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Meyer, Conrad Ferdinand: Georg Jenatsch. Leipzig, 1876.

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kleinen Kläffers erträgt, der als überlästiger Gast zu
ihr hineingekrochen ist.

Die Gondel hatte inzwischen Murano erreicht, wo
sie unsern der Kirche anlegte.

Jenatsch wandte sich nach der nächsten Locanda,
forderte ein einfaches Mal und entschuldigte sich bei
seinem Gefährten, er sei abgespannt und hungrig von
der gestrigen Seereise und einem scharfen nächtlichen
Ritte nach Padua. Er schlage vor, hier im Anblicke
des Meeres eine Stunde zu rasten und diesmal auf
die Malzeit in den Spiegeln und die Venetianerinnen
auf dem Markusplatze zu verzichten.

Wertmüller, der sowohl durch diesen Tausch der
Mittagstafel als durch das beharrliche Schweigen des
Bündners etwas verstimmt war, erging sich, die Kosten
der Unterhaltung allein bestreitend, in immer willkür¬
lichern Gedankensprüngen. Er kam, wie gestachelt durch
einen geheimen Groll, von Neuem auf seine Vater¬
stadt zu sprechen und da der Bündner sich der edlen
Zürich und seines dortigen Jugendfreundes Waser nur
zu rühmen hatte, so riß den Locotenenten der Wider¬
spruch und der feurige illyrische Wein so weit fort, daß
er von den angesehensten heimischen Persönlichkeiten
frevelhafte Zerrbilder entwarf und bei der dritten Flasche
Seine Gestrengen den Herrn Bürgermeister einen Gockel

kleinen Kläffers erträgt, der als überläſtiger Gaſt zu
ihr hineingekrochen iſt.

Die Gondel hatte inzwiſchen Murano erreicht, wo
ſie unſern der Kirche anlegte.

Jenatſch wandte ſich nach der nächſten Locanda,
forderte ein einfaches Mal und entſchuldigte ſich bei
ſeinem Gefährten, er ſei abgeſpannt und hungrig von
der geſtrigen Seereiſe und einem ſcharfen nächtlichen
Ritte nach Padua. Er ſchlage vor, hier im Anblicke
des Meeres eine Stunde zu raſten und diesmal auf
die Malzeit in den Spiegeln und die Venetianerinnen
auf dem Markusplatze zu verzichten.

Wertmüller, der ſowohl durch dieſen Tauſch der
Mittagstafel als durch das beharrliche Schweigen des
Bündners etwas verſtimmt war, erging ſich, die Koſten
der Unterhaltung allein beſtreitend, in immer willkür¬
lichern Gedankenſprüngen. Er kam, wie geſtachelt durch
einen geheimen Groll, von Neuem auf ſeine Vater¬
ſtadt zu ſprechen und da der Bündner ſich der edlen
Zürich und ſeines dortigen Jugendfreundes Waſer nur
zu rühmen hatte, ſo riß den Locotenenten der Wider¬
ſpruch und der feurige illyriſche Wein ſo weit fort, daß
er von den angeſehenſten heimiſchen Perſönlichkeiten
frevelhafte Zerrbilder entwarf und bei der dritten Flaſche
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[158/0168] kleinen Kläffers erträgt, der als überläſtiger Gaſt zu ihr hineingekrochen iſt. Die Gondel hatte inzwiſchen Murano erreicht, wo ſie unſern der Kirche anlegte. Jenatſch wandte ſich nach der nächſten Locanda, forderte ein einfaches Mal und entſchuldigte ſich bei ſeinem Gefährten, er ſei abgeſpannt und hungrig von der geſtrigen Seereiſe und einem ſcharfen nächtlichen Ritte nach Padua. Er ſchlage vor, hier im Anblicke des Meeres eine Stunde zu raſten und diesmal auf die Malzeit in den Spiegeln und die Venetianerinnen auf dem Markusplatze zu verzichten. Wertmüller, der ſowohl durch dieſen Tauſch der Mittagstafel als durch das beharrliche Schweigen des Bündners etwas verſtimmt war, erging ſich, die Koſten der Unterhaltung allein beſtreitend, in immer willkür¬ lichern Gedankenſprüngen. Er kam, wie geſtachelt durch einen geheimen Groll, von Neuem auf ſeine Vater¬ ſtadt zu ſprechen und da der Bündner ſich der edlen Zürich und ſeines dortigen Jugendfreundes Waſer nur zu rühmen hatte, ſo riß den Locotenenten der Wider¬ ſpruch und der feurige illyriſche Wein ſo weit fort, daß er von den angeſehenſten heimiſchen Perſönlichkeiten frevelhafte Zerrbilder entwarf und bei der dritten Flaſche Seine Geſtrengen den Herrn Bürgermeiſter einen Gockel

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Zitationshilfe: Meyer, Conrad Ferdinand: Georg Jenatsch. Leipzig, 1876, S. 158. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_jenatsch_1876/168>, abgerufen am 24.11.2024.