauſchend, ob ihr Freund oder Feind
nacheile. Noch fielen, ſchon aus der Ferne, vereinzelte
Schüſſe, ſonſt hörte ſie nichts als das Schnauben und
den Hufſchlag ihres eigenen Thiers.

Endlich brauſte Galopp hinter ihr und ſchon ritt
an ihrer rechten Seite, zerriſſen und blutig, aber in
hellem Uebermuthe Georg Jenatſch, hinter welchem, ihn
mit grimmer Miene umfaſſend, der alte Lucas zu Roſſe
ſaß. Zu des Fräuleins Linken ſchnaubte einen Augen¬
blick ſpäter ein zweites Roßhaupt und über demſelben
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[223/0233] der Hand und begann ohne Zögern die Bande des Gefangenen zu durchſchneiden. Was jetzt um ſie vorging traf ihre Sinne kaum. Sie vernahm noch den raſchen Befehl Wertmüllers an Lucas: „Pferde vor!“ gewahrte noch wie der Locote¬ nent dem Spanier mit dem Piſtol in der Hand ent¬ gegentrat und dieſer den Degen aus der Scheide riß. Dann wurde ſie raſch aufs Pferd gehoben, das Mus¬ ketenſchüſſe hinter ſich hörend, in wilden Sprüngen ſie von dannen trug und in jagendem Laufe an der Feſtung Fuentes vorüber der Straße nach Chiavenna folgte. Auf dem ſtaubigen Heerwege ſprengte ſie vorwärts mit Mühe ſich auf dem erſchreckten Pferde haltend und doch angſtvoll zurücklauſchend, ob ihr Freund oder Feind nacheile. Noch fielen, ſchon aus der Ferne, vereinzelte Schüſſe, ſonſt hörte ſie nichts als das Schnauben und den Hufſchlag ihres eigenen Thiers. Endlich brauſte Galopp hinter ihr und ſchon ritt an ihrer rechten Seite, zerriſſen und blutig, aber in hellem Uebermuthe Georg Jenatſch, hinter welchem, ihn mit grimmer Miene umfaſſend, der alte Lucas zu Roſſe ſaß. Zu des Fräuleins Linken ſchnaubte einen Augen¬ blick ſpäter ein zweites Roßhaupt und über demſelben grüßte das aufgeregte Geſicht des kleinen Locotenenten,

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Zitationshilfe: Meyer, Conrad Ferdinand: Georg Jenatsch. Leipzig, 1876, S. 223. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_jenatsch_1876/233>, abgerufen am 13.05.2024.