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Meyer, Edmund: Alte Geschichte. Berlin, 1890 (= Leitfaden der Geschichte in Tabellenform, Bd. 1)

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und in höherem oder geringerem Grade Handwerk und Gewerbethätig-
keit
(Industrie) hervorgerufen. Hierbei macht sich alsbald dem Menschen
angeborene Sinn für das Schöne, sowie andererseits der gleichfalls dem Menschen
angeborene Trieb der Nachahmung geltend, und die Gewerb-
thätigkeit verbindet sich mit Kunstübung (nützliche Künste), aus der
später, ohne Rücksicht auf das Nützliche, Skulptur, Malerei und Archi-
tektur
als reine Künste hervorgingen. - Andere reine Künste gehen, ohne
an das Nützliche anzuknüpfen, wie Musik, Gesang, Tanz, Dichtkunst,
zum Teil aus dem Bedürfnis des Menschen hervor, die Zeit nach der Arbeit in
angenehmer Erholung hinzubringen.
Aber dem Menschen ist auch der Trieb nach Erkenntnis, das heißt der
Sinn für das Wahre angeboren, der sich in Beobachtung von Natur und
Leben geltend macht. Diese führt zunächst meist zur Vertiefung der reli-
giösen Vorstellungen, welche oft zu einem förmlichen System der Mytho-
logie
führen. Früh treten in diesem Gedankenkreis die Fragen nach dem
Ursprunge der Welt und des Menschen, nach dem Wesen der Götter und so weiter
hervor, worin die Anfänge der Wissenschaft liegen. Die Beobachtung der
Natur führt insonderheit zur Astronomie; das Leben selbst drängt zur
Medicin und zur Geometrie (bei Baukunst, Landvermessung). Meist
werden die Anfänge der Wissenschaft von den den Gottesdienst versehenden
Priestern weiter gebildet, die durch ihre Thätigkeit von selbst mehr als die
anderen Bevölkerungsklassen auf eine denkende Betrachtung der Welt und
des Lebens (Spekulation. Philosophie) hingewiesen werden.

§ 12.

Kunst und Wissenschaft gedeihen aber in den Völkern nur dann, wenn
letztere einen gewissen Wohlstand besitzen: ist die Lage des Einzelnen so
hart, dass er nur den nötigsten Lebensunterhalt für sich und seine Angehö-
rigen gewinnen kann, ist für Kunst und Wissenschaft wenig Raum.

1. Der Wohlstand der Völker beruht auf Arbeit: Wohlstand
tritt ein, sobald die Arbeit mehr gewinnt als zum dringendsten Lebensunter-
halt gehört.

Die Arbeit ist dreifacher Art:
A. gütererzeugende oder produktive Arbeit im engeren Sinne
a) durch Gewinnung von Naturprodukten (aus Land-, Wald-, Berg-
wirtschaft und so weiter), die zum Teil als Rohstoffe bezeichnet werden,
b) durch Bearbeitung der Rohstoffe, der Metalle, des Holzes
und so weiter (Fabrikation im Grossen, Handwerk im Kleinen).
B. güterverteilend oder regulativ im Handel, der den Austausch
der producierten Werte vermittelt.
C. persönliche Dienstleistung (beim Arzte, dem Gelehrten, dem
Künstler und so weiter).

2. In dem Arbeits- und Erwerbsleben der Völker, das heißt ihrem wirt-
schaftlichen Leben
, lassen sich zwei Stufen unterscheiden:

1. die der Naturalwirtschaft, auf der bei gänzlichem Fehlen des
Geldes oder geringem Geldbestande Produkte, Fabrikate und persön-
liche Leistungen gegen einander umgetauscht werden;

und in höherem oder geringerem Grade Handwerk und Gewerbethätig-
keit
(Industrie) hervorgerufen. Hierbei macht sich alsbald dem Menschen
angeborene Sinn für das Schöne, sowie andererseits der gleichfalls dem Menschen
angeborene Trieb der Nachahmung geltend, und die Gewerb-
thätigkeit verbindet sich mit Kunstübung (nützliche Künste), aus der
später, ohne Rücksicht auf das Nützliche, Skulptur, Malerei und Archi-
tektur
als reine Künste hervorgingen. - Andere reine Künste gehen, ohne
an das Nützliche anzuknüpfen, wie Musik, Gesang, Tanz, Dichtkunst,
zum Teil aus dem Bedürfnis des Menschen hervor, die Zeit nach der Arbeit in
angenehmer Erholung hinzubringen.
Aber dem Menschen ist auch der Trieb nach Erkenntnis, das heißt der
Sinn für das Wahre angeboren, der sich in Beobachtung von Natur und
Leben geltend macht. Diese führt zunächst meist zur Vertiefung der reli-
giösen Vorstellungen, welche oft zu einem förmlichen System der Mytho-
logie
führen. Früh treten in diesem Gedankenkreis die Fragen nach dem
Ursprunge der Welt und des Menschen, nach dem Wesen der Götter und so weiter
hervor, worin die Anfänge der Wissenschaft liegen. Die Beobachtung der
Natur führt insonderheit zur Astronomie; das Leben selbst drängt zur
Medicin und zur Geometrie (bei Baukunst, Landvermessung). Meist
werden die Anfänge der Wissenschaft von den den Gottesdienst versehenden
Priestern weiter gebildet, die durch ihre Thätigkeit von selbst mehr als die
anderen Bevölkerungsklassen auf eine denkende Betrachtung der Welt und
des Lebens (Spekulation. Philosophie) hingewiesen werden.

