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Meyer, Conrad Ferdinand: Gedichte. Leipzig, 1882.

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"Dies Blatt erweckt den Tag mir wieder,
Wo in der Vaterstadt ich nieder
Gelegt den Stab der Wanderschaft --
Ich schritt in voller Jugendkraft.
Daheim war ein begeistert Leben,
Ein Münster wollten sie erheben
Mit andern Ländern um die Wette
Und höher noch als andre Städte,
Gott und den Heil'gen all zum Ruhm,
Zur Ehre deutschem Bürgerthum.
Mich ließ auf seine Stube kommen
Der Rath. "Laß, junger Meister, frommen,
Was du erwandert hast! Wohlan!
Entwirf uns eines Münsters Plan!"
Da saß ich auf in langen Nächten,
Zur Linken standen mir und Rechten,
Der Christ mit seiner Märtrerschaar,
Die Kaiser mit den Kronen gar,
Viel reine Fraun und Helden gut,
Die nahmen mich in Zucht und Hut,
Wollt' ich in schwelgendes Verzieren,
In üppig Blattwerk mich verlieren,
Und opfert's nicht mit keuschem Sinn
Dem Ganzen streng ich zu Gewinn,
Gleich schlug ein altes Heldenbild
Erzürnt an seinen ehrnen Schild,
Den Finger hob (das Haupt von Licht
Umrahmt) ein Heil'ger: Tändle nicht!
Das Amt, das dir zu Lehen fiel,
Das ist ein Werk und ist kein Spiel!
„Dies Blatt erweckt den Tag mir wieder,
Wo in der Vaterſtadt ich nieder
Gelegt den Stab der Wanderſchaft —
Ich ſchritt in voller Jugendkraft.
Daheim war ein begeiſtert Leben,
Ein Münſter wollten ſie erheben
Mit andern Ländern um die Wette
Und höher noch als andre Städte,
Gott und den Heil'gen all zum Ruhm,
Zur Ehre deutſchem Bürgerthum.
Mich ließ auf ſeine Stube kommen
Der Rath. „Laß, junger Meiſter, frommen,
Was du erwandert haſt! Wohlan!
Entwirf uns eines Münſters Plan!“
Da ſaß ich auf in langen Nächten,
Zur Linken ſtanden mir und Rechten,
Der Chriſt mit ſeiner Märtrerſchaar,
Die Kaiſer mit den Kronen gar,
Viel reine Fraun und Helden gut,
Die nahmen mich in Zucht und Hut,
Wollt' ich in ſchwelgendes Verzieren,
In üppig Blattwerk mich verlieren,
Und opfert's nicht mit keuſchem Sinn
Dem Ganzen ſtreng ich zu Gewinn,
Gleich ſchlug ein altes Heldenbild
Erzürnt an ſeinen ehrnen Schild,
Den Finger hob (das Haupt von Licht
Umrahmt) ein Heil'ger: Tändle nicht!
Das Amt, das dir zu Lehen fiel,
Das iſt ein Werk und iſt kein Spiel!
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[272/0286] „Dies Blatt erweckt den Tag mir wieder, Wo in der Vaterſtadt ich nieder Gelegt den Stab der Wanderſchaft — Ich ſchritt in voller Jugendkraft. Daheim war ein begeiſtert Leben, Ein Münſter wollten ſie erheben Mit andern Ländern um die Wette Und höher noch als andre Städte, Gott und den Heil'gen all zum Ruhm, Zur Ehre deutſchem Bürgerthum. Mich ließ auf ſeine Stube kommen Der Rath. „Laß, junger Meiſter, frommen, Was du erwandert haſt! Wohlan! Entwirf uns eines Münſters Plan!“ Da ſaß ich auf in langen Nächten, Zur Linken ſtanden mir und Rechten, Der Chriſt mit ſeiner Märtrerſchaar, Die Kaiſer mit den Kronen gar, Viel reine Fraun und Helden gut, Die nahmen mich in Zucht und Hut, Wollt' ich in ſchwelgendes Verzieren, In üppig Blattwerk mich verlieren, Und opfert's nicht mit keuſchem Sinn Dem Ganzen ſtreng ich zu Gewinn, Gleich ſchlug ein altes Heldenbild Erzürnt an ſeinen ehrnen Schild, Den Finger hob (das Haupt von Licht Umrahmt) ein Heil'ger: Tändle nicht! Das Amt, das dir zu Lehen fiel, Das iſt ein Werk und iſt kein Spiel!

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Zitationshilfe: Meyer, Conrad Ferdinand: Gedichte. Leipzig, 1882, S. 272. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_gedichte_1882/286>, abgerufen am 24.11.2024.