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Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 2. Stuttgart, 1828.

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ner wie im Bauche. So steht das geduldige Vieh
angekettet, vor ihm ein frischer Heuberg von der
Leipziger Messe, hinter ihm ein Mist- und Makula¬
turberg, und es frißt und widerkäuet in einem fort.

Armes, mißbrauchtes Publikum, und dennoch bist
du weniger zu bedauern, als die leibeignen Poeten,
denen in einem so verarmten Zeitalter auch das zarte
Geschlecht der Weiber bei der rohen Arbeit beistehn
muß, zur thierischen Stumpfheit oder zur Ohnmacht,
oder zur Verrücktheit abgeschwächt von dem heißen
Sonnenstich des schattenlos herrschenden Phöbus. Da
der lebendige Organismus aller Lebensverhältnisse sich
allmählig in ein mechanisches Rechenexempel aufge¬
löst hat, und der gemeine Geldwucher selbst in der
Politik, dem Brennpunkt des thätigen Lebens, herr¬
schend geworden, so darf man sich kaum wundern,
daß auch das sinnige, poetische Leben jenem Wucher¬
geist dienstbar wird. Gleichwie die holländische Com¬
pagnie das uralte mythische Land Ostindien in Be¬
sitz genommen, um von dort aus, statt des alten
Käse- und Spitzenhandels, seine Gewürzkrämerei zu
treiben, so hat eine andre Compagnie den alten deut¬
schen Dichterwald an sich gebracht, sofort niederge¬
schlagen und eine ungeheure Fabrik daraus zusam¬
mengezimmert. Wie nun in einer Tabaksfabrik die
Herren cassiren, während die Arbeiter säen, pflan¬
zen, schneiden, baizen, trocknen und Packete füllen,
und das Publikum Millionen leichte und leere Meer¬
schaumköpfe hinhält, um sie zu stopfen und mit Ge¬

ner wie im Bauche. So ſteht das geduldige Vieh
angekettet, vor ihm ein friſcher Heuberg von der
Leipziger Meſſe, hinter ihm ein Miſt- und Makula¬
turberg, und es frißt und widerkaͤuet in einem fort.

Armes, mißbrauchtes Publikum, und dennoch biſt
du weniger zu bedauern, als die leibeignen Poeten,
denen in einem ſo verarmten Zeitalter auch das zarte
Geſchlecht der Weiber bei der rohen Arbeit beiſtehn
muß, zur thieriſchen Stumpfheit oder zur Ohnmacht,
oder zur Verruͤcktheit abgeſchwaͤcht von dem heißen
Sonnenſtich des ſchattenlos herrſchenden Phoͤbus. Da
der lebendige Organismus aller Lebensverhaͤltniſſe ſich
allmaͤhlig in ein mechaniſches Rechenexempel aufge¬
loͤſt hat, und der gemeine Geldwucher ſelbſt in der
Politik, dem Brennpunkt des thaͤtigen Lebens, herr¬
ſchend geworden, ſo darf man ſich kaum wundern,
daß auch das ſinnige, poetiſche Leben jenem Wucher¬
geiſt dienſtbar wird. Gleichwie die hollaͤndiſche Com¬
pagnie das uralte mythiſche Land Oſtindien in Be¬
ſitz genommen, um von dort aus, ſtatt des alten
Kaͤſe- und Spitzenhandels, ſeine Gewuͤrzkraͤmerei zu
treiben, ſo hat eine andre Compagnie den alten deut¬
ſchen Dichterwald an ſich gebracht, ſofort niederge¬
ſchlagen und eine ungeheure Fabrik daraus zuſam¬
mengezimmert. Wie nun in einer Tabaksfabrik die
Herren caſſiren, waͤhrend die Arbeiter ſaͤen, pflan¬
zen, ſchneiden, baizen, trocknen und Packete fuͤllen,
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[288/0298] ner wie im Bauche. So ſteht das geduldige Vieh angekettet, vor ihm ein friſcher Heuberg von der Leipziger Meſſe, hinter ihm ein Miſt- und Makula¬ turberg, und es frißt und widerkaͤuet in einem fort. Armes, mißbrauchtes Publikum, und dennoch biſt du weniger zu bedauern, als die leibeignen Poeten, denen in einem ſo verarmten Zeitalter auch das zarte Geſchlecht der Weiber bei der rohen Arbeit beiſtehn muß, zur thieriſchen Stumpfheit oder zur Ohnmacht, oder zur Verruͤcktheit abgeſchwaͤcht von dem heißen Sonnenſtich des ſchattenlos herrſchenden Phoͤbus. Da der lebendige Organismus aller Lebensverhaͤltniſſe ſich allmaͤhlig in ein mechaniſches Rechenexempel aufge¬ loͤſt hat, und der gemeine Geldwucher ſelbſt in der Politik, dem Brennpunkt des thaͤtigen Lebens, herr¬ ſchend geworden, ſo darf man ſich kaum wundern, daß auch das ſinnige, poetiſche Leben jenem Wucher¬ geiſt dienſtbar wird. Gleichwie die hollaͤndiſche Com¬ pagnie das uralte mythiſche Land Oſtindien in Be¬ ſitz genommen, um von dort aus, ſtatt des alten Kaͤſe- und Spitzenhandels, ſeine Gewuͤrzkraͤmerei zu treiben, ſo hat eine andre Compagnie den alten deut¬ ſchen Dichterwald an ſich gebracht, ſofort niederge¬ ſchlagen und eine ungeheure Fabrik daraus zuſam¬ mengezimmert. Wie nun in einer Tabaksfabrik die Herren caſſiren, waͤhrend die Arbeiter ſaͤen, pflan¬ zen, ſchneiden, baizen, trocknen und Packete fuͤllen, und das Publikum Millionen leichte und leere Meer¬ ſchaumkoͤpfe hinhaͤlt, um ſie zu ſtopfen und mit Ge¬

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Zitationshilfe: Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 2. Stuttgart, 1828, S. 288. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur02_1828/298>, abgerufen am 27.11.2024.