§ 12.

Kunst und Wissenschaft gedeihen aber in den Völkern nur dann, wenn
letztere einen gewissen Wohlstand besitzen: ist die Lage des Einzelnen so
hart, daſs er nur den nötigsten Lebensunterhalt für sich und seine Angehö-
rigen gewinnen kann, ist für Kunst und Wissenschaft wenig Raum.

1. Der Wohlstand der Völker beruht auf Arbeit: Wohlstand
tritt ein, sobald die Arbeit mehr gewinnt als zum dringendsten Lebensunter-
halt gehört.

Die Arbeit ist dreifacher Art:
A. gütererzeugende oder produktive Arbeit im engeren Sinne
a) durch Gewinnung von Naturprodukten (aus Land-, Wald-, Berg-
wirtschaft und so weiter), die zum Teil als Rohstoffe bezeichnet werden,
b) durch Bearbeitung der Rohstoffe, der Metalle, des Holzes
und so weiter (Fabrikation im Groſsen, Handwerk im Kleinen).
B. güterverteilend oder regulativ im Handel, der den Austausch
der producierten Werte vermittelt.
C. persönliche Dienstleistung (beim Arzte, dem Gelehrten, dem
Künstler und so weiter).

2. In dem Arbeits- und Erwerbsleben der Völker, das heißt ihrem wirt-
schaftlichen Leben
, lassen sich zwei Stufen unterscheiden:

1. die der Naturalwirtschaft, auf der bei gänzlichem Fehlen des
Geldes oder geringem Geldbestande Produkte, Fabrikate und persön-
liche Leistungen gegen einander umgetauscht werden;

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[— 12 —/0022] und in höherem oder geringerem Grade Handwerk und Gewerbethätig- keit (Industrie) hervorgerufen. Hierbei macht sich alsbald dem Menschen angeborene Sinn für das Schöne, sowie andererseits der gleichfalls dem Menschen angeborene Trieb der Nachahmung geltend, und die Gewerb- thätigkeit verbindet sich mit Kunstübung (nützliche Künste), aus der später, ohne Rücksicht auf das Nützliche, Skulptur, Malerei und Archi- tektur als reine Künste hervorgingen. - Andere reine Künste gehen, ohne an das Nützliche anzuknüpfen, wie Musik, Gesang, Tanz, Dichtkunst, z.t. aus dem Bedürfnis des Menschen hervor, die Zeit nach der Arbeit in angenehmer Erholung hinzubringen. Aber dem Menschen ist auch der Trieb nach Erkenntnis, d. h. der Sinn für das Wahre angeboren, der sich in Beobachtung von Natur und Leben geltend macht. Diese führt zunächst meist zur Vertiefung der reli- giösen Vorstellungen, welche oft zu einem förmlichen System der Mytho- logie führen. Früh treten in diesem Gedankenkreis die Fragen nach dem Ursprunge der Welt und des Menschen, nach dem Wesen der Götter u. s. w. hervor, worin die Anfänge der Wissenschaft liegen. Die Beobachtung der Natur führt insonderheit zur Astronomie; das Leben selbst drängt zur Medicin und zur Geometrie (bei Baukunst, Landvermessung). Meist werden die Anfänge der Wissenschaft von den den Gottesdienst versehenden Priestern weiter gebildet, die durch ihre Thätigkeit von selbst mehr als die anderen Bevölkerungsklassen auf eine denkende Betrachtung der Welt und des Lebens (Spekulation. Philosophie) hingewiesen werden. § 12. Kunst und Wissenschaft gedeihen aber in den Völkern nur dann, wenn letztere einen gewissen Wohlstand besitzen: ist die Lage des Einzelnen so hart, daſs er nur den nötigsten Lebensunterhalt für sich und seine Angehö- rigen gewinnen kann, ist für Kunst und Wissenschaft wenig Raum. 1. Der Wohlstand der Völker beruht auf Arbeit: Wohlstand tritt ein, sobald die Arbeit mehr gewinnt als zum dringendsten Lebensunter- halt gehört. Die Arbeit ist dreifacher Art: A. gütererzeugende oder produktive Arbeit im engeren Sinne a) durch Gewinnung von Naturprodukten (aus Land-, Wald-, Berg- wirtschaft u. s. w.), die z. t. als Rohstoffe bezeichnet werden, b) durch Bearbeitung der Rohstoffe, der Metalle, des Holzes u. s. w. (Fabrikation im Groſsen, Handwerk im Kleinen). B. güterverteilend oder regulativ im Handel, der den Austausch der producierten Werte vermittelt. C. persönliche Dienstleistung (beim Arzte, dem Gelehrten, dem Künstler u. s. w.). 2. In dem Arbeits- und Erwerbsleben der Völker, d. h. ihrem wirt- schaftlichen Leben, lassen sich zwei Stufen unterscheiden: 1. die der Naturalwirtschaft, auf der bei gänzlichem Fehlen des Geldes oder geringem Geldbestande Produkte, Fabrikate und persön- liche Leistungen gegen einander umgetauscht werden;

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Zitationshilfe: Meyer, Edmund: Alte Geschichte. Berlin, 1890 (= Leitfaden der Geschichte in Tabellenform, Bd. 1), S. — 12 —. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_geschichte_1890/22>, abgerufen am 23.11.2024.