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Meyer, Conrad Ferdinand: Georg Jenatsch. Leipzig, 1876.

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und Bergamo und dann längs der blühenden Ufer des
Comersees in mäßigen Tagritten ohne Aufenthalt und
Abenteuer zurückgelegt. Grimani hatte sie mit einem
Geleitbrief durch das Venetianische versehen -- im
Mailändischen genügte ihr Name -- und von Rohan
war ihr als schützender Cavalier der junge Wertmüller
mitgegeben worden.

Wohl hatte die Herzogin gegen dieses für die
schöne Reisende, wie sie behauptete, in keiner Weise
passende Geleite zuerst Einspruch erhoben; aber der
Herzog kannte die guten und schlimmen Eigenschaften
seines Wertmüller nicht erst seit gestern und wußte, daß
sein wunderlicher Adjutant sich noch in jeder ernsten
Probe ehrenhaft, zuverlässig und tapfer erwiesen hatte.

So gelangte der kleine Reisezug der Donna Lu¬
cretia eines Tages in die sumpfige Ebene durch welche
die Adda sich langsam dem Nordende des Comersee's
zuwindet. Da sie am Morgen in der kühlen Frühe
aufgebrochen waren, beschlossen sie an einem Kreuzwege
unsern der drohenden Festung Fuentes vor einer Lo¬
canda kurze Mittagsrast zu halten, um dann heute noch
Chiavenna zu gewinnen und am nächsten Tage den
Saumpfad über den Splügen einzuschlagen.

Lucretia zog es vor, die unreinliche Herberge nicht
zu betreten; sie setzte sich allein in eine Weinlaube,

und Bergamo und dann längs der blühenden Ufer des
Comerſees in mäßigen Tagritten ohne Aufenthalt und
Abenteuer zurückgelegt. Grimani hatte ſie mit einem
Geleitbrief durch das Venetianiſche verſehen — im
Mailändiſchen genügte ihr Name — und von Rohan
war ihr als ſchützender Cavalier der junge Wertmüller
mitgegeben worden.

Wohl hatte die Herzogin gegen dieſes für die
ſchöne Reiſende, wie ſie behauptete, in keiner Weiſe
paſſende Geleite zuerſt Einſpruch erhoben; aber der
Herzog kannte die guten und ſchlimmen Eigenſchaften
ſeines Wertmüller nicht erſt ſeit geſtern und wußte, daß
ſein wunderlicher Adjutant ſich noch in jeder ernſten
Probe ehrenhaft, zuverläſſig und tapfer erwieſen hatte.

So gelangte der kleine Reiſezug der Donna Lu¬
cretia eines Tages in die ſumpfige Ebene durch welche
die Adda ſich langſam dem Nordende des Comerſee's
zuwindet. Da ſie am Morgen in der kühlen Frühe
aufgebrochen waren, beſchloſſen ſie an einem Kreuzwege
unſern der drohenden Feſtung Fuentes vor einer Lo¬
canda kurze Mittagsraſt zu halten, um dann heute noch
Chiavenna zu gewinnen und am nächſten Tage den
Saumpfad über den Splügen einzuſchlagen.

Lucretia zog es vor, die unreinliche Herberge nicht
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[219/0229] und Bergamo und dann längs der blühenden Ufer des Comerſees in mäßigen Tagritten ohne Aufenthalt und Abenteuer zurückgelegt. Grimani hatte ſie mit einem Geleitbrief durch das Venetianiſche verſehen — im Mailändiſchen genügte ihr Name — und von Rohan war ihr als ſchützender Cavalier der junge Wertmüller mitgegeben worden. Wohl hatte die Herzogin gegen dieſes für die ſchöne Reiſende, wie ſie behauptete, in keiner Weiſe paſſende Geleite zuerſt Einſpruch erhoben; aber der Herzog kannte die guten und ſchlimmen Eigenſchaften ſeines Wertmüller nicht erſt ſeit geſtern und wußte, daß ſein wunderlicher Adjutant ſich noch in jeder ernſten Probe ehrenhaft, zuverläſſig und tapfer erwieſen hatte. So gelangte der kleine Reiſezug der Donna Lu¬ cretia eines Tages in die ſumpfige Ebene durch welche die Adda ſich langſam dem Nordende des Comerſee's zuwindet. Da ſie am Morgen in der kühlen Frühe aufgebrochen waren, beſchloſſen ſie an einem Kreuzwege unſern der drohenden Feſtung Fuentes vor einer Lo¬ canda kurze Mittagsraſt zu halten, um dann heute noch Chiavenna zu gewinnen und am nächſten Tage den Saumpfad über den Splügen einzuſchlagen. Lucretia zog es vor, die unreinliche Herberge nicht zu betreten; ſie ſetzte ſich allein in eine Weinlaube,

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Zitationshilfe: Meyer, Conrad Ferdinand: Georg Jenatsch. Leipzig, 1876, S. 219. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_jenatsch_1876/229>, abgerufen am 12.05.2024.