Meyer, Conrad Ferdinand: Gedichte. Leipzig, 1882.Der Tiber flutet und überschwemmt den Strand, Das bleiche Fieber steigt empor ans Land, Der Rufer ruft's und kündet's von Haus zu Haus: "Vernehmt! Den Julier tragen sie heut hinaus!" Jetzt, kleine Claudia, trägst du unträglich Leid! In strenge Falten legst du dein Wittwenkleid -- Dein Römerknabe springt dir behend vom Schooß Und grüßt dich helmumflattert herab vom Roß ... Die Tuben rufen Schlacht und sie rufen Sieg ... Da naht's. Da kommt's, was empor die Stufen stieg: Vier Männer und die Bahre, Claudia, sind's Mit der bekränzten Leiche deines Kinds! Jetzt, kleine Claudia, bist du zu Tode wund" -- Das Kindlein lächelt. Es klirrt ein Schlüsselbund. Die Mutter tritt besorgt in die Kammer ein Und die Parze bleicht im goldenen Morgenschein. Der Tiber flutet und überſchwemmt den Strand, Das bleiche Fieber ſteigt empor ans Land, Der Rufer ruft's und kündet's von Haus zu Haus: „Vernehmt! Den Julier tragen ſie heut hinaus!“ Jetzt, kleine Claudia, trägſt du unträglich Leid! In ſtrenge Falten legſt du dein Wittwenkleid — Dein Römerknabe ſpringt dir behend vom Schooß Und grüßt dich helmumflattert herab vom Roß ... Die Tuben rufen Schlacht und ſie rufen Sieg ... Da naht's. Da kommt's, was empor die Stufen ſtieg: Vier Männer und die Bahre, Claudia, ſind's Mit der bekränzten Leiche deines Kinds! Jetzt, kleine Claudia, biſt du zu Tode wund“ — Das Kindlein lächelt. Es klirrt ein Schlüſſelbund. Die Mutter tritt beſorgt in die Kammer ein Und die Parze bleicht im goldenen Morgenſchein. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <lg type="poem"> <pb facs="#f0215" n="201"/> <lg n="6"> <l>Der Tiber flutet und überſchwemmt den Strand,</l><lb/> <l>Das bleiche Fieber ſteigt empor ans Land,</l><lb/> <l>Der Rufer ruft's und kündet's von Haus zu Haus:</l><lb/> <l>„Vernehmt! Den Julier tragen ſie heut hinaus!“</l><lb/> </lg> <lg n="7"> <l>Jetzt, kleine Claudia, trägſt du unträglich Leid!</l><lb/> <l>In ſtrenge Falten legſt du dein Wittwenkleid —</l><lb/> <l>Dein Römerknabe ſpringt dir behend vom Schooß</l><lb/> <l>Und grüßt dich helmumflattert herab vom Roß ...</l><lb/> </lg> <lg n="8"> <l>Die Tuben rufen Schlacht und ſie rufen Sieg ...</l><lb/> <l>Da naht's. Da kommt's, was empor die Stufen ſtieg:</l><lb/> <l>Vier Männer und die Bahre, Claudia, ſind's</l><lb/> <l>Mit der bekränzten Leiche deines Kinds!</l><lb/> </lg> <lg n="9"> <l>Jetzt, kleine Claudia, biſt du zu Tode wund“ —</l><lb/> <l>Das Kindlein lächelt. Es klirrt ein Schlüſſelbund.</l><lb/> <l>Die Mutter tritt beſorgt in die Kammer ein</l><lb/> <l>Und die Parze bleicht im goldenen Morgenſchein.</l><lb/> </lg> </lg> <milestone rendition="#hr" unit="section"/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [201/0215]
Der Tiber flutet und überſchwemmt den Strand,
Das bleiche Fieber ſteigt empor ans Land,
Der Rufer ruft's und kündet's von Haus zu Haus:
„Vernehmt! Den Julier tragen ſie heut hinaus!“
Jetzt, kleine Claudia, trägſt du unträglich Leid!
In ſtrenge Falten legſt du dein Wittwenkleid —
Dein Römerknabe ſpringt dir behend vom Schooß
Und grüßt dich helmumflattert herab vom Roß ...
Die Tuben rufen Schlacht und ſie rufen Sieg ...
Da naht's. Da kommt's, was empor die Stufen ſtieg:
Vier Männer und die Bahre, Claudia, ſind's
Mit der bekränzten Leiche deines Kinds!
Jetzt, kleine Claudia, biſt du zu Tode wund“ —
Das Kindlein lächelt. Es klirrt ein Schlüſſelbund.
Die Mutter tritt beſorgt in die Kammer ein
Und die Parze bleicht im goldenen Morgenſchein.
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Zitationshilfe: | Meyer, Conrad Ferdinand: Gedichte. Leipzig, 1882, S. 201. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_gedichte_1882/215>, abgerufen am 16.02.2025. |