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Meyer, Conrad Ferdinand: Gedichte. Leipzig, 1882.

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Der geschändete Baum.
Sie haben mit dem Beile dich zerschnitten,
Die Frevler -- hast du viel dabei gelitten?
Ich selber habe sorglich dich verbunden
Und traue: Junger Baum, du wirst gesunden!
Auch ich erlitt zu schier derselben Stunde
Von schärferm Messer eine tiefre Wunde.
Zu untersuchen komm' ich täglich deine
Und unerträglich brennen fühl' ich meine.
Du saugest gierig ein die Kraft der Erde,
Mir ist, als ob auch ich durchrieselt werde!
Der frische Saft quillt aus zerschnittner Rinde
Heilsam. Mir ist, als ob auch ich's empfinde!
Indem ich deine sich erfrischen fühle,
Ist mir, als ob sich meine Wunde kühle!
Natur beginnt zu wirken und zu weben,
Ich traue: Beiden geht es nicht ans Leben!
Wie viele, so verwundet, welkten, starben!
Wir beide prahlen noch mit unsern Narben!

Der geſchändete Baum.
Sie haben mit dem Beile dich zerſchnitten,
Die Frevler — haſt du viel dabei gelitten?
Ich ſelber habe ſorglich dich verbunden
Und traue: Junger Baum, du wirſt geſunden!
Auch ich erlitt zu ſchier derſelben Stunde
Von ſchärferm Meſſer eine tiefre Wunde.
Zu unterſuchen komm' ich täglich deine
Und unerträglich brennen fühl' ich meine.
Du ſaugeſt gierig ein die Kraft der Erde,
Mir iſt, als ob auch ich durchrieſelt werde!
Der friſche Saft quillt aus zerſchnittner Rinde
Heilſam. Mir iſt, als ob auch ich's empfinde!
Indem ich deine ſich erfriſchen fühle,
Iſt mir, als ob ſich meine Wunde kühle!
Natur beginnt zu wirken und zu weben,
Ich traue: Beiden geht es nicht ans Leben!
Wie viele, ſo verwundet, welkten, ſtarben!
Wir beide prahlen noch mit unſern Narben!

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[41/0055] Der geſchändete Baum. Sie haben mit dem Beile dich zerſchnitten, Die Frevler — haſt du viel dabei gelitten? Ich ſelber habe ſorglich dich verbunden Und traue: Junger Baum, du wirſt geſunden! Auch ich erlitt zu ſchier derſelben Stunde Von ſchärferm Meſſer eine tiefre Wunde. Zu unterſuchen komm' ich täglich deine Und unerträglich brennen fühl' ich meine. Du ſaugeſt gierig ein die Kraft der Erde, Mir iſt, als ob auch ich durchrieſelt werde! Der friſche Saft quillt aus zerſchnittner Rinde Heilſam. Mir iſt, als ob auch ich's empfinde! Indem ich deine ſich erfriſchen fühle, Iſt mir, als ob ſich meine Wunde kühle! Natur beginnt zu wirken und zu weben, Ich traue: Beiden geht es nicht ans Leben! Wie viele, ſo verwundet, welkten, ſtarben! Wir beide prahlen noch mit unſern Narben!

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Zitationshilfe: Meyer, Conrad Ferdinand: Gedichte. Leipzig, 1882, S. 41. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_gedichte_1882/55>, abgerufen am 25.11.2024.