Meyer, Conrad Ferdinand: Gedichte. Leipzig, 1882.Wie das Schüttern zarter Saiten, Schlichen sich in jedes Herz Deine stillen Lieblichkeiten, Deiner Züge leiser Schmerz! Feuchte Waldesschatten lagen Ueber dir in Lenzestagen -- Heil Dir, Königin der Nacht, Die Dein Mägdlein umgebracht! Wie ein Reh dem Wald entronnen, Das ein üppig Thal entdeckt, Nahtest schüchtern du den Bronnen, Flohst, vom eignen Bild geschreckt! Aengstlich, wo sich Wege theilen, Seh' ich zweifeln dich und weilen -- Heil Dir, Königin der Nacht, Die Dein Mägdlein umgebracht! Zeigte jung ein arger Spiegel
Dir den Wurm in jeder Frucht? Schwebte nahen Todes Flügel Ueber dir mit Eifersucht? Nie hat dich ein Arm umschlossen, Liebe hast du nie genossen -- Heil Dir, Königin der Nacht, Die Dein Mägdlein umgebracht! Wie das Schüttern zarter Saiten, Schlichen ſich in jedes Herz Deine ſtillen Lieblichkeiten, Deiner Züge leiſer Schmerz! Feuchte Waldesſchatten lagen Ueber dir in Lenzestagen — Heil Dir, Königin der Nacht, Die Dein Mägdlein umgebracht! Wie ein Reh dem Wald entronnen, Das ein üppig Thal entdeckt, Nahteſt ſchüchtern du den Bronnen, Flohſt, vom eignen Bild geſchreckt! Aengſtlich, wo ſich Wege theilen, Seh' ich zweifeln dich und weilen — Heil Dir, Königin der Nacht, Die Dein Mägdlein umgebracht! Zeigte jung ein arger Spiegel
Dir den Wurm in jeder Frucht? Schwebte nahen Todes Flügel Ueber dir mit Eiferſucht? Nie hat dich ein Arm umſchloſſen, Liebe haſt du nie genoſſen — Heil Dir, Königin der Nacht, Die Dein Mägdlein umgebracht! <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <lg type="poem"> <pb facs="#f0176" n="162"/> <lg n="3"> <l>Wie das Schüttern zarter Saiten,</l><lb/> <l>Schlichen ſich in jedes Herz</l><lb/> <l>Deine ſtillen Lieblichkeiten,</l><lb/> <l>Deiner Züge leiſer Schmerz!</l><lb/> <l>Feuchte Waldesſchatten lagen</l><lb/> <l>Ueber dir in Lenzestagen —</l><lb/> <l>Heil Dir, Königin der Nacht,</l><lb/> <l>Die Dein Mägdlein umgebracht!</l><lb/> </lg> <lg n="4"> <l>Wie ein Reh dem Wald entronnen,</l><lb/> <l>Das ein üppig Thal entdeckt,</l><lb/> <l>Nahteſt ſchüchtern du den Bronnen,</l><lb/> <l>Flohſt, vom eignen Bild geſchreckt!</l><lb/> <l>Aengſtlich, wo ſich Wege theilen,</l><lb/> <l>Seh' ich zweifeln dich und weilen —</l><lb/> <l>Heil Dir, Königin der Nacht,</l><lb/> <l>Die Dein Mägdlein umgebracht!</l><lb/> </lg> <lg n="5"> <l>Zeigte jung ein arger Spiegel</l><lb/> <l>Dir den Wurm in jeder Frucht?</l><lb/> <l>Schwebte nahen Todes Flügel</l><lb/> <l>Ueber dir mit Eiferſucht?</l><lb/> <l>Nie hat dich ein Arm umſchloſſen,</l><lb/> <l>Liebe haſt du nie genoſſen —</l><lb/> <l>Heil Dir, Königin der Nacht,</l><lb/> <l>Die Dein Mägdlein umgebracht!</l><lb/> </lg> </lg> </div> </div> </body> </text> </TEI> [162/0176]
Wie das Schüttern zarter Saiten,
Schlichen ſich in jedes Herz
Deine ſtillen Lieblichkeiten,
Deiner Züge leiſer Schmerz!
Feuchte Waldesſchatten lagen
Ueber dir in Lenzestagen —
Heil Dir, Königin der Nacht,
Die Dein Mägdlein umgebracht!
Wie ein Reh dem Wald entronnen,
Das ein üppig Thal entdeckt,
Nahteſt ſchüchtern du den Bronnen,
Flohſt, vom eignen Bild geſchreckt!
Aengſtlich, wo ſich Wege theilen,
Seh' ich zweifeln dich und weilen —
Heil Dir, Königin der Nacht,
Die Dein Mägdlein umgebracht!
Zeigte jung ein arger Spiegel
Dir den Wurm in jeder Frucht?
Schwebte nahen Todes Flügel
Ueber dir mit Eiferſucht?
Nie hat dich ein Arm umſchloſſen,
Liebe haſt du nie genoſſen —
Heil Dir, Königin der Nacht,
Die Dein Mägdlein umgebracht!
